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Strenge sprach aus den Zügen der alten Frau und verlieh ihnen eine Spur von Vornehmheit. Es lebte nichts Weiches in ihrem bleichen Gesicht, nichts Trauriges oder Rührseliges. Im steten Umgang mit Tieren war ihr stumme Geduld zur Natur geworden. Heute befand sie sich zum ersten Male inmitten einer solchen Masse von Menschen. Die Fahnen, der Trommelwirbel, die vielen Herren in schwarzen Röcken, das Kreuz der Ehrenlegion auf der Brust des Rates, alles das erschüttertere bis ins Herz. Sie stand ganz erstarrt da, sie wußte nicht, ob sie zur Estrade vorlaufen oder enteilen sollte, und sie begriff nicht, warum man sie nach vorn drängte und warum ihr die Preisrichter freundlich zulächelten. Sie stand vor diesen behäbigen Bürgern als ein verkörpertes halbes Säkulum der Knechtschaft.

      »Treten Sie näher, verehrungswürdige Katharine Nikasia Elisabeth Leroux!« sagte der Regierungsrat, der die Liste der Preisgekrönten aus den Händen des Vorsetzenden entgegengenommen hatte. Indem er abwechselnd auf den Bogen und auf die Greisin backte, wiederholte er in väterlichem Tone:

      »Näher, immer näher!«

      »Sind Sie denn taub?« rief Tüvache heftig und sprang von seinem Sitze auf.

      »Für vierundfünfzigjährige Dienstzeit eine silberne Medaille im Werte von fünfundzwanzig Franken! Die ist für Sie!« wurde ihr laut gesagt.

      Die alte Frau nahm sie und sah sie sich lange an, und ein Lächeln des Glückes sonnte ihr Gesicht. Als sie wegging, hörte man sie vor sich hinmurmeln:

      »Ich werde sie dem Herrn Pfarrer bei uns zu Hause geben, damit er mir dermaleinst eine Messe liest.«

      »Selig die Geistesarmen!« meinte der Apotheker, zum Notar gewandt.

      Der feierliche Akt war zu Ende. Die Menge verlief sich. Und nachdem nun die Preisverteilung vorüber war, nahm jeder wieder seinen Rang ein, und alles lief im alten Gleise. Die Herren schnauzten ihre Knechte an, und die Knechte prügelten das Vieh, das mit grünen Kränzen um die Hörner in seine Ställe zurücktrottete. Ahnungslose Triumphatoren.

      Die Bürgergarde und die Feuerwehr traten weg und begaben sich in den ersten Stock des Rathauses. Der Bataillonstambour schleppte einen Korb Weinflaschen, und die Mannschaft spießte sich die spendierten Butterbrote auf die Bajonette.

      Frau Bovary ging an Rudolfs Arm nach Haus. An der Türe nahmen sie Abschied. Sodann ging er bis zur Stunde des Festmahles allein durch die Wiesen spazieren.

      Der Schmaus dauerte lange. Es war lärmig, die Bedienung schlecht. Man saß so eng aneinander, daß man für die Ellenbogen gar keine Freiheit hatte, und die schmalen Bretter, die als Bänke dienten, drohten unter der Last der Gäste zusammenzubrechen. Man aß unmenschlich viel. Jeder wollte auf seine Kosten kommen. Allen perlte der Schweiß von der Stirne. Zwischen der Tafel und den Hängelampen schwebte weißlicher Dunst, wie der Nebel über dem Flusse an einem Herbstmorgen.

      Rudolf, der seinen Platz an der Zeltwand hatte, verlor sich völlig in Träumereien an Emma, so daß er nichts sah und hörte. Hinter ihm, draußen auf dem Rasen, schichteten die Kellner die gebrauchten Teller. Wenn ihn einer seiner Nachbarn anredete, gab er ihm keine Antwort. Man füllte ihm das Glas, ohne daß er es wahrnahm. Trotz des allgemeinen immer stärker werdenden Lärmes war es in ihm ganz still. Er sann über das nach, was Emma gesagt hatte, und über die Linien ihrer Lippen dabei. Ihr Bild schimmerte ihm wie aus Zauberspiegeln aus allem entgegen, was glänzte, sogar aus dem Messingbeschlag der Feuerwehrhelme. Die Zeltwand hatte Falten; die ihn an die ihres Kleides erinnerten. Und vor ihm, in der Ferne der Zukunft, winkte eine endlos lange Reihe verliebter Tage.

      Am Abend sah er Emma wieder, beim Feuerwerk. Aber sie war in der Gesellschaft ihres Mannes, der Frau Homais und des Apothekers. Der letztere beunruhigte sich sehr über die Möglichkeit, daß einmal eine Rakete versehentlich in das Publikum gehen könnte. Aller Augenblicke verließ er seine Freunde, um Binet zur größten Vorsicht zu vermahnen. Die Feuerwerkskörper waren vorher aus übertriebener Ängstlichkeit im Hause des Bürgermeisters aufbewahrt worden, in dessen Keller. Das feucht gewordene Pulver entzündete sich nun schwer, und das Hauptstück, eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt, versagte vollständig. Ab und zu zischte ein dürftiges Feuerrad. Dann schrie die gaffende Menge vor Vergnügen laut auf, und in dieses Geschrei mischte sich das Kreischen der Weiber, die im Dunkeln von dreisten Händen angefaßt wurden.

      Emma schmiegte sich schweigsam an Karls Arm. Den Kopf gehoben, verfolgte sie die Feuerlinien der Raketen auf dem schwarzen Himmel. Rudolf betrachtete sie im Scheine der Lampions. Nach und nach verlöschten diese, und nun leuchteten nur die Gestirne. Ein paar Regentropfen fielen. Frau Bovary legte sich ihr Tuch über das unbedeckte Haar.

      In diesem Augenblicke fuhr der Landauer des Regierungsrates vom Gasthofe weg. Der Kutscher war bezecht und hockte verschlafen auf seinem Bocke. Man sah von weitem, wie die schwere Masse seines Körpers zwischen den Wagenlichtern hin und her pendelte, je nach den Bewegungen des Wagens auf dem holperigen Pflaster.

      »Man sollte wirklich strenger gegen die Trunksucht vorgehen«, bemerkte der Apotheker. »Mein Vorschlag geht dahin, allwöchentlich am Rathause die Namen derer auszuhängen, die sich in der Woche vorher sinnlos betrunken haben. Das ergäbe nebenbei eine Statistik, die man in gewissen Fällen…Aber entschuldigen Sie!«

      Er eilte wiederum zum Feuerwehrhauptmann, der sich gerade anschickte, nach Hause zu gehen. Ihn trieb die Sehnsucht nach seiner Drehbank.

      »Vielleicht täten Sie gut,« mahnte ihn Homais, »wenn Sie einen von Ihren Leuten schickten, oder noch besser, wenn Sie selber gingen…«

      »Lassen Sie mich doch in Ruhe!« murrte der Steuereinnehmer. »Das hätte ja gar keinen Sinn!«

      Der Apotheker gesellte sich wieder zu seinen Freunden.

      »Wir können völlig beruhigt sein«, sagte er zu ihnen. »Herr Binet hat mir soeben versichert, daß alle Vorsichtsmaßregeln getroffen sind. Es ist keine Feuergefahr mehr vorhanden. Und die Spritzen stehen voller Wasser bereit. Gehen wir schlafen!«

      »Ach ja! Ich habs sehr nötig!« erwiderte Frau Homais, die schon immer tüchtig gegähnt hatte. »Aber schön wars doch!«

      Rudolf wiederholte leise mit einem zärtlichen Blicke:

      »Wunderschön!«

      Dann verabschiedete man sich und ging voneinander.

      Zwei Tage darauf stand im »Leuchtturm von Rouen« ein langer Bericht über die Landwirtschaftliche Versammlung. Der Apotheker hatte ihn am Morgen darauf schwungvoll verfaßt.

      »Was künden diese Girlanden, diese Blumen und Kränze? Wohin wälzt sich die Menge, gleichwie die Wogen des stürmischen Weltmeeres unter den Strahlenbüscheln der tropischen Sonne, die unsere Fluren sengt?«

      Sodann sprach er von der Lage der Landbevölkerung. »Gewiß, die Regierung hat hier viel getan, aber noch nicht genug. Mut! Tausend Reformen sind unerläßlich. Man gehe an sie heran!« Bei der Schilderung der Ankunft des Regierungsvertreters feierte er »das martialische Aussehen unsrer Miliz«, die »behenden Dorfschönen,« die »kahlköpfigen Greise, diese Patriarchen, die Letzten der unsterblichen Legionen, deren Soldatenherzen beim Wirbeln der Trommeln höher schlagen.« Seinen eigenen Namen zählte er unter den Preisrichtern als ersten auf und erwähnte in einer Anmerkung sogar, daß Herr Homais, der Apotheker von Yonville, unlängst eine Denkschrift über den Apfelwein an die Rouener Agronomische Gesellschaft eingereicht habe. Bei der Preisverteilung angelangt, schilderte er die Freude der Ausgezeichneten mit dithyrambischer Begeisterung. »Väter fielen ihren Söhnen um den Hals, Brüder ihren Brüdern, Gatten ihren Gattinnen. Mehr denn einer zeigte voll Stolz seine schlichte Medaille, und heimgekehrt in sein stilles Kämmerlein, mag sie so mancher, Tränen in den Augen, an die Wand gehängt haben … Gegen sechs Uhr abends vereinigte ein Festmahl in dem auf der Herrn Liegeard gehörenden Wiese errichteten großen Zelte die hervorragendsten Festteilnehmer. Von Anfang bis Ende herrschte die größte Gemütlichkeit. Mehrere Toaste wurden ausgebracht. Herr Regierungsrat Lieuvain trank auf Seine Majestät, Herr Bürgermeister Tüvache auf den Herrn Landrat, sodann Herr Rittergutsbesitzer Derozerays auf das Gedeihen der Landwirtschaft, Herr Apotheker Homais auf die Industrie und ihre Schwestern, die Künste und Wissenschaften, so zuletzt Herr Leplichey

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