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wie diese Texte entstanden sein könnten. Bis in die 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts vermutete man mehrere Quellen bzw. Urkunden, die nebeneinander bzw. nacheinander entstanden waren und von Endredakteuren zu einem gemeinsamen Werk zusammengefügt wurden.

      Die moderne Pentateuchforschung geht heute von mehreren Erzählzyklen aus, die im Laufe der Zeit mehrfache Bearbeitung fanden. „Für die schriftliche Fixierung der Kerntradition … wird heute einerseits das 7. Jh. angenommen, während andere Exegeten eher von der persischen Zeit, nach dem Exil, ausgehen“ (Schebesta, S. 26).

      Neben dem Pentateuch und weiteren Erwähnungen des Mose in biblischen Schriften gibt es keine vergleichbaren weiteren Quellen über sein Leben: Philo von Alexandrien, ein Zeitgenosse Jesu, schrieb eine zweibändige Vita des Mose. Dieses Werk hatte jedoch neben zeitgenössischen Erzählungen hauptsächlich die biblischen Texte als Grundlage, weshalb hier kaum Neuigkeiten zu erfahren sind. Ähnlich zu datieren ist die apokryphe Schrift Himmelfahrt Mosis, die wie auch andere apokryphe Schriften für eine historische Untersuchung als Quelle unbrauchbar ist.

      Interessanter, wenn auch zeitlich ebenso weit weg von der Lebenszeit des Mose und damit historisch kaum verwendbar, sind andere jüdische Schriftensammlungen: Die unter dem Terminus Midrasch zusammengefassten rabbinischen Sammlungen beinhalten neben ethischen und moralischen Inhalten Auslegungen biblischer Texte und damit auch zahlreiche Erwähnungen des Mose. Auch wenn die endgültige Ausformulierung dieser Schriften erst sehr spät erfolgte, dürfte einiges Traditionsgut sehr weit in die Geschichte zurückreichen.

      Zu den jüdischen Quellen gehört auch der Talmud: Der Talmud ist ein aus vielen tausend Seiten bestehendes und in mehreren Traditionen überliefertes Werk. Im Kern besteht er aus der Mischna. Diese ist die verschriftlichte Form der einst mündlich offenbarten und lange Zeit auch mündlich tradierten Gesetzesvorschriften. Ihre Endredaktion wird in etwa auf das Jahr 200 n. Chr. datiert. Der zweite Teil des Talmuds ist die in zwei Versionen vorliegende Gemara, Erläuterungen und Ergänzungen zur Mischna. Obwohl im Talmud viel über Mose berichtet wird, ist die Historizität der Erzählungen über ihn ebenso zweifelhaft wie bei den anderen erwähnten Schriften.

      Schließlich ist hier noch der Koran zu nennen. Als historische Quelle scheidet er zwar aus – die knapp zwei Jahrtausende zwischen dem Leben des Mose und der Abfassungszeit des Korans sprechen eindeutig dagegen. Auf das heutige Mosebild hat der Koran aber vor allem für die weltweit über eine Milliarde Muslime eine entscheidende Auswirkung.

      Insgesamt bildet der Pentateuch zusammen mit den anderen genannten Schriften eine überaus umfangreiche Textquelle, wenn auch für eine Rekonstruktion der Vita des Mose fast ausschließlich die fünf Bücher Mose verwendet werden können. Die anderen Texte sind spätere Interpretationen, die vereinzelt Wurzeln sehr alter Traditionen beinhalten.

      Was bedeutet dieser Befund für die Erforschung des Lebens des Mose? Die Bücher gelten als „Dokument einer Religion“ (Seebaß, S. 189), deren Erzählungen und Vorschriften für das Volk Jahwes eine immanent Identität stiftende Funktion einnehmen. Die Berichte über Mose wurden dieser Aufgabe untergeordnet. So dürften weder die Endredakteure noch die Überlieferer älterer Quellen ein wirkliches historisches Interesse an Mose gehabt haben, weswegen die historischen Angaben innerhalb der fünf Bücher Mose nur mit großer Vorsicht für die Rekonstruktion der Vita des Mose herangezogen werden können.

      Was bleibt angesichts dieses Befundes übrig? Entweder man schließt dieses Kapitel mangels brauchbarer Quellen, oder man nähert sich der historischen Person mit den uns zur Verfügung stehenden biblischen Berichten. Im Folgenden wird Zweiteres unternommen. Es wird versucht, vorwiegend an Hand der biblischen Erzählungen ein zusammenhängendes Bild über Mose ungeachtet der Frage der beweisbaren Historizität zu zeichnen. In diesem Sinne schreibt auch Schreiner: „Bleibt letztlich für jedes Bemühen, ein Bild des biblischen Mose zu gewinnen, nur die Möglichkeit, von der Endgestalt des biblischen Textes auszugehen; denn ein anderes Mosebild als dasjenige, das uns die Tradition in der vorliegenden Endgestalt des Bibeltextes überliefert hat, ist ohnehin nicht zu gewinnen“ (Schreiner, S. 32).

       Die Zeit und die Welt, in der Mose lebte

      Vor der Beschreibung der Lebenswelt des Mose ist die Frage der Datierung seiner Lebenszeit zu klären: „Mose kommt als Inspirator und Organisator des … zwischen 1300 und 1200 denkbaren Exodusgeschehens unzweifelhaft in Frage“, meint der bekannte Theologe Erich Zenger (Zenger, Mose/Moselied …, S. 335). Der biblische Bericht erwähnt im Zusammenhang mit der Moseerzählung mehrfach den Ort Ramses (Ex 1,11; Ex 12,37 u. a.) und meint damit eine unter der Herrschaft von Pharao Ramses II. im östlichen Nildelta errichteten Stadt. Ramses II., um das Jahr 1300 geboren, war nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1279 der dritte Pharao der 19. Dynastie und starb im Jahre 1213. Wahrscheinlich führte Mose sein Volk während der ungewöhnlich langen Regierungszeit von Ramses II. aus Ägypten. In diesem Fall wäre die Lebenszeit des Mose tatsächlich in das 13. vorchristliche Jh. zu datieren.

      Ramses II. wird auch der Große genannt, da er einerseits Kriege führte und gewann, andererseits mittels kluger Vertragspolitik eine sehr lange Friedenszeit mit den Nachbarländern sicherte, die auch die Grundlage für die wirtschaftliche Blüte seines Landes war. Viele eindrucksvolle Bauten entstanden in seiner Regierungszeit. Er soll rund hundert Söhne und Töchter gehabt haben und ihm wird von manchen Historikern ein ausschweifendes Leben nachgesagt, während er mit harter Hand über sein Volk geherrscht haben soll. Dieses Bild würde zu dem biblischen Bericht des Pharao passen, der die Israeliten nicht ziehen lassen wollte.

      Die These, Ramses II. wäre jener Pharao gewesen, gegen den Mose in Opposition trat, wird von vielen Theologen und Historikern als gesichert angesehen, während andere diese These vehement ablehnen. Wie oben schon ausgeführt: Es gibt weder anerkannte Beweise dafür noch dagegen. Für die Frage der Lebenswelt des Mose wäre die genaue Zuordnung des Pharao interessant, für die Frage nach der Lebenswelt des von ihm später aus Ägypten herausgeführten Volkes ist die Zuordnung eher sekundär: Das Leben als Sklave bzw. als Sklavenvolk war im alten Ägypten mit Sicherheit zu keiner Zeit angenehm und dürfte sich von Pharao zu Pharao nicht wesentlich verändert haben. Wie war es aber dazu gekommen, dass die Vorfahren des Mose ägyptische Sklaven geworden waren? Im Buch Genesis wird von Josef berichtet, der in Ägypten Karriere gemacht hatte und unter dessen Lebenszeit die Israeliten nach Ägypten gekommen waren (Gen 37–50).

      Neuere Forschungen belegen, dass hebräische Stämme immer wieder vor allem in Dürrezeiten Ägypten aufsuchten. Die Hebräer waren keine geschlossene Volksgruppe, sondern lebten als Nomaden- bzw. Halbnomaden im Gebiet zwischen Ägypten und dem heutigen Irak. Zu den Hebräern gehörten neben den Israeliten auch die Midianiter, die Aramäer, die Edomiter usw. Die Hebräer waren also keine Nation und auch kein eigenes Volk. Vielmehr war ‚Hebräer’ ein Terminus für nichtsesshafte Gruppen, die keiner privilegierten Schicht angehörten und mitunter anderen dienen mussten. Wenn jedoch in der Bibel von den Hebräern gesprochen wird, sind immer die Israeliten gemeint.

      Vor 3000 Jahren zogen vor allem in den Trockenzeiten hebräische Gruppen in die fruchtbaren Gegenden, um dort mit ihren Herden zu leben. So kamen halbnomadische Stämme in das Nildelta oder in das Niltal, um Zuflucht vor der Dürre zu suchen. Auf diese Weise dürften auch Mosis Vorfahren nach Ägypten gekommen sein. Im Regelfall konnten diese Halbnomaden zu Beginn der Regenzeit Ägypten problemlos wieder verlassen. Berichten zufolge wurden solche Gruppen aber manchmal auch zu Arbeitsdiensten herangezogen. So wurde ein nicht geringer Teil der zahlreichen monumentalen ägyptischen Bauten von zur Zwangsarbeit verpflichteten Nomaden errichtet. Auch die Vorfahren Mosis wurden zu diesen Arbeiten gezwungen, wie die Bibel bezeugt:

      Eines Tages ging er [sc. Mose] zu seinen Brüdern hinaus und schaute ihnen bei der Fronarbeit zu. Da sah er, wie ein Ägypter einen Hebräer schlug, einen seiner Stammesbrüder.

      Ex 2,11

      Kombiniert man diese Bibelstelle mit der Aussage in Ex 1,11, wonach die Vorfahren des Mose die Stadt Ramses zu bauen hatten, so erhält man wiederum das 13. Jahrhundert als mögliche Lebenszeit des Mose.

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