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die Wüste wird im Pentateuch mit 40 Jahren angegeben (z. B. Num 32,13). Würde man diese Zahl wörtlich nehmen und mit heutigen Maßstäben messen, so würde es verwundern, dass ein ganzes Volk 40 Jahre lang in einem rund 60.000 Quadratkilometer großen Gebiet herumirrte, ohne den Weg in das Nachbarland zu finden. Wie oben schon ausgeführt, ist 40 eine Symbolzahl, die in diesem Zusammenhang für eine sehr große Zeitspanne steht. Viele Forscher gehen deshalb davon aus, dass Mose ursprünglich nicht vorhatte, sich irgendwo permanent niederzulassen. Vielmehr wäre für ihn das nomadische Leben das Ideal gewesen, und der eigentliche Plan lautete nicht, irgendwo sesshaft zu werden, sondern nur die vorägyptische Lebensweise fortzusetzen. Erst die Pentateuchredaktion hätte nach dieser Theorie die spätere Landnahme auf Mose projiziert und Kanaan bereits von Ägypten weg als das endgültige Reiseziel proklamiert. So würde die Zeitspanne von 40 Jahren eine lange Periode des Übergangs vom Nomadenbzw. Halbnomadentum bis zur endgültigen Sesshaftwerdung bezeichnen. Mehrheitlich gehen Forscher heute von ein- bis zwei wandernden Generationen aus, wobei hier die im Verhältnis zur heutigen Zeit viel geringere Lebensdauer der Menschen zu berücksichtigen ist: Im Durchschnitt hatten die Menschen damals eine Lebenserwartung, die zwischen 20 und 30 Jahren lag, während rund zehn Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre alt wurde.

      In dieser Zeit der Wanderung zeigte Mose dem Volk nicht nur den zu gehenden Weg, sondern er gab auch neue religiöse Akzente und neue ethische Richtlinien vor. Die Bibel zeigt, dass Mosis Führerschaft nicht immer die volle Akzeptanz des Volkes hatte. Öfter wird vom Aufmurren des Volkes berichtet, vom Zweifel, ob der von ihm propagierte Gott wirklich so mächtig sei oder ob dieser das Volk nicht vielmehr ins Verderben stürzen werde. Obwohl Mose mehrere Wunder vollbrachte (Wasserquelle mitten in der Wüste, Wachteln und Manna als Nahrungsmittel usw.), hielt deren Glaubenswirkung bei den Israeliten jedoch immer nur kurz an.

      Mitunter stand Mose zwischen dem jammernden und ungläubigen Volk und dem in den Berichten oft streng wirkenden JHWH mit seinen Forderungen und Strafen. An einer Stelle berichtet der Pentateuch sogar davon, wie Mose um seinen Tod bat, um das alles nicht weiter ansehen und miterleben zu müssen:

      Das Volk lag dem Herrn mit schweren Vorwürfen in den Ohren. Als der Herr das hörte, entbrannte sein Zorn; das Feuer des Herrn brach bei ihnen aus und griff am Rand des Lagers um sich. Da schrie das Volk zu Mose und Mose setzte sich beim Herrn für sie ein. Darauf ging das Feuer wieder aus … die Israeliten begannen wieder zu weinen und sagten: Wenn uns doch jemand Fleisch zu essen gäbe … Da entbrannte der Zorn des Herrn; Mose aber war verstimmt und sagte zum Herrn: … Wenn du mich so behandelst, dann bring mich lieber gleich um, wenn ich überhaupt deine Gnade gefunden habe. Ich will mein Elend nicht mehr ansehen.

      Num 11,1–15

      Mose war aber nicht nur ein Führer, der dem Volk den Weg zeigte und es religiös leitete. In Ex 18 wird berichtet, wie Mose über das Volk Gericht hielt und so auch die Funktion des obersten Richters einnahm:

      Am folgenden Morgen setzte sich Mose, um für das Volk Recht zu sprechen. Die Leute mussten vor Mose vom Morgen bis zum Abend anstehen. Als der Schwiegervater des Mose sah, was er alles für das Volk zu tun hatte, sagte er: Was soll das, was du da für das Volk tust? Warum sitzt du hier allein und die vielen Leute müssen vom Morgen bis zum Abend vor dir anstehen? Mose antwortete seinem Schwiegervater: Die Leute kommen zu mir, um Gott zu befragen. Wenn sie einen Streitfall haben, kommen sie zu mir. Ich entscheide dann ihren Fall und teile ihnen die Gesetze und Weisungen Gottes mit.

      Ex 13,13–16

      In weiterer Folge setzte Mose „tüchtige Männer“ (Ex 18,24) des Volkes als Richter ein, die die Aufgabe der Rechtsprechung übernahmen. Die Israeliten waren also ein theokratisches Volk, deren oberste Rechtsgrundlage die Gottesgesetze waren, die Mose von Gott empfing und den Menschen weitergab.

      Das zentrale Ereignis der langen Wanderung durch die Wüste ist der Bundesschluss mit den Geboten und Verboten. Insgesamt zählen die Juden 365 Verbote (so viele Verbote, wie das Jahr Tage hat) und 248 Gebote (so viele Gebote, wie das Skelett Knochen hat), was in Summe die Zahl 613 ergibt. Diese Ge- und Verbote teilen sich auf in Gesetzes-, Kult- und Essensvorschriften.

      Die Annahme der Gebote war ein langer Prozess für das israelitische Volk. Es hat mit Sicherheit weit mehr als eine Generation gedauert, bis die Menschen die ägyptischen und die vorägyptischen Wurzeln abgelegt hatten, und sich der Glaube an den einen Gott JHWH durchsetzen konnte.

      Mose selbst zog sich immer wieder auf den Berg zum Beten und Nachdenken zurück. Allein im Kapitel 19 des Exodusbuches steigt Mose mindestens dreimal auf den Berg, um mit Gott zu reden. Oft dürften seine Aufenthalte mehrere Tage oder auch Wochen gedauert haben. In dieser Zeit wandte sich das Volk immer wieder von den neuen Geboten und von JHWH ab. Ausführlich wird im Pentateuch vom Goldenen Kalb berichtet (Ex 31,18–33,6). Auch hier war Mose lange auf dem Berg, und das Volk wusste nicht, wo er verblieben war:

      Als das Volk sah, dass Mose noch immer nicht vom Berg herabkam, versammelte es sich um Aaron und sagte zu ihm: Komm, mach uns Götter, die vor uns herziehen. Denn dieser Mose, der Mann, der uns aus Ägypten heraufgebracht hat – wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist.

      Ex 32,1

      Es war ausgerechnet Aaron, der das Kalb goss und davor einen Altar errichtete. Anscheinend war Moses Verhalten nicht nur für sein Volk, sondern auch für seine engsten Vertrauten schwer nachvollziehbar. So wandten sich in Num 12 sogar Aaron und Mirjam gegen ihren Bruder. Mag sein, dass seine ägyptische Abstammung der Grund dafür war oder seine kuschitische Frau. Wahrscheinlich war es aber der von ihm vertretene und mit den Lebenserfahrungen der Israeliten nicht zusammenpassende Monotheismus oder die von ihm geforderte Einhaltung von neuen Gesetzen und ethischen Handlungsrichtlinien. Sicher ist, dass sich das Volk immer wieder gegen Mose auflehnte und er manchmal sogar um sein Leben fürchten musste:

      Mose schrie zum Herrn: Was soll ich mit diesem Volk anfangen? Es fehlt nur wenig und sie steinigen mich.

      Ex 17,4

      Es war also keine ruhige Wanderung durch die Wüste. Vielmehr lebte Mose viele Jahre als Anführer eines Volkes, zu dem er – abgesehen von den Kindheitstagen – erst im Erwachsenenalter gestoßen war und dessen Schicksal der verpflichtenden Fronarbeit er nie geteilt hatte. Nur langsam entwickelte sich bei den Israeliten der Glaube an den einen und für viele möglicherweise auch neuen Gott. Wahrscheinlich spielte der Monotheismus in Israel aber frühestens bei den Propheten des 8. Jh. eine wirkliche Rolle, die ihn mit ihrer „Jahwe-Allein-Bewegung“ in ganz Israel durchsetzen wollten. Dieses Ziel war ab der Exilszeit (Mitte 6. Jh. v. Chr.) mehr oder weniger verwirklicht. Der in der Bibel geschilderte Kampf des Mose, den Glauben an Gott als den einzigen in Israel durchzusetzen, ist nach heutigem Forschungsstand eine spätere theologische Bearbeitung des Mose-Stoffs.

      Der biblische Bericht spricht von einem Bund zwischen Gott und den Menschen (Ex 24), der nach dem Glaubensabfall mit dem Goldenen Kalb wieder erneuert wurde (Ex 33 f.). Im Zentrum dieses Bundes stand und steht auch heute noch der Glaube an den einen Gott, an den „Ich-bin-da“, wie sich JHWH selbst bezeichnet hatte (Ex 3,14). Dieser Gott wird in den biblischen Berichten als ein Gott geschildert, der in die Geschichte eingreift und der den Menschen in ihrer Not hilft. So beginnen die Zehn Gebote nicht mit der Aussage „Das sind die Gebote, die du zu halten hast“, sondern mit der Erinnerung an die Großtat der Rettung aus der ägyptischen Knechtschaft:

       Dann sprach Gott alle diese Worte: Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Gottesbild machen …

      Ex 20,1–4

      Mose verkündete dem Volk einen Gott, der viel stärker und mächtiger war, als alle anderen Götter, von denen sie gehört oder die sie angebetet hatten. Dieser Gott war absolut und verlangte die Abwendung von allen anderen Götzen und Göttern. Die Menschen konnten diesen Gott nicht sehen und sie durften sich von ihm auch kein Bild machen. Der einzige Mensch, der Gott je sah und ihm Auge in Auge gegenüber stand, war Mose.

      Der Herr und Mose redeten miteinander Auge in Auge, wie Menschen miteinander reden.

      Ex

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