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und Arzt für ein vornehmes oder für ein niedriges Publikum zu wirken hatte. Dieser Mann schien unbedingt der ersten Kunst anzugehören. Schon das Geschenk – hundert Goldgulden – machte dies unzweifelhaft.

      Die Erinnerung an den einstigen Besitz des Goldes machte den Jüngling, als er die Kräfte seines Gehirns wieder beisammen hatte, im hohen Grade befangen. Was sollte er dem mildtätigen Manne sagen, wenn dieser, wie gar nicht zu bezweifeln war, sich nunmehr nach dem Dasein der Summe erkundigte? Wie schimpflich war es ihm, die Geschichte des Verlustes derselben zu erzählen. Aber der Mann fragte nicht; er setzte sich wieder an das Lager und diesmal, nachdem er den Jüngling lange stumm und forschend angeblickt, brachte er das erste Wort für ihn über die Lippen. Die Stimme klang dumpf, und die Worte wurden hart und scharf betont.

      »Werden abreisen, wenn die Kräfte wieder hergestellt.«

      »Abreisen? Und wohin?«

      »Keine Fragen. Mein Eigentum! Mir erkauft. Ohne Widerrede tun, was ich will. Dann Belohnung. Wenn Ungehorsam – blutige Züchtigung! Verstanden? Keine Rettung aus meinen Händen; aber meine es gut.«

      Diese Befehle und Drohungen waren untermischt mit kurzen Flüchen in einer fremden Sprache; auch war das Deutsch gebrochen und wenig verständlich. Der Jüngling wandte sich unmutig von dem Manne weg und richtete sein Antlitz gegen die Wand. Nach einer Weile klagte er über Schmerzen am Arm. Die Verbände wurden abgenommen und durch neue ersetzt. Dann ging der geheimnisvolle Hausherr fort und schloß hinter sich ab.

      Es vergingen Tage, wo er nicht wiederkam; die Zelle hatte sich in ein vollständiges Gefängnis verwandelt. Ein alter Diener, der stumm wie sein Herr war, kam zuweilen, leistete die ärztlichen Dienste, die noch nötig waren, brachte das Essen und zündete die Ampel an der Decke an, wenn die Nacht kam.

      Tiefe Stille herrschte. Das Geräusch von der Straße tönte nur dumpf herauf, die bunten, halb verschlossenen Fenster, über die noch zum Teil schwere Teppiche hingen, ließen keinen Blick nach außen frei. Innen im Gemache rührte sich nichts, die Uhren tickten, die Räder an den Maschinen liefen knisternd über die Metallgleise, der dumpfe Ton des fallenden Körpers wiederholte sich in regelmäßig wiederkehrenden Pausen. Alle Gegenstände in diesem düstern Raume waren bereits von dem Kranken auf das genaueste untersucht worden; von einigen wußte er ihren Zweck und ihre Bestimmung, andere waren ihm völlig neu und unerklärlich. Die Uhren und Maschinen wagte er nicht zu berühren, aus Furcht, ihren Gang zu stören. Auf die Büchersammlung blickte er mit Scheu und Ehrfurcht, und gedachte dabei der guten und gelehrten Schriften, die er selbst einst besessen und in denen er manche Nacht bis zum erwachenden Morgen studiert hatte, als er noch nicht so leichtsinnig und so vergnügungssüchtig war, wie er es jetzt geworden. Es fielen ihm die verlorenen Stunden und Tage ein, und zugleich die erniedrigenden und beschämenden Erfahrungen, die er in letzter Zeit gemacht. Waren es nun diese reumütigen Gedanken, oder war es die beängstigende Stille und Verlassenheit, in der er sich befand, er warf sich auf das Lager, barg sein Gesicht in Unmut und Schmerz tief in seine Hände und lag so, unempfindlich für alles, was um ihn vorgehen mochte, wohl halbe Tage lang unbeweglich. So fand ihn der heimkehrende Gebieter. Er faßte ihn mit starker Hand an die Schulter, zwang ihn, sich rasch zu erheben, und sagte ihm dann in barschem Tone, daß die Stunde zur Abreise gekommen sei. Zu gleicher Zeit erschienen Knechte, die das im Vorgemach aufgespeicherte Gepäck ergriffen. Ein Herr in einem Pelzmantel und in einer Spitzenkrause erhielt die Schlüssel des Gemachs und nahm nun Besitz davon. Zwischen den beiden Männern wurde kein Wort gewechselt, auch wurden die Reisenden mit keinem Abschiedsworte bedacht.

      Es herrschte bereits Dämmerung auf den Straßen, als der Jüngling und sein Führer rasch ihren Weg machten. Sie gingen an einem Hause vorbei, in dessen Erdgeschoß Licht brannte und man einen eifrig in einem Buche Lesenden am Tische sitzen sah. Dies war der Student Paraclet, und gern hätte ihm der flüchtig Dahinziehende ein paar Abschiedsworte zugerufen, wenn sein Führer es erlaubte. Doch dieser zog ihn am Arme heftig mit sich fort. Die nachfolgenden Diener schienen beauftragt, jeder widersetzlichen Bewegung nach Kräften entgegenzuarbeiten. So erreichte man das Tor der Stadt; dort wurde in einem bereit stehenden Wagen Platz genommen, und die Reise ging die Nacht durch. Die Begleiter bestiegen Pferde und hatten Waffen bei der Hand. Alles dies kam dem Jüngling sehr seltsam vor; zugleich beschäftigte es seine Einbildungskraft, und da diese vorherrschend bei ihm war und er die Abenteuer liebte, so träumte er sich zuletzt ganz ergötzlich in allerlei phantastische Zustände hinein. Es war ihm, als sei er ein verfolgter Prinz, den seine Freunde geheimnisvoll beiseitezuschaffen und vor drohenden Gefahren zu bergen bemüht waren. Dann erschien ihm wieder der Arzt als einer jener mächtigen, alten Magier, die in den romantischen Sagen seiner Heimat eine so große Rolle spielten, und er war völlig darauf gefaßt, daß die Reise, wenn sie auf der Erde Hindernisse fände, alsobald durch die Lüfte würde fortgesetzt werden.

      Der lustige Mut, den diese Gebilde und Träumereien ihm eingaben, schien seinen Wächtern und Begleitern zu gefallen, eine Zither wurde ihm gegeben, und wenn die kleine Gesellschaft im Walde oder auf der Wiese haltmachte, streckten sich die bärtigen Gesellen ins Gras und lauschten dem Spiel und Singen des jungen Burschen. Nur der finstere Herr und Gebieter dieser Karawane nahm nicht an diesen muntern Stunden teil; er blieb entweder im Wagen sitzen oder wandelte ernsthaft und gravitätisch durch den Wald, und es war, als lauschte er der Sprache der Vögel oder deutete die Gestalten der vorübergleitenden Wolkenschichten am hohen Himmelsraume.

      So gelangte man ans Meer. Die kleine Gesellschaft schiffte sich ein, und nun wurde aus einer stillen Landreise eine sehr bewegte Seefahrt. Stürme brausten, und mehr als einmal war das Schiff dem Untergang nahe.

      Die Dienerschaft des finstern Reisenden half jetzt den Matrosen, und die vereinten Kräfte sowie die seltene Geschicklichkeit des Steuermanns brachten das Schiff glücklich immer wieder aus der Gefahr. Endlich nach einer schlimmen Fahrt, die mehrere Nächte und Tage gedauert, näherte man sich felsigen Küsten, die von einer Anzahl von prächtigen, großen Vögeln umkreist wurden, die ihre kreischenden Stimmen in der Luft ertönen ließen, so daß es von fern fast wie eine Art kriegerischer Musik erklang und man glauben konnte, ganze siegreiche Heere, die in den Wolken gekämpft, schmetterten jetzt ihre Schlachtgesänge auf die dunkle Erde nieder, und mischten diese schauerlichen Töne mit dem Brausen und Zischen der schwarzen Gewässer, die um die Klippen und Riffe tosten.

      Das Schiff lief in einen engen, düstern Hafen ein.

      Nach dem lustigen, lärmenden, zankenden, singenden Paris war es seltsam und aufregend genug, diese Küste zu betreten. Der Arzt schritt langsam über das hingelegte Brett ans Ufer und ging still in dieses finstere Land ein, gleichsam wie ein Sohn, der in sein Vaterhaus zurückkehrt. Nie hatten ein Land und ein Mann besser zueinander gepaßt.

      Der Jüngling folgte zaghaft. Er blickte zu den Felsenzacken hinauf und fürchtete jeden Augenblick, sie würden über seinem Haupte zusammenfallen. Ein kalter Wind pfiff aus den Schluchten empor, und aus den Tiefen der Felsenspalten klang es wie rufende Stimmen. Uralte Geheimnisse waren in die Tiefen versenkt, Geheimnisse saßen in den Grotten, im Gebraus von Sturm und Meer schienen noch einzelne Strophen von Liedern nachzuklingen, die vor Jahrtausenden hier gesungen worden waren.

      Dies war die Küste von Schottland.

      11.

       Das Jesuiten-Kollegium

       Inhaltsverzeichnis

      In einer engen Talschlucht, rings von himmelanstrebenden Felsen eingeschlossen, lag das alte Schloß Udallan, das Besitztum eines Geschlechts, das seine Ahnen weit hinaufzählte in jene Zeiten, wo noch nicht der Klang der Stimme fremder Eroberer auf der Insel gehört wurde.

      Die Herren von Udallan besaßen einst große Schätze, sie hatten sie geopfert in den bürgerlichen Kriegen, die ihr Vaterland vor einem halben Jahrhundert beunruhigt hatten; sie besaßen jetzt wenig mehr als diese alte Stammfeste im Gebirge und noch eine Anzahl Ländereien in dem heitern und sonnigen Teile der Hochebene im Süden der Grafschaft. Dorthin hatte sich der Teil der Familie begeben, der noch Lust empfand, mit der Welt zu verkehren; der morsche Stamm dieses absterbenden Baumes, der alte Graf von

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