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führen den Leser um einen Zeitraum von zehn Jahren zurück, um ihn mit einer Person bekannt zu machen, die bestimmt ist, in dieser Geschichte eine Rolle zu spielen.

      In einer der engsten und dunkelsten Gassen einer der belebtesten Vorstädte von Paris befand sich die Herberge zu den drei brennenden Herzen. Es war dies ein kleines, übelgestaltetes Haus, mit einem unverhältnismäßig hohen Giebel und einem unförmlich ausgebauten Erker. Wenn man das Profil dieses Hauses betrachtete, so fiel einem das Bild eines Buckligen ein, der, auf der Erde sitzend, eine spitzige, seltsame Mütze aufgesetzt hatte, dessen Antlitz von der Straße abgewendet war und dessen Höcker in die Straße hineinragte.

      In den unruhigen Zeiten des alten feudalistischen Paris, das wir dem Leser als die Zeit der Erbauung dieses Hauses vorführen, hatte die Schenke anfangs zur Zufluchtsstätte und als Versammlungsort von allerlei verdächtigem Gesindel gedient; seitdem man jedoch angefangen dieses Stadtviertel zu säubern, war die Schenke in den Besitz eines Mannes übergegangen, der seinerseits die Ruhe und die Ordnung begünstigte und mit der nächtlichen Scharwache in gutem Vernehmen lebte. Herr Jacques Bertholet war der Sohn eines ehemaligen Aufwärters in den Lehrsälen der Sorbonne; es war ihm daher in der Wiege bereits etwas gelehrter Staub angeflogen, und er behielt zeit seines Lebens hindurch eine gewisse Anhänglichkeit, wenn auch nicht Achtung vor Büchern, besonders waren ihm Manuskripte, und unter diesen wieder die vergilbten und unleserlichen, ein Gegenstand einer ihm und andern unerklärlichen Verehrung; denn er las keine Zeile aus diesen Schätzen, aus dem einfachen Grunde, weil er nicht lesen gelernt hatte. Aber hie und da geschah es, daß ein Schriftkundiger in die Bibliothek des Meisters Bertholet kam, und dieser fand zu der großen Befriedigung des Besitzers eine genügende Zahl der merkwürdigsten Aufzeichnungen in diesen sibyllinischen Blättern.

      Seines Zeichens war Bertholet ein Koch, und seine Gäste versicherten, daß früher, bevor die unglückliche Leidenschaft für vergilbte Manuskripte sich seiner Seele bemächtigt hatte, die Speisen seiner Garküche von einer untadelhaften Beschaffenheit waren, daß sie jedoch in dem Grade unschmackhaft wurden, je offenkundiger der Koch mehr für seine Bibliothek als für seine Küche lebte. Zuletzt war die Schenke so weit heruntergekommen, daß nur noch Studenten darin verkehrten, bekanntlich für eine öffentliche Küche die den wenigsten Ertrag bringenden Gäste. Aber Meister Bertholet wußte sich zu helfen; fielen die Zahlungen aus, so nahm er Bücher, und er hatte einige der Zöglinge Minervas so rein ausgeplündert, daß sie auf einige Zeit unfreiwillig ihre Studien einstellen und in den Straßen und auf den öffentlichen Plätzen nach einem andern improvisierten Broterwerb sich umsehen mußten; ein Umstand, der in Betracht ihrer wissenschaftlichen Ausbildung vom höchsten Nachteil war und regelmäßig eine Mißachtung ihrer Kommilitonen zur Folge hatte, die diese bücherlosen Genossen gleich dem Federvieh ansahen, dem man die Federn ausgerupft hatte. Soweit ließ auch selten ein Leichtfertiger es kommen, in der Regel behielt er noch ein Buch, und zwar das schwerste und heiligste, das er besaß, und das er nicht verfehlte, wenn er sich auf der Straße zeigte, unter den Arm zu nehmen, um zu zeigen, daß er noch im Besitz von den ihm zukommenden Schätzen war.

      Bei alledem waren die kleinen Trinkgelage, die bei Meister Bertholet gefeiert wurden, doch ganz wundersam angenehme kleine Feste.

      Die Schenke zu den drei brennenden Herzen besaß ein Aushängeschild, das eines Rubens würdig war und das eines der genialen Mitglieder dieses glücklichen Vereins gemalt hatte; ein anderes hatte die Wände der Schenkstube und des Versammlungszimmers illustriert; ein drittes hochbegabtes Talent hatte die große Tafel, auf der Herr Bertholet seine ausstehenden Posten mit mysteriösen Hieroglyphen anzukreiden pflegte, mit den Strophen eines langen Gedichtes geziert, das einen zweiten Petrarca verriet. Der kleine Eckschrank, in dem sich die Bücher und Manuskripte befanden, war ebenfalls von der Hand eines Stammgastes in Eichenholz geschnitzt und mit der Porträtfigur des Sammlers und Eigentümers geziert. Am verschwenderischsten jedoch hatten sich die Quellen der Produktion bei der Schöpfung einer Art Tagebuch oder Gedenkbuch der Schenke ergossen, einer Sammlung merkwürdiger Annalen, die die Vorfälle einzelner besonders wichtiger Sitzungen und besonders interessanter Schmausereien enthielten. Hier hatten die Dichtkunst und die Malerei sich die Hand gegeben und ihre beiden Schwestern, die Musik und die Bildhauerkunst, mit herangezogen, denn das Buch enthielt Musikstücke und Holzschnitzereien. Der Inhalt der Blätter war weit entfernt, für keusche Ohren und Augen berechnet zu sein, es waltete vielmehr darin eine unendlich zynische Ausgelassenheit, die das Maß alles Erlaubten überstiegen hätte, wenn nicht zum Glück die Kritiker, die über diese Schöpfungen zu urteilen hatten, sehr nachsichtiger und versöhnlicher Natur gewesen wären. Zuvörderst war der Ursprung des Namens der Schenke in diesen Illustrationen weitläufig erklärt. Es waren die brennenden Herzen des Trinkers, des nach Liebe Schmachtenden und des Streitsüchtigen oder Händelmachers damit gemeint. Der unbekannte Erklärer wandte seinen ganzen Scharfsinn an, diese drei Haupttugenden eines Mannes, der eine Schenke besucht, in ihrer vollen Würde und Bedeutung hinzustellen, und zeigte dabei, daß sein eigenes Herz abwechselnd von diesen drei Flammen durchlodert worden war.

      Wir wollen von diesen Besonderheiten der äußern Ausstattung der Schenke auf ihr Inneres übergehen, und vor allen Dingen wollen wir unseren Blick auf die Gruppen der Gäste richten, die gerade an dem Abend, von welchem unsere Erzählung spricht, die Bänke und die Tische der Halle füllten, die zur ebenen Erde sich unter dem Erker ihrer altertümlichen Spitzbögen erhob. Es war acht Uhr abends, und neun Uhr war die Stunde, wo die Scharwache beauftragt war, jeden öffentlichen Vergnügungsort sowie jedes Weinhaus zu schließen. Aber Meister Bertholet erfreute sich eines so guten Rufes als anständiger und ruheliebender Bürger, daß man mit seinem Hause eine Ausnahme machte und der Führer der Wache, wenn er den Lärm und das Getöse durch die geschlossenen Läden des Untergeschosses vernahm, diesen Tumult als den Streit der Gelehrten erklärte, von denen es bekannt sei, daß sie ewig uneins und verschiedener Meinung untereinander seien. Es war also um die achte Stunde, als es ganz besonders heiter in der Schenke zuging. Man unterhielt sich von Händeln und Liebschaften und mischte einige Neckereien und Scherze mit hinein, die den Professoren der Sorbonne galten. Meister Bertholet stand mitten unter einem Rundbogen, der den Eingang zu einem Seitengemach bildete, das als Schenkstube benutzt wurde, und wo ein wandhohes Gerüst mit Tellern, Schüsseln und Trinkgefäßen von aller Form und Größe prangte. Aus diesem Allerheiligsten drang ein lieblicher Duft von heißen Dämpfen geistiger Getränke, untermischt mit dem fetten Aroma einer Hammelkeule oder kleiner Pastetchen. Die Hände auf dem Rücken, stand der Inhaber dieser Räume und sah sich mit einer Miene, in welcher sich ein phlegmatisches Wohlgefallen spiegelte, die lärmende Jugend an, der er hier und da einen Zügel anzulegen für gut befand, damit der Übermut nicht jede Schranke durchbreche. Er nickte beifällig, als sich jetzt die Tür öffnete und ein junger Bursche von vierzehn Jahren eintrat, der sein besonderer Liebling war. Er ging auf den Eintretenden zu, faßte mit seiner schweren, plumpen Hand in die blonden Locken des Jünglings und rief, indem er den Kopf zurückbog und ihm in die blitzenden Augen schaute: »Wo hast du gesteckt, Bübchen? Man hat dich ja eine volle Woche hindurch nicht gesehen.«

      »Mein lieber Vater,« sagte der junge Bursche lachend, »ich habe studiert. Und weil ich jetzt keine Bücher mehr nötig habe, komme ich her, dir mein letztes, noch übriges Buch anzubieten. Ich will und muß mir nach so vieler Mühe und Anstrengung einen lustigen Abend machen.«

      »Du hast vollkommen recht, mein Sohn!« sagte Bertholet, indem er die hingehaltene Tasche öffnete und die gelehrten Schätze des Studenten musterte. Es waren ein paar seltene Bücher, die der Wildfang bis heute aufgespart und die Herr Jacques jetzt für ein Billiges erstand, immerwährend dabei klagend, wie hoch er diese alten, wertlosen Lederbände bezahlen müsse, lediglich nur um seinen Kindern nicht die Mittel zu rauben, sich einen lustigen Abend zu machen.

      Der junge Student murmelte vor sich hin, als er dem Wirte den Rücken kehrte: »Wenn ich dich an den Galgen bringen könnte für die Hiebe, die du uns übers Ohr erteilst, alter Schelm, so wäre es eine Erhöhung, deinen Verdiensten würdig.«

      Mit diesem wohlgemeinten Wunsche trat er in den Kreis der Freunde, die ihn laut und freudig bewillkommneten.

      »Was treibt ihr hier?« fragte er.

      »Nichts von Bedeutung!« antwortete eine Stimme. »Wir sprachen eben von der kleinen Madrilena, der Tänzerin in der Gauklerbude auf

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