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in das Zimmer seiner verstorbenen Schwester, schaltete die Deckenlampe ein, so daß durch den freundlichen Raum ein rötlich linder Schimmer floß, und mit vornehmer Gebärde bot er der Geliebten alles, was ihr Blick hier umfassen mochte, gleichsam als Geschenk dar. Katharina blieb stumm, endlich schüttelte sie ernsthaft den Kopf. »Willst du nicht?« fragte Gräsler zärtlich. –»Es ist doch nicht möglich,« erwiderte sie leise. – »Weshalb? Es ist sehr wohl möglich.« Und als hätte er nichts weiter als eine 151 abergläubische Regung in ihr zu bekämpfen, erklärte er: »Alles ist ganz neu, sogar die Tapeten. Früher sah es lange nicht so freundlich aus.« Und etwas zögernd fügte er hinzu: »Es hat wohl alles so kommen müssen.« – »Sag’ das nicht,« erwiderte sie wie erschreckt. Dann blickte sie sich rings im Zimmer um, ihre Züge erhellten sich, und sie streifte wie prüfend über den buntgeblümten Waschstoff des Lehnstuhls, der an das Bett gerückt war. Dann fiel ihr Auge auf die lichten Vorhänge, die, über dem Toilettentisch auseinandergerafft, eine hübsche Kammgarnitur und geschliffene Glasphiolen sehen ließen. Während sie so versunken dastand, verließ Gräsler rasch das Zimmer, um nach ein paar Sekunden mit ihrem kleinen Koffer zurückzukehren. Sie wandte sich um, zuckte leicht zusammen, lächelte halb ungläubig; er nickte ihr zu, sie schüttelte den Kopf, – dann, wie endlich bezwungen, breitete sie die Arme nach ihm aus; er stellte das Kofferchen hin, und mit gerührtem Stolz schloß er die Geliebte an seine Brust.

      Es wurde eine wunderschöne Zeit, wie er sie 152 auch in seiner Jugend kaum jemals erlebt hatte. Sie hielten sich wie glückliche Neuvermählte beinahe den ganzen Tag in ihren behaglichen vier Wänden, sorgsam bedient von der Buchdruckersgattin, die sich mit einer hierorts immerhin nicht gewöhnlichen Sachlage um so gelassener abfand, als Doktor Gräsler indes ihren unbescheidenen Wunsch erfüllt und sie aus der Garderobe seiner verstorbenen Schwester reichlich genug beschenkt hatte. In den Abendstunden pflegte das junge Paar, Arm in Arm, zärtlich aneinandergeschmiegt, in stilleren Gassen sich zu ergehen, und einmal, in einer sonnigen Frühnachmittagsstunde, fuhren sie im offenen Wagen ins Freie, gänzlich unbekümmert darum, daß man etwa Katharinens Angehörigen begegnen könnte, die das junge Mädchen bei einer Freundin auf dem Land vermuteten. Eines Tages, als sie eben noch bei Tische saßen, erschien Böhlinger, und Doktor Gräsler, nach anfänglichem Bedenken, ob er ihn vorlassen sollte, war später um so befriedigter, ihn empfangen zu haben, als der Rechtsanwalt der anmutigen Gefährtin seines Freundes alle 153 erdenkliche Höflichkeit erwies, sie als gnädige Frau anredete und nach flüchtiger Behandlung der geschäftlichen Angelegenheit, die ihn heraufgeführt, mit einem leichten Kuß auf Katharinens Hand weltmännisch kühl sich empfahl. Gräsler aber war danach von einer gesteigerten Zärtlichkeit für Katharina erfüllt, die sich wie als Hausfrau auch gesellschaftlich so vollkommen zu bewähren wußte.

       Inhaltsverzeichnis

      Seine kleine Patientin besuchte Doktor Gräsler jeden Morgen, worauf er, mit Rücksicht auf eine mögliche Gefährdung von Katharinens Gesundheit, einen halbstündigen Spaziergang vorzunehmen pflegte. Der Fall, der so bedrohlich eingesetzt, nahm einen überraschend leichten Verlauf, und nachdem die angstvolle Erregung der ersten Tage geschwunden war, zeigte sich Frau Sommer als eine sehr umgängliche, heitere, ja plauderhafte Dame; und ob es nun als Zufall oder 154 Absicht gedeutet werden mochte, keinesfalls achtete sie besonders darauf, ob der Morgenrock, in dem sie den Arzt ihres Kindes empfing, über Hals und Brust so sorgfältig geschlossen war, als es der strengere Anstand vielleicht erfordert hätte. Sie versäumte nie, sich nach dem Befinden von Gräslers »kleiner Freundin« zu erkundigen, wie sie Katharina gerne nannte, fragte ihn, ob er seinen Schatz nach Afrika mitzunehmen gedenke, – sie hatte sich nun einmal zu dieser ihr geläufigen Bezeichnung für Gräslers Winterziel entschlossen – oder ob dort schon eine andere Schöne, eine Schwarze vielleicht, in Sehnsucht seiner harre –; und endlich wollte sie ihm durchaus eine Tüte mit Schokoladenplätzchen als Geschenk für Katharina aufdrängen, was er aber mit Rücksicht auf die Ansteckungsgefahr abzulehnen für richtig fand. Andererseits ließ es Katharina an Bemerkungen über die junge Witwe nicht fehlen, die, wenn auch ein spöttischer Beiklang durch eifersüchtige Regungen mitveranlaßt sein mochte, nach Gräslers eigenem Eindruck nicht gänzlich unberechtigt schienen. Der Ruf von Frau 155 Sommer war schon zu Lebzeiten des Gatten, der als Geschäftsreisender sich nur selten im ehelichen Heim aufhielt, nicht der allerbeste gewesen; ihr kleines Mädchen hatte sie in die Ehe mitgebracht, und es galt als zweifelhaft, ob ihr Gatte zugleich der Vater des Kindes wäre. Dies alles wurde Katharinen von der Buchdruckersfrau zugetragen, mit der sie in den spärlichen Stunden, da Doktor Gräsler vom Hause abwesend war, mehr und jedenfalls vertrauter sich zu unterhalten liebte, als diesem angenehm war.

      Einmal versuchte er, die Geliebte auf das Unstatthafte eines solchen Verkehrs aufmerksam zu machen; doch als Katharina seine Bedenken kaum zu verstehen schien, kam er nicht wieder darauf zurück, da er sich die so kurz bemessene Zeit seines Glücks durch Mißhelligkeiten nicht wollte trüben lassen, und er überdies fest entschlossen war, dieses Erlebnis nur als ein hübsches Abenteuer anzusehen, dem keinerlei Folge verstattet war. Wenn sie ihn daher neugierig bescheiden und wie absichtslos über seine Winterpläne auszufragen und sich nach den klimatischen und gesellschaftlichen 156 Verhältnissen der Insel Lanzarote zu erkundigen begann, führte er das Gespräch so beiläufig als möglich, lenkte es auch bald anderswohin, um nur ja keinerlei Hoffnungen in ihr aufkommen zu lassen, die zu erfüllen er sich keineswegs geneigt wußte. In dem steten Wunsch, diese kurzen Wochen schattenlos zu genießen, fragte er auch nicht viel nach ihrer Vergangenheit, ließ sich’s an der Gegenwart genügen und freute sich nicht nur des Glücks, das er genoß, sondern mehr noch dessen, das er zu geben imstande war.

      Und allmählich, während die Tage und Nächte weiterrückten, insbesondere in Morgenstunden, wenn Katharina schlummernd an seiner Seite lag, begann die Sehnsucht nach Sabinen sich heftig in ihm zu regen. Er überlegte, um wieviel glücklicher er doch wäre, um wieviel würdiger sein Dasein sich gestaltet hätte, wenn statt dieser hübschen kleinen Ladenmamsell, die außer dem Buchhalter, mit dem sie verlobt gewesen war, gewiß noch ein paar Liebhaber gehabt hatte, die ihre braven Eltern anschwindelte und mit der Nachbarin klatschte, – wenn statt dieses 157 unbedeutenden Geschöpfes, dessen Anmut und Gutherzigkeit er durchaus nicht verkannte, das blonde Haupt jenes wundersamen Wesens hier auf dem Polster ruhte, das sich ihm mit so reiner Seele als Lebensgefährtin angetragen, und das er in einem völlig unbegründeten Mangel an Selbstvertrauen verschmäht hatte. Denn er konnte sich nicht darüber täuschen, daß sie seinen schüchtern-törichten Brief als entschiedene Ablehnung aufgefaßt hatte, wie er ja im Grunde damals auch von ihm gemeint gewesen war. Aber sollte es denn nicht wieder gutzumachen sein, was er durch seine Ungeschicklichkeit und Voreiligkeit verschuldet hatte? Ja, war es überhaupt möglich, daß die Gefühle, die Sabine ihm gegenüber gehegt und in so wohlüberdachter Weise ausgesprochen, einfach erloschen oder nie wieder zu entzünden wären? Hatte er denn nicht selbst in seinem Brief ihr und sich eine Frist gesetzt, – hielt sie sich nicht, indem sie jetzt nichts von sich hören ließ, einfach an das, was er gefordert, und drückte sich nicht eben in ihrem Schweigen, ihrer Geduld das Edelste und Wahrste ihres Wesens aus? 158 Und wenn er nun, nach Einhaltung der von ihm selbst gesetzten Frist vor sie hinträte, ihr seinen Dank, sein endgültiges, sein reiflich überlegtes, um so wertvolleres Ja zu Füßen zu legen – konnte er sie denn anders wiederfinden, als er sie verlassen? In der umfriedeten Stille des Forsthauses hatte sich gewiß kein anderer ihr genähert; – ihre reine Seele konnte weder durch seinen törichten, aber doch gutgemeinten Brief, noch durch das plötzliche Hereinbrechen einer anderen Leidenschaft in Verwirrung geraten sein, – ja dieser ängstliche Gedanke war selbst nichts anderes als das letzte Erzittern seines einsamen verschüchterten Gemütes, dem nun durch eine wunderbare Fügung des Schicksals Vertrauen und Sicherheit wiedergegeben war. Immer mehr schien ihm Katharinens eigentliche Sendung die zu sein, ihn zu Sabinen zurückzuführen, in deren Liebe ihm der wahre Sinn seines Daseins beschlossen war; und je vertrauensvoller, an irgendein Ende nicht denkend, Katharina ihr heiteres, junges Herz ihm darbrachte, um so ungeduldiger und hoffnungsvoller verlangte seine tiefste Sehnsucht nach Sabinen hin.

      159 Auch die äußeren Verhältnisse drängten zu baldiger Entscheidung, als der Oktober seinem Ende zuging.

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