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Schuft? Du willst ihm durchaus sein Geheimnis entlocken? Ahnst du am Ende? Hat dir schon wer anderer was gesagt? Und wieder hört sie Fritz flüstern, doch es ist ihr ganz unmöglich, die Worte zu verstehen. Nun wieder Beratoners Stimme, tief und roh: »Was, eine verheiratete Frau? Aber geh. Wird wahrscheinlich grad so ein —« Willst du nicht schweigen, Schuft! Sie fühlt, daß sie in ihrem Leben noch keinen Menschen so gehaßt hat wie diesen jungen Burschen, der sie beschimpft ohne zu wissen, daß sie es ist, die er beschimpft. Wie, Fritz? Um Himmelswillen lauter! »Schon abgereist.« Wie? Ich bin schon abgereist? Ah, vortrefflich, Fritz, du willst mich vor schmählichem Verdacht bewahren. Sie lauscht. Sie saugt seine Worte ein. »Eine Villa am See … Der Mann ist Advokat.« Nein, was für ein Schwindler! Wie köstlich er lügt. Sie hätte sich geradezu unterhalten können, wenn nicht die Angst in ihr gewühlt hätte. Wie? der Mann ist furchtbar eifersüchtig? Er hat ihr gedroht sie umzubringen, wenn er ihr je auf etwas käme? Wie? Heute bis vier Uhr früh … Jede Nacht … Jede … Nacht … Genug, genug, genug! Willst du nicht endlich schweigen? Schämst du dich nicht? Warum beschmutzt du mich so? Wenn dein sauberer Freund es auch nicht weiß, daß ich es bin, von der du sprichst, du weißt es doch. Warum lügst du nicht lieber! Genug! genug! Und sie möchte sich die Ohren zuhalten; aber statt es zu tun, lauscht sie nur um so angestrengter. Keine Silbe mehr entgeht ihr, und verzweifelt hört sie von ihres süßen Buben Lippen die ausführliche Schilderung der seligen Nächte, die er in ihren Armen verbracht hat, hört sie in Worten, die auf sie niedersausen wie Peitschenhiebe, in Ausdrücken, die sie zum erstenmal vernimmt und die ihr doch, rasch verstanden, blutige Scham in die Stirne treiben. Sie weiß, daß alles, was Fritz da draußen im Garten erzählt, nichts anderes ist als die Wahrheit, und fühlt zugleich, daß diese Wahrheit schon wieder aufhört es zu sein — daß dies erbärmliche Geschwätz, was ihre und seine Seligkeit gewesen, in Schmutz und Lüge wandelt. Und diesem da hatte sie gehört. Diesem als ersten, seit sie frei war, sich gegeben. Ihre Zähne schlugen zusammen, ihre Wangen, ihre Stirne brannten, ihre Knie wetzten sich am Boden wund. Plötzlich fuhr sie zurück. Das Haus wollte Rudi Beratoner sehen? Und wie das käme, daß die Leute schon abgereist seien mitten im schönsten Sommer? »Aber kein Wort glaub’ ich dir von der ganzen Geschichte. Advokatengattin? Lächerlich. Soll ich dir sagen, wer’s ist?« Sie lauscht mit den Ohren, mit dem Herzen, mit allen Sinnen. Aber es kommt kein Wort. Doch ohne zu sehen weiß sie, daß Beratoner mit den Augen nach dem Hause deutet; ja, gerade nach dem Fenster, hinter dem sie kniet. Und nun Fritzens Antwort. »Was fällt denn dir ein? Du bist ja verrückt.« Darauf der andere: »Aber red’ nichts. Ich hab’s ja schon neulich gemerkt. Gratuliere. Ja, so bequem hat’s nicht ein jeder. Ja, die — Aber wenn ich wollt —« Beate wollte nichts mehr hören. Sie wußte selbst nicht, wie ihr das gelang. Vielleicht war es das Sausen des Blutes in ihrem Hirn, das Beratoners letzte Worte übertönt hatte. Eine ganze Weile ging das Sprechen draußen in diesem Sausen unter, bis sie wieder Fritzens Worte zu verstehen vermochte: »Aber so schweig doch. Wenn sie am End zu Haus ist.« Spät fällt dir das ein, mein süßer Bub. »Na, und wenn schon«, sagte Beratener laut und frech. Dann flüsterte wieder Fritz rasch und aufgeregt, und plötzlich hörte Beate, wie beide draußen sich von der Bank erhoben. Um Himmelswillen, was nun? Sie warf sich der Länge nach auf den Boden, so daß es unmöglich gewesen wäre, sie von draußen durch eine Spalte zu erspähen. Schatten schienen an den Läden vorbeizustreifen, Tritte knirschten über den Kies, ein paar gedämpfte Worte tönten, dann ein leises Lachen, schon ferner, und dann nichts mehr. Sie wartete. Nichts regte sich. Dann hörte sie wieder die Stimmen weiter draußen im Garten, verhallend, dann nichts, lange nichts, bis sie überzeugt sein durfte, daß die beiden fort waren. Sie mochten wohl über den Zaun geklettert sein, so wie sie hereingekommen waren, und erzählten einander ihre Geschichten draußen weiter. Blieb denn noch etwas zu erzählen übrig? Hatte Fritz irgend etwas vergessen? Nun, das holte er jetzt wohl nach. Und nach seiner kostbaren Art wird er wohl noch etliches dazu erfinden, um Rudi Beratener recht zu imponieren. Warum nicht? Ja, das ist das lustige Jugendleben. Der eine hat die Gouvernante von seiner Schwester, der andere die Mutter von seinem Schulkameraden und der dritte eine Baronin, die früher beim Theater war. Ja, sie durften schon mitreden, die jungen Herren; sie kannten die Weiber und durften kühn behaupten, daß eine war wie die andere.

      Und Beate wimmerte lautlos in sich hinein. Noch immer lag sie der Länge nach ausgestreckt auf dem Boden. Wozu aufstehen? Wozu gleich aufstehen? Wenn sie sich dazu entschloß, konnte es ja doch nur sein, um ein Ende zu machen. Fritz noch einmal begegnen und dem andern —?! Sie hätte ihnen ja ins Gesicht spucken müssen, mit den Fäusten ihnen ins Gesicht schlagen. Aber wäre das nicht Erlösung, Wollust, — ihnen nachstürzen, ihnen ins Antlitz schreien: Ihr Buben, ihr Schufte, schämt ihr euch nicht, schämt ihr euch nicht? … Aber zugleich weiß sie, daß sie es nicht tun wird. Sie fühlt, daß es nicht einmal der Mühe wert wäre, da sie doch entschlossen ist und entschlossen sein muß, einen Weg zu gehen, auf dem kein Schimpf und kein Hohn ihr zu folgen vermag. Nie wieder, nie kann sie, die Geschändete, irgendeinem Menschen vor Augen treten. Eines nunmehr hat sie auf Erden zu tun: von dem Einzigen Abschied zu nehmen, der ihr teuer ist — von ihrem Sohn! Von ihm allein. Aber natürlich ohne daß er es merkt. Nur sie wird es wissen, daß sie ihn für alle Ewigkeit verläßt, daß sie zum letztenmal die geliebte Kinderstirne küßt. Wie seltsam war es doch, solche Dinge zu denken, auf den Boden hingestreckt, regungslos. Träte jetzt irgendwer plötzlich ins Zimmer, er müßte mich unfehlbar für tot halten. Wo wird man mich finden? dachte sie weiter. Wie werd ich’s vollbringen? Wie werd ich dahingelangen, daß ich fühllos daliege, um niemals wieder zu erwachen?

      Ein Geräusch im Vorzimmer machte sie erzittern. Hugo war nach Hause gekommen. Sie hörte ihn draußen auf dem Gang an ihrer Tür vorübergehen, die seine aufschließen; — und nun war es wieder still. Er war zurück. Sie war nicht mehr allein. Langsam, mit schmerzenden Gliedern erhob sie sich. Im Zimmer war es fast völlig dunkel; und die Luft schien ihr plötzlich unerträglich dumpf. Sie begriff nicht, warum sie eigentlich so lange auf dem Fußboden gelegen war und warum sie die Läden nicht schon früher geöffnet hatte. Hastig tat sie es nun, und vor ihr breitete sich der Garten, ragten die Berge, dämmerte der Himmel, und es war ihr, als hätte sie all das viele Tage und Nächte lang nicht gesehen. So wundersam friedvoll breitete sich die kleine Welt im Abend hin, daß auch Beate ruhiger wurde; zugleich aber fühlte sie eine Angst leise in sich aufsteigen, sie könnte durch diese Ruhe sich täuschen und verwirren lassen. Und sie sagte sich selbst: Was ich gehört habe, habe ich gehört, was geschehen ist, ist geschehen; die Ruhe dieses Abends, der Frieden dieser Welt ist nicht für mich; es kommt ein Morgen; der Lärm des Tages hebt wieder an, die Menschen bleiben böse und gemein und die Liebe ein schmutziger Spaß. Und ich bin eine, die es niemals mehr vergessen kann, nicht bei Tag und nicht bei Nacht, nicht in der Einsamkeit und nicht in neuer Lust, in der Heimat nicht und nicht in der Fremde. Und ich habe nichts mehr auf dieser Welt zu tun als meinem Buben einen Abschiedskuß auf die geliebte Stirne zu drücken und zu gehen. Was mochte er wohl jetzt allein in seinem Zimmer machen? Von seinem offenen Fenster aus floß ein matter Lichtschein über Kies und Rasen. Lag er am Ende schon zu Bett, — ermattet von den Freuden und Mühen seines Ausflugs? Ein Schauer lief ihr durch den Leib, seltsam gemischt aus Regungen der Angst, des Ekels, der Sehnsucht. Ja, sie sehnte sich nach ihm, aber nach einem andern, als der war, der da drin in seinem Zimmer lag und den Duft von Fortunatens Körper an dem seinen trug. Sie sehnte sich nach dem Hugo von einst, nach dem frischen reinen Knaben, der ihr einmal von dem Kuß des kleinen Mädels in der Tanzstunde erzählt hatte, nach dem Hugo, mit dem sie an einem holden Sommertag durch grüne Täler gefahren war, — und sie wünschte die Zeit zurück, da sie selbst eine andere war, eine Mutter, wert jenes Sohnes, und nicht ein Frauenzimmer, über das verdorbene Buben unflätig schwatzen durften, wie über die erstbeste Dirne. Ah, wenn es Wunder gäbe! Aber es gibt keine. Nie wird jene Stunde ungewesen sein, in der sie mit brennenden Wangen, auf schmerzenden Knien, mit durstigem Ohr der Geschichte ihrer Schmach — und ihres Glücks gelauscht hat; — noch in zehn, in zwanzig, in fünfzig Jahren, als uralter Mann wird sich Rudi Beratoner der Stunde erinnern, da er als junger Bursch auf einer weißen Bank im Garten der Frau Beate Heinold gesessen ist, und ein Schulkamerad ihm erzählt hat, wie er Nacht für Nacht bis zum grauenden Morgen bei ihr im Bett lag. Sie schüttelte sich, sie rang die Hände, sie sah zum Himmel auf, der mit totenstillen Wolken ihrem einsamen Weh entgegenschwieg und keine Wunder barg. Trüb verworren drang allerlei Geräusch von See und Straße zu ihr herauf, dunkel stiegen die

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