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Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler. Артур Шницлер
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler
Год выпуска 0
isbn 9788027209293
Автор произведения Артур Шницлер
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Und Beate wimmerte lautlos in sich hinein. Noch immer lag sie der Länge nach ausgestreckt auf dem Boden. Wozu aufstehen? Wozu gleich aufstehen? Wenn sie sich dazu entschloß, konnte es ja doch nur sein, um ein Ende zu machen. Fritz noch einmal begegnen und dem andern —?! Sie hätte ihnen ja ins Gesicht spucken müssen, mit den Fäusten ihnen ins Gesicht schlagen. Aber wäre das nicht Erlösung, Wollust, — ihnen nachstürzen, ihnen ins Antlitz schreien: Ihr Buben, ihr Schufte, schämt ihr euch nicht, schämt ihr euch nicht? … Aber zugleich weiß sie, daß sie es nicht tun wird. Sie fühlt, daß es nicht einmal der Mühe wert wäre, da sie doch entschlossen ist und entschlossen sein muß, einen Weg zu gehen, auf dem kein Schimpf und kein Hohn ihr zu folgen vermag. Nie wieder, nie kann sie, die Geschändete, irgendeinem Menschen vor Augen treten. Eines nunmehr hat sie auf Erden zu tun: von dem Einzigen Abschied zu nehmen, der ihr teuer ist — von ihrem Sohn! Von ihm allein. Aber natürlich ohne daß er es merkt. Nur sie wird es wissen, daß sie ihn für alle Ewigkeit verläßt, daß sie zum letztenmal die geliebte Kinderstirne küßt. Wie seltsam war es doch, solche Dinge zu denken, auf den Boden hingestreckt, regungslos. Träte jetzt irgendwer plötzlich ins Zimmer, er müßte mich unfehlbar für tot halten. Wo wird man mich finden? dachte sie weiter. Wie werd ich’s vollbringen? Wie werd ich dahingelangen, daß ich fühllos daliege, um niemals wieder zu erwachen?
Ein Geräusch im Vorzimmer machte sie erzittern. Hugo war nach Hause gekommen. Sie hörte ihn draußen auf dem Gang an ihrer Tür vorübergehen, die seine aufschließen; — und nun war es wieder still. Er war zurück. Sie war nicht mehr allein. Langsam, mit schmerzenden Gliedern erhob sie sich. Im Zimmer war es fast völlig dunkel; und die Luft schien ihr plötzlich unerträglich dumpf. Sie begriff nicht, warum sie eigentlich so lange auf dem Fußboden gelegen war und warum sie die Läden nicht schon früher geöffnet hatte. Hastig tat sie es nun, und vor ihr breitete sich der Garten, ragten die Berge, dämmerte der Himmel, und es war ihr, als hätte sie all das viele Tage und Nächte lang nicht gesehen. So wundersam friedvoll breitete sich die kleine Welt im Abend hin, daß auch Beate ruhiger wurde; zugleich aber fühlte sie eine Angst leise in sich aufsteigen, sie könnte durch diese Ruhe sich täuschen und verwirren lassen. Und sie sagte sich selbst: Was ich gehört habe, habe ich gehört, was geschehen ist, ist geschehen; die Ruhe dieses Abends, der Frieden dieser Welt ist nicht für mich; es kommt ein Morgen; der Lärm des Tages hebt wieder an, die Menschen bleiben böse und gemein und die Liebe ein schmutziger Spaß. Und ich bin eine, die es niemals mehr vergessen kann, nicht bei Tag und nicht bei Nacht, nicht in der Einsamkeit und nicht in neuer Lust, in der Heimat nicht und nicht in der Fremde. Und ich habe nichts mehr auf dieser Welt zu tun als meinem Buben einen Abschiedskuß auf die geliebte Stirne zu drücken und zu gehen. Was mochte er wohl jetzt allein in seinem Zimmer machen? Von seinem offenen Fenster aus floß ein matter Lichtschein über Kies und Rasen. Lag er am Ende schon zu Bett, — ermattet von den Freuden und Mühen seines Ausflugs? Ein Schauer lief ihr durch den Leib, seltsam gemischt aus Regungen der Angst, des Ekels, der Sehnsucht. Ja, sie sehnte sich nach ihm, aber nach einem andern, als der war, der da drin in seinem Zimmer lag und den Duft von Fortunatens Körper an dem seinen trug. Sie sehnte sich nach dem Hugo von einst, nach dem frischen reinen Knaben, der ihr einmal von dem Kuß des kleinen Mädels in der Tanzstunde erzählt hatte, nach dem Hugo, mit dem sie an einem holden Sommertag durch grüne Täler gefahren war, — und sie wünschte die Zeit zurück, da sie selbst eine andere war, eine Mutter, wert jenes Sohnes, und nicht ein Frauenzimmer, über das verdorbene Buben unflätig schwatzen durften, wie über die erstbeste Dirne. Ah, wenn es Wunder gäbe! Aber es gibt keine. Nie wird jene Stunde ungewesen sein, in der sie mit brennenden Wangen, auf schmerzenden Knien, mit durstigem Ohr der Geschichte ihrer Schmach — und ihres Glücks gelauscht hat; — noch in zehn, in zwanzig, in fünfzig Jahren, als uralter Mann wird sich Rudi Beratoner der Stunde erinnern, da er als junger Bursch auf einer weißen Bank im Garten der Frau Beate Heinold gesessen ist, und ein Schulkamerad ihm erzählt hat, wie er Nacht für Nacht bis zum grauenden Morgen bei ihr im Bett lag. Sie schüttelte sich, sie rang die Hände, sie sah zum Himmel auf, der mit totenstillen Wolken ihrem einsamen Weh entgegenschwieg und keine Wunder barg. Trüb verworren drang allerlei Geräusch von See und Straße zu ihr herauf, dunkel stiegen die