Скачать книгу

recht. Verzeihen Sie, Frau Baronin.«

      »Also, liebe Frau Heinold, ich wollte sagen: Wenn ich einen Sohn hätte, und er würde sich — zum Beispiel in eine Frau wie Sie verlieben, ich weiß nicht — ich glaube, ich könnte mir für einen jungen Menschen ein besseres Debüt gar nicht vorstellen.«

      Beate rückte den Sessel, als wollte sie aufstehn.

      »Wir sind doch hier Frauen unter uns«, meinte Fortunata beschwichtigend.

      »Sie haben keinen Sohn, Frau Baronin … und dann —« Sie hielt inne.

      »Ach ja, Sie meinen, es wäre dann auch noch ein gewisser Unterschied. Mag sein. Aber dieser Unterschied würde die Angelegenheit — für meinen Sohn — nur bedenklicher machen. Denn Sie, Frau Heinold, würden so eine Sache ja wahrscheinlich ernst nehmen. Hingegen ich — ich! Ja wirklich, je mehr ich es mir überlege, Frau Heinold, es wäre klüger gewesen, wenn Sie mit der entgegengesetzten Bitte zu mir gekommen wären. Wenn Sie mir Ihren Herrn Sohn« — und sie lächelte mit halbgeschlossenen Augen — »sozusagen ans Herz gelegt hätten.«

      »Frau Baronin!« Beate war fassungslos. Sie hätte schreien mögen.

      Fortunata lehnte sich zurück, kreuzte die Arme unter dem Kopf und schloß die Augen völlig. »Solche Dinge kommen nämlich vor« … Und sie begann zu erzählen. »Vor — leider recht vielen Jahren, irgendwo in der Provinz, da hatte ich eine Kollegin, die damals ungefähr so alt war, wie ich jetzt. Sie spielte das heroisch-sentimentale Fach. Zu der kam eines Tages die Gräfin … nun, der Name tut nichts zur Sache … Also ihr Sohn, der junge Graf, hatte sich in ein Bürgermädel verliebt, aus guter, aber ziemlich armer Familie. Beamte oder so was. Und der junge Graf wollte das Mädel durchaus heiraten. Dabei war er noch nicht zwanzig. Und die Gräfin Mutter — wissen Sie, was die kluge Dame tat? Eines schönen Tages erscheint sie bei meiner Kollegin und redet mit ihr … und bittet sie … Na — kurz und gut, sie arrangiert das so, daß ihr Sohn in den Armen meiner Kollegin das Bürgermädel vergißt und —«

      »Ich bitte, doch von solchen Anekdoten lieber abzusehen, Frau Baronin.«

      »Es ist keine Anekdote. Es ist eine wahre Geschichte, und eine sehr moralische obendrein. Eine Mesalliance wurde verhindert, eine unglückliche Ehe, vielleicht gar ein Selbstmord oder ein Doppelselbstmord.«

      »Mag sein«, sagte Beate. »Aber all das gehört doch gar nicht her. Ich bin jedenfalls anders als diese Gräfin. Und für mich ist der Gedanke ganz einfach unerträglich … unerträglich —«

      Fortunata lächelte und schwieg eine Weile, als wollte sie eine Beendigung des Satzes erzwingen. Dann sagte sie: »Ihr Sohn ist sechzehn … oder siebzehn?«

      »Siebzehn«, erwiderte Beate und ärgerte sich sofort, daß sie so gehorsam Auskunft erteilt hatte.

      Fortunata schloß die Augen halb und schien sich irgendeiner Vision hinzugeben. Und sie sagte wie aus einem Traum: »Da werden Sie sich wohl an den Gedanken gewöhnen müssen. Bin ich’s nicht, so ist es eine andere. — Und wer sagt Ihnen —« aus den plötzlich geöffneten Augen kam ein grünes Schillern — »daß es eine Bessere sein wird?«

      »Wollen Sie, Frau Baronin,« erwiderte Beate mit mühseliger Überlegenheit, »diese Sorge getrost mir überlassen.«

      Fortunata seufzte leise. Plötzlich schien sie ermüdet und sagte: »Nun, wozu länger darüber reden. Ich will Ihnen gern gefällig sein. Also, Ihr Herr Sohn hat nichts von mir zu fürchten — oder, wie man es vielleicht auch auffassen könnte, zu hoffen … Wenn Sie nicht« — und nun waren ihre Augen groß, grau und klar, »überhaupt auf einer falschen Fährte sind, Frau Heinold. Denn ich, ganz aufrichtig, nun, mir ist es bisher nicht aufgefallen, daß ich auf Hugo« — sie ließ den Namen langsam auf der Zunge zergehen — »einen sonderlichen Eindruck gemacht hätte.« Und sie sah Beate unschuldsvoll ins Gesicht. Diese, dunkelrot geworden, hatte die Lippen wortlos aneinander gepreßt. »Also, was soll ich tun?« fragte Fortunata schmerzlich. »Abreisen? Ich könnte ja meinem Gatten schreiben, daß mir die Luft hier nicht zusagt. Was glauben Sie, Frau Heinold?«

      Beate zuckte die Achseln. »Wenn Sie nur wirklich wollen, ich meine, wenn Sie die Güte haben wollten … sich um meinen Sohn nicht zu kümmern, … es wird ja nicht so schwer sein, Frau Baronin, Ihr Wort würde mir genügen.«

      »Mein Wort? Bedenken Sie nicht, Frau Heinold, daß in solchen Dingen Worte und Schwüre, oh, auch von andern Frauen, als ich eine bin, sehr wenig zu bedeuten haben?«

      »Sie lieben ihn ja nicht«, rief Beate plötzlich ohne alle Zurückhaltung aus. »Es wäre eine Laune, weiter nichts. Und ich bin seine Mutter. Frau Baronin, Sie werden mich einen solchen Schritt nicht vergebens haben tun lassen.«

      Fortunata stand auf, sah Beate lange an und streckte ihr die Hand entgegen. Sie schien sich mit einem Male überwunden zu geben. »Ihr Herr Sohn ist von dieser Stunde an für mich nicht mehr auf der Welt«, sagte sie ernst. »Verzeihen Sie, daß ich Sie so lange auf diese — selbstverständliche Antwort habe warten lassen.«

      Beate nahm ihre Hand und empfand in diesem Augenblick Sympathie, ja, eine Art von Mitleid für die Baronin. Fast fühlte sie sich versucht, mit einem Wort der Entschuldigung Abschied von ihr zu nehmen. Aber sie unterdrückte diese Regung, vermied es sogar, etwas auszusprechen, das wie ein Dank hätte klingen können und sagte nur ziemlich hilflos: »Nun, dann ist ja die Sache in Ordnung, Frau Baronin.« Und stand auf.

      »Sie wollen schon gehen?« fragte Fortunata in ganz gesellschaftlichem Ton.

      »Ich habe Sie lange genug aufgehalten«, erwiderte Beate ebenso.

      Fortunata lächelte, und Beate kam sich etwas dumm vor. Sie ließ es zu, daß die Baronin sie bis zur Gartentür begleitete, und reichte ihr hier nochmals die Hand. »Ich danke Ihnen für Ihren Besuch«, sagte Fortunata sehr liebenswürdig und fügte hinzu: »Wenn ich in der allernächsten Zeit nicht dazu kommen sollte, ihn zu erwidern, so werden Sie es mir hoffentlich nicht übelnehmen.«

      »Oh«, sagte Beate und erwiderte noch von der Straße her das freundliche Kopfnicken der Baronin, die an der Gartentüre stehengeblieben war. Unwillkürlich ging Beate rascher als sonst und hielt sich auf der ebenen Landstraße; sie konnte ja später auf den schmalen Waldpfad abbiegen, der steil und geraden Wegs zur Villa des Direktors führte. Wie steht’s nun eigentlich, fragte sie sich erregt. Bin ich die Siegerin geblieben? Sie hat mir wohl ihr Wort gegeben. Ja. Aber sagte sie nicht selbst, daß Frauenschwüre nicht viel bedeuten? Nein, sie wird es nicht wagen. Sie hat ja nun gesehen, wozu ich fähig bin. Die Worte Fortunatens klangen in ihr weiter. Wie sonderbar sie nur von jenem Sommer in Holland gesprochen hatte! Wie von einem Ausruhen und Aufatmen nach einer wilden, süßen, aber wohl auch schweren Zeit. Und sie mußte sich Fortunata plötzlich vorstellen im weißen Leinenkleid über dem nackten Leib an einem Meeresstrand dahinlaufend, wie von bösen Geistern gehetzt. Es mochte nicht immer schön sein, solch ein Dasein, wie es Fortunata beschieden war. In gewissem Sinn war sie wohl, wie manche Frauen ihrer Art, innerlich zerstört, verrückt und kaum verantwortlich für das Unheil, das sie anrichtete. Nun, sie konnte ja tun, was sie wollte, nur Hugo sollte sie gefälligst in Frieden lassen. Mußte es denn gerade der sein? Und Beate lächelte, als ihr einfiel, daß man ja der Frau Baronin, als Ersatz gewissermaßen, einen eben angelangten hübschen jungen Herrn namens Fritz Weber hätte anbieten können, mit dem diese wohl auch ganz zufrieden gewesen wäre. Ja, den Antrag hätte sie ihr stellen sollen. Wahrlich, das hätte diesem kostbaren Gespräch die letzte Würze gegeben! Was es doch für Frauen gab! Was für ein Leben die führten! So daß sie von Zeit zu Zeit in holländischen Fischerdörfern sich erholen mußten. Für andere wieder war das ganze Leben solch ein holländisches Fischerdorf. Und Beate lächelte ohne rechte Heiterkeit.

      Sie stand vor dem Parktor der Welponerschen Villa und trat ein. Vom Tennisplatz her, der sich ziemlich nah dem Eingang befand, durch das dünne Gesträuch, sah Beate weiße Gewänder schimmern, hörte die wohlbekannten Rufe und trat näher. Zwei Geschwisterpaare standen einander gegenüber: der Sohn und die Tochter des Hauses, neunzehn und achtzehn alt, beide dem Vater ähnlich, mit dunkeln Augen und starken Brauen, in Zügen und Gebärden die italienisch-jüdische

Скачать книгу