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versuchte unterbewusst, nur flach zu atmen. Das Große Feuer lag schon viele Jahre zurück, aber niemand konnte mit Bestimmtheit sagen, wie viel radioaktive Strahlung noch zurückgeblieben war. Als Alice zum ersten Mal die Geschichten über das Große Feuer und die furchtbaren Waffen jener Zeit hörte, hatte sie sich laut gefragt, wie viel von dem Wesen der Biter aus dem nuklearen Fallout resultierte und wie viel von dem herrührte, was der Auslöser für den Ausbruch gewesen war. Niemand schien darauf eine Antwort zu haben.

      Die meisten der Atombomben hatte man in der Luft gezündet, um die Biter einzuäschern, den Boden aber so gut wie möglich frei von Strahlung zu halten, aber niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob das funktioniert hatte.

      Ihr Vater hielt damals allem Anschein nach eine Führungsposition in der Botschaft inne, doch alles ging so schnell, dass selbst er nicht sagen konnte, wie es sich in den letzten Tagen zugetragen hatte.

      Sie hielten auf etwas zu, dass wie eine Öffnung im Boden aussah. Die Gerüchte über eine unterirdische Basis waren also noch untertrieben. Statt einer einzigen Anlage schienen die Biter über ein komplexes Netzwerk aus unterirdischen Tunneln und Stützpunkten zu verfügen. Alice versuchte, sich so viel wie möglich davon einzuprägen, um bei ihrer Rückkehr anderen mit dem Wissen helfen zu können. Der Gedanke daran, es wirklich wieder nach Hause zu schaffen, lenkte sie von der wachsenden Angst vor dem ab, was an ihrem Ziel auf sie warten würde.

      Ein dumpfes, wummerndes Geräusch am Horizont ließ sie erstarren. Sie hatte ähnliche Geräusche schon gehört, und früher waren es immer höchst ungute Vorzeichen gewesen. Doch heute konnte es ihre Rettung bedeuten. Hasenohr schob sie hinter die Trümmer einer Ruine, und dort versteckten sie sich vor den drei schwarzen Helikoptern, die in Sicht kamen. Als sie näher heranflogen, sah Alice, dass sich die meisten der Biter ebenfalls in Deckung begeben hatten – die meisten, aber nicht alle. Zwei Biter irrten verzweifelt umher und suchten Schutz. An einem der Helikopter glitt eine Tür auf, und zwei Männer mit Scharfschützengewehren an die Schultern gepresst lehnten sich heraus. Zwei Schüsse ertönten. Beide Biter sackten mit zerplatzten Köpfen zu Boden.

      Auf einmal sah Alice die rund um sie herum in Deckung kauernden Biter in einem völlig neuen Licht. Sie war mit der Vorstellung aufgewachsen, dass es tollwütige, bösartige Kreaturen waren, die vernichtet werden mussten, weil deren einziger Lebensinhalt darin zu bestehen schien, die Menschheit zu vernichten. Aber Hasenohr und die anderen wirkten überaus verängstigt. Ihre ehemals menschliche Intelligenz mochte ihnen abhandengekommen sein, aber in diesem Moment erinnerten sie eher an ein Rudel verschreckter Tiere als an bösartige, gnadenlose Tötungsmaschinen. Einige von ihnen zitterten sogar, als die Hubschrauber ihre Flughöhe verringerten.

      Alice erkannte das Zeichen mit dem goldenen Dreizack und dem Blitz an den Seiten der Helikopter, und wusste, welche Gruppe es repräsentierte: ZEUS.

      Manchmal hatte sie gehört, wie ihr Vater von privaten Militärfirmen erzählte und wie diese in dem Chaos vor dem Ausbruch an Macht und Einfluss gewannen. Vieles von dem, was sich die Erwachsenen erzählten, blieb für sie unverständlich, aber sie wusste, dass ZEUS die Mächtigste dieser neuen Armeen war und dass sie nach dem Zusammenbruch der Regierungen und dem Ausbruch noch an Macht dazu gewonnen hatte. Niemand wusste, wem sie unterstand, aber sie war die einzige sichtbar durchorganisierte und gut bewaffnete Armee da draußen. Alle paar Monate statteten sie den unabhängigen Siedlungen wie jener, in der Alice wohnte, einen Besuch ab, fragten nach Freiwilligen, die sich ihnen anschließen sollten, oder versuchten, die Siedler dazu zu zwingen, sich dem Zentralkomitee zu unterwerfen. Die Gründer dieses Zentralkomitees waren unbekannt, aber jene Leute kontrollierten ZEUS. Und jeder im Totenland wusste: Wer einmal deren Regeln akzeptierte, verlor damit seine Freiheit.

      Alice hatte Glück, in einer Ortschaft aufzuwachsen, die ihr Vater und die verbliebenen Truppen der zum Schutz der amerikanischen Botschaft in Neu-Delhi abkommandierten US-Marines gegründet hatten. Während andere Ortschaften des Totenlandes in den ersten Jahren nach dem Ausbruch eine leichte Beute für Plünderer und Biter darstellten, hatte ihre Siedlung erfolgreich Angriff um Angriff zurückschlagen können und sich so einen gewissen Ruf erworben. Mit ihnen war nicht zu spaßen. Trotzdem fühlte sich Alice stets unwohl, wenn ZEUS-Soldaten in ihren Ort kamen. Sie war hauptsächlich mit Berufssoldaten aufgewachsen oder Menschen wie ihrem Vater, die für die Sicherheit ihrer Familien kämpften. Die Trupps von ZEUS hingegen waren Söldner, und zeigten wenig Mitgefühl für die Menschen im Totenland. Wenn man sich ihnen nicht anschloss, überließen sie einen dem eigenen Schicksal, selbst wenn man von Bitern überrannt wurde.

      Von den Scharfschützen gedeckt seilten sich nun komplett in Schwarz gekleidete Männer ab und schwärmten aus. Alice wusste nur zu gut, welchen Ruf ZEUS hatte, aber im Moment blieben ihr nicht viele Möglichkeiten. Sie konnte sich entweder den Bitern als Gefangene einem ungewissen Schicksal ausliefern oder die Chance ergreifen, wieder nach Hause zu kommen, auch wenn das bedeutete, dass sie sich den Soldaten von ZEUS anvertrauen musste. Die Entscheidung lag auf der Hand.

      Sie wartete, dass die Soldaten näherkamen, denn sie wusste, dass Hasenohr und seine Freunde sie sicher umbringen würden, wenn sie sich zu früh bemerkbar machte. Sie wartete auf den geeigneten Moment, doch dann bot sich ohne ihr eigenes Zutun eine Gelegenheit.

      Ein weiblicher Biter in ihrer Nähe verlor die Nerven und rannte wild schreiend aus der Deckung. Zwei der ZEUS-Soldaten legten knieend ihre vollautomatischen Waffen auf sie an und schossen. Die Untote zuckte im Kreuzfeuer wie eine Marionette hin und her, bevor sie umkippte. Sie versuchte sich aufzurappeln, doch der Scharfschütze an Bord des Helikopters blies ihr mit einem Schuss den Kopf weg. Ein anderer Biter rannte auf die Tore zu, die in den Untergrund führten, und wurde von mehreren Schüssen durchsiebt. Den endgültigen Treffer übernahm wieder der Scharfschütze.

      Alice sah das alles mit an und erkannte, dass es kein Kampf mehr war, sondern ein Massaker.

      Hasenohr und die anderen hatten sich zusammengekauert, so als ob sie beraten würden, was nun zu tun sei. Da ergriff sie die Gelegenheit. Sie trat aus der Deckung, hoffte, dass die Soldaten sie nicht erschießen würden, und rief, so laut sie konnte: »Helft mir, ich bin ein Mensch!«

      Alices Augen weiteten sich, denn anstatt ihr zu Hilfe zu eilen, ging einer der ZEUS-Soldaten in die Knie und zielte mit seinem Gewehr auf sie. Etwas zog sie zur Seite, und Kugeln pfiffen an der Stelle durch die Luft, wo sie noch wenige Sekunden vorher stand. Hasenohr sah sie mit einem durchdringenden Blick an, bevor er sie weiter in die Deckung zog. Die Soldaten schienen nun zu verstehen, was vor sich ging, und die Tatsache, dass ein junges Mädchen von einer Horde Biter gefangen gehalten wurde, ließ sie handeln. Weitere Soldaten seilten sich aus den Helikoptern ab und hielten auf die Mauer zu, hinter der sich Alice nun versteckte.

      Hasenohr pfiff, ein ohrenbetäubendes Geräusch, bei dem sich Alice unwillkürlich die Ohren zuhielt. Als sie einen Blick aus ihrer Deckung riskierte, sah sie, was sein Signal bedeutete. Aus allen Richtungen strömten Biter aus den Ruinen heran und umzingelten die Soldaten. Die ZEUS-Trupps eröffneten das Feuer, und Alice sah mehrere Biter fallen, aber die restlichen kamen schnell näher. Ein paar von ihnen wurden von den Snipern in den Helikoptern mit präzisen Kopfschüssen ausgeschaltet.

      Alice war beeindruckt. Sie hatte selbst an Dutzenden von Gefechten teilgenommen und mindestens genau so viele als Späher oder im Rahmen ihres Trainings beobachtet. Nie waren ihr Zweifel gekommen, die Biter als etwas anderes zu sehen, als jene grausamen und schrecklichen Gegner, für die sie jeder hielt. Und sie hatte keinen Moment gezögert, ihr gesamtes Magazin dem untoten Weihnachtsmann in den Kopf zu jagen, der ihr bei einer Patrouille über den Weg gelaufen war.

      Doch als sie jetzt inmitten der Biter saß und einen Blick darauf erhaschte, wie der Kampf gegen die Menschen aus ihrer Sicht aussah, war die Sache eine andere. Natürlich blieben sie von Nahem betrachtet grauenerregend, mit ihrer Stärke, ihrer Unempfindlichkeit gegen Schmerzen und ihrer unbeirrbaren Gier nach Menschenfleisch. Aber in offenem Gelände wie hier, gegen trainierte Soldaten, waren sie nichts weiter als Kanonenfutter. Sie waren nicht imstande, irgendwelche Waffen zu benutzen, bewegten sich langsamer als Menschen, und ihre Intelligenz reichte nur für rudimentäre Taktiken.

      Die etwa zwölf ZEUS-Soldaten bildeten nun, Rücken an Rücken, dicht aneinandergedrängt, eine geschlossene Frontlinie

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