Скачать книгу

und eingeengt. Aber zumindest waren die Schritte hinter ihr verstummt, was sie aber nicht besonders überraschte. Eine Blitzgranate hielt die Biter nicht auf, aber sie wusste, dass die Biter das grelle Licht hassten und es sie zumindest ein wenig aufhalten würde. Außerdem war sie eine durchtrainierte junge Frau, die es locker mit den besten erwachsenen Läufern ihres Dorfes aufnehmen konnte. Die Biter, die sie verfolgten, waren zwar gefürchtet wegen ihrer ungehinderten Aggressivität, waren aber im Vergleich zu den geübten lebenden Läufern aufgrund ihres unkoordinierten, schlurfenden Ganges weitaus langsamer, weshalb sie ihnen stets mühelos davonlaufen konnte. Das Problem war eben nur, dass sie in deren Stützpunkt gefangen war und ihre Verfolger einfach nur darauf warten brauchten, dass ihre Kraftreserven zu Ende gingen.

      Als sie hinter sich entfernte Schritte zu hören glaubte, gab ihr die Angst neuen Antrieb und sie rannte weiter, die Hände in die Seiten gepresst, die wegen der Anstrengung schmerzten. Sie rannte gegen eine Wand, fiel hart auf den Rücken und musste feststellen, dass der Tunnel vor ihr eine Abzweigung genommen hatte. Sie schaute den Gang entlang und sah eine Tür, die von dem von der anderen Seite durchdringenden Lichtschein umrahmt wurde. Sie rannte darauf zu, und als sie näherkam, erkannte sie zu ihrem Erstaunen ein bekanntes Symbol, dass auf der Tür prangte. Es war ein Siegel, das einen Adler zeigte, der von Buchstaben eingefasst wurde, die bei dem spärlichen Licht kaum zu entziffern waren. Sie begann die Buchstaben zu lesen, doch nach dem U, dem N und dem I erkannte sie, dass sie nicht weiterlesen musste, um zu verstehen, was da stand. Sie hatte ähnliche Siegel auf alten Dokumenten gesehen, die ihr Vater in einer staubigen Kiste unter Verschluss hielt. Einmal hatte er davon erzählt, dass er vor dem Ausbruch in der Botschaft der Vereinigten Staaten in New Delhi gearbeitet hatte. Sie hatte wenig von dem verstanden, was er ihr zu erklären versucht hatte, aber die anderen Kinder in ihrer Siedlung hatten ihr erzählt, dass ihr Vater ein wichtiger Regierungsbeamter in der Alten Welt gewesen war. Sie erzählten ihr, dass sie und ihre Familie aus einem anderen Land namens Amerika stammten, und sie deshalb mit ihren blonden Haaren und ihrer hellen Haut so anders aussah als ihre braunhäutigen Freunde. Aber das spielte für sie keine Rolle, und auch für alle anderen nicht. Die alten Regierungen und Länder existierten längst nicht mehr. In der Gegenwart hatten alle Menschen, gleich welcher Herkunft, nur noch ein gemeinsames Ziel: im Angesicht der Scharen von Bitern zu überleben. Sie hatte Geschichten gehört, dass die früheren Nationen Kriege wegen der Götter, an die sie glaubten, geführt hatten, oder wegen der Gier nach Öl. Alice erinnerte sich, dass sie in der provisorischen Schule laut losgelacht hatte, als ihr Klassenlehrer ihnen aus jenen Tagen berichtete. Sie glaubte fest, dass ihr Lehrer das nur erfunden hatte. Wie nannten die Alten das noch gleich? Jene, die diese Bücher noch gelesen hatten, bevor die Untoten sich erhoben und die Welt zu brennen anfing.

      Genau, Märchen.

      Alice hörte Schritte hinter sich, und das brachte sie in die Realität zurück. Sie kämpfte mit der Tür und versuchte verzweifelt, sie aufzubekommen. Sie fand einen Griff, zog mit aller Kraft daran, und schließlich bewegte sie sich. Die gusseiserne Tür war so schwer, dass sie all ihre Kraft aufwenden musste, um sie einen Spalt weit zu öffnen, durch den sie hindurchschlüpfen konnte. Alice spähte durch die offene Tür zurück und hörte das Stöhnen, bevor sie Schatten im Tunnel auftauchen sah. Sie zog die Tür zu und hoffte, dass die Biter so dumm waren, wie man behauptete. Sie dachte an den alten Witz, wie viele Zombies man brauchte, um eine Tür zu öffnen …

      Alice schaute sich um. Der Raum, in dem sie sich befand, wurde von einer kleinen Kerosinlampe an der Decke erhellt und war gesäumt von Regalen, die randvoll mit Papier und Dokumenten vollgestopft waren. In einer Ecke stand ein kleiner Schreibtisch, und als sie näher herantrat, erkannte sie einige Zeitungen darauf. Sie hatte noch nie zuvor eine Zeitung gesehen und war fasziniert von den Worten und den Bildern. Sie brauchte die Worte nicht zu entziffern, um zu verstehen, worum es in den Berichten ging. Das waren Reliquien aus den letzten Tagen des Ausbruchs und dessen Folgen. Es gab körnige Fotos von den ersten Untoten, und sie konnte sich vorstellen, dass sie für diejenigen, die so etwas noch nie zuvor gesehen hatten, sicher ein ganz besonderer Anblick waren. Dann gab es Fotos von verbrannten Städten – die Überbleibsel des Großen Feuers, das die Regierungen in unzähligen Städten entfesselt hatten, als alles verloren schien. Das war die karge, trostlose Welt, die Alice als ihr Zuhause kannte – das Ödland außerhalb Neu-Delhis, wo Millionen Menschen durch die Biter und Abermillionen durch die Regierungen starben, welche die Seuche mit Nuklearwaffen einzudämmen versuchten. Die Menschen hatte die Erde lieber zerstört, anstatt sie herzugeben. Aber ganz war es ihnen nicht gelungen, und so war in den Feuern der Apokalypse ein neuer Überlebenskampf entbrannt zwischen den Menschen und den Untoten des Ödlandes, dass man mittlerweile einfach nur noch das Totenland nannte.

      Alice war so fasziniert von all dem, dass sie völlig vergessen hatte, wo sie sich befand, und sie schrie vor Schreck auf, als sie feststellen musste, dass da noch eine andere Tür war, halb von einem Stuhl verdeckt und einen Spaltbreit offen. Sie konnte schlurfende Schritte dahinter hören und wusste, dass ihr Fluchtweg in Wahrheit nichts anderes als eine Todesfalle war.

      Sie zog die Pistole aus ihrem Gürtel, und während sie diese entsichern wollte, stellte sie erschrocken fest, dass sie in all dem Chaos vergessen hatte, nachzuladen. Die Schatten drangen bereits zur Tür herein, und Alice wusste, dass ihr dafür keine Zeit mehr blieb. Sie nahm das Scharfschützengewehr von ihrer Schulter. Die Waffe war für lange Distanzen gemacht und würde ihr in der kleinen Kammer nichts nützen, aber sie ließ sich vielleicht noch auf andere Art einsetzen.

      Schon von Kindestagen an wollte sich Alice immer ins Getümmel stürzen. Ihre Eltern wurden nicht müde, auf sie einzureden, dass sie sich zurücknehmen müsse, anstatt bei jedem Kampf dabei zu sein. Aber als sie einmal während eines Nachtangriffs zwei Biter erschoss, hatte sich ihr Vater später tüchtig betrunken, um den Sieg zu feiern, und ihr gesagt, dass er ihr Temperament liebe und sie niemals, egal wie aussichtslos es sein möge, ihrer Angst nachgeben dürfe. Im Angesicht der Untoten Angst zu zeigen bedeutete den sicheren Tod, oder – schlimmer noch – einer von ihnen zu werden.

      Alice erinnerte sich an die Worte ihres Vaters, und ihre Angst schmolz dahin. Sie wusste, dass die Biter darauf aus waren, jeden Menschen, den sie fanden, zu beißen und zu einem von ihnen zu machen, aber auch, dass es vorkam, dass sich Menschen so sehr wehrten, dass die Zombies wütend wurden und ihre Gegner zerfleischten, anstatt sie zu Untoten zu machen.

      Lieber tot als untot.

      Das war das Motto der Schule, in der man sie Überlebens- und Kampftechniken gelehrt hatte. Die Kinder früher hatten mit Spielsachen gespielt oder Fernsehen geschaut, Alice hingegen hatte mit Waffen und Sprengstoff gespielt und gelernt, auf welche Weise man die Untoten am Effektivsten ausschalten konnte.

      Sie schwang das Gewehr jetzt vor sich her wie einen Knüppel und malte scharfe Kreise in die Luft. Drei Biter betraten den Raum, und als der erste nach ihr griff, zog sie ihm das Gewehr über den Kopf, warf sich gegen ihn und ließ ihn über seine eigenen Beine stolpern. Als Nächstes war eine untersetzte Frau an der Reihe. Sie trug ein verwittertes Wickelgewand und einen wenig dazu passenden riesigen Diamantohrring im linken Ohr. Ihr rechtes Ohr fehlte. Alice vollführte einen Roundhouse-Kick und ließ Miss Ohrring zurücktaumeln. Dann drehte sie das Scharfschützengewehr in ihrer Hand herum und feuerte einen einzelnen Schuss ab, der ihren Kopf zerplatzen ließ. Der dritte Biter, ein großer Mann ohne Unterkiefer, hatte es beinahe bis zu ihr geschafft, doch sie erwischte ihn im Gesicht mit einem harten Stoß des Gewehrkolbens. Biter mochten keinen Schmerz spüren, aber es brachte ihn genug aus dem Gleichgewicht, dass Alice ein paar Schritte zurückspringen und ihn mit einem weiteren Schuss in die Brust treffen konnte. Nur ein Kopfschuss konnte einem Biter den Garaus machen, aber ein Scharfschützengewehr mit der Durchschlagskraft wie das ihre richtete beeindruckenden Schaden an, egal wo die Kugel einschlug. Der Biter taumelte zurück, in seiner Brust klaffte ein riesiges Loch. Alice wusste, dass sie ihn gleich wieder am Hals haben würde und versuchte, die Waffe nachzuladen.

      In diesem Moment jedoch spürte sie, wie etwas feuchtkaltes ihren rechten Arm packte. Der Griff war so stark, dass sie aufschrie und das Gewehr fallen ließ. Hasenohr war zurück und wollte ihr in den Arm beißen. Alice trat gegen sein Schienbein, aber er ließ sich nicht beirren und kam näher, bereit, seine Zähne in ihr Fleisch zu graben und sie zu einer von ihnen zu machen.

      Alice

Скачать книгу