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der La­ter­ne über dem Hof­tor. Die Erb­sen­blü­ten auf dem Tisch be­gan­nen zu wel­ken und misch­ten ih­ren star­ken sü­ßen Duft in den fa­den Staub­ge­ruch, der rings­um von den al­ten Sa­chen auf­stieg. Drau­ßen – im La­den – sang Ida mit hei­se­rer Kin­der­stim­me ein Lied, im­mer die­sel­be schar­fe, trau­ri­ge No­ten­fol­ge.

      Am­bro­si­us schwieg. Die bei­den Lie­ben­den hat­ten sich in einen al­les ver­ges­sen­den Traum hin­ein­ge­wiegt. Rosa hat­te kei­nen Ge­dan­ken, fast kein Be­wusst­sein ih­rer selbst, als Am­bro­si­us sie in sei­ne Arme nahm und durch das Zim­mer trug. Es war ihr, als wür­de sie von ei­nem lau­en, sanft rau­schen­den Was­ser fort­ge­tra­gen – weit fort. Drau­ßen, im be­rau­schen­den Hauch der Som­mer­nacht, hat­te sie wi­der­stan­den, hier, in der en­gen, dump­fen Tröd­ler­stu­be, gab sie sich hin. Der durch­drin­gen­de süße Duft der Erb­sen­blü­te be­täub­te sie halb – und in die schwü­le Luft die­ser Lie­bes­stun­de dräng­ten sich – wie Fie­ber­träu­me – die Vi­sio­nen brei­ter, lär­men­der Stra­ßen, hell er­leuch­te­ten Säle, und dann kam wie­der, wie aus wei­ter Fer­ne, Idas schar­fe, säu­er­li­che Stim­me mit ih­rem schläf­ri­gen Lied.

      Am Abend hat­te es zu reg­nen an­ge­fan­gen. Als Rosa auf die Stra­ße hin­austrat, schlu­gen ihr große kal­te Trop­fen so hef­tig in das Ge­sicht, dass es schmerz­te. Dazu feg­te noch ein hef­ti­ger Wind durch die Gas­sen, rüt­tel­te an den Blech­schil­den der Lä­den und ließ den Re­gen laut auf die Dä­cher trom­meln. Rosa lief; die­ses Pfei­fen, Klat­schen und Lär­men er­schreck­te sie; fast hät­te sie den Weg nach Hau­se nicht ge­fun­den, so wir­re dreh­ten sich die Ge­dan­ken in ih­rem Kopf. Die feuch­ten Stra­ßen, der zu­cken­de Wi­der­schein der La­ter­nen auf den Plät­zen, die Fens­ter, durch die man in fried­lich er­leuch­te­te Wohn­stu­ben blick­te, wo Fa­mi­li­en ru­hig um die Lam­pe ver­sam­melt wa­ren – al­les zog an Rosa vor­über wie blas­se, frem­de Traum­bil­der, wie jene Vi­sio­nen, die sich so selt­sam im­mer wie­der in den Sin­nen­rausch hin­ein­ge­scho­ben hat­ten. In ih­ren Ohren klang Idas Lied ei­gen­sin­nig fort, und auf ih­rem Kör­per glaub­te sie noch Am­bro­si­us’ hei­ße Hän­de und Lip­pen zu spü­ren. Atem­los rann­te sie vor­wärts, erst vor ih­rer Woh­nung blieb sie einen Au­gen­blick ste­hen und sann – dann stieg sie lang­sam die Trep­pe hin­an.

      Der Flur und das Wohn­zim­mer wa­ren fins­ter, nur in der Kü­che brann­te das Feu­er. Durch die halb of­fe­ne Türe sah Rosa Ag­nes ste­hen, sie muss­te ge­hört ha­ben, dass die Türe ge­öff­net wur­de, denn ohne sich um­zu­wen­den frag­te sie: »Rosa – bist du’s?«

      »Ja«, er­wi­der­te Rosa. Ohne Hut und Man­tel ab­zu­le­gen, blieb sie im Flur ste­hen und schau­te in die Kü­che hin­ein. Die­ser matt vom klei­nen Herd­feu­er er­leuch­te­te Raum mit sei­nen däm­me­ri­gen Ecken, in de­nen zu­wei­len auf ei­nem Kup­fer­ge­rät ein ro­ter Blitz er­wach­te, Ag­nes in ih­rem grau­en Klei­de, ih­rer großen wei­ßen Hau­be, dazu das be­hag­li­che Pras­seln in der Pfan­ne auf dem Her­de – das er­griff Rosa – mach­te sie trau­rig und tat ihr doch wohl.

      »Der Va­ter ist fort­ge­gan­gen«, be­rich­te­te Ag­nes, noch im­mer ohne sich nach Rosa um­zu­dre­hen. »Er hat auf dich ge­war­tet. Als du nicht kamst, ging er in den Klub. Er hat nichts ge­ges­sen, mein­te nur, ich soll das Es­sen für dich warm­hal­ten.«

      Rosa stand re­gungs­los da und schwieg.

      »Wo warst du denn?« fuhr Ag­nes fort. »Du weißt doch, dass er al­lein nichts es­sen mag und dass es ihm nicht gut ist, ohne Nacht­mahl fort­zu­ge­hen. Du könn­test auch an den Va­ter den­ken. Was du drau­ßen bei dem Wet­ter zu su­chen hast, weiß ich nicht, aber du soll­test we­nigs­tens zur Zeit wie­der da sein. Wer läuft denn bei Nacht auf den Stra­ßen her­um!« Ag­nes schüt­tel­te die Pfan­ne, dass es är­ger­lich in ihr auf­zisch­te. Rosa wand­te sich ab und ging in ihr Zim­mer hin­über, sie war gänz­lich durch­näßt und muss­te die Klei­der wech­seln. In ih­rem Zim­mer aber fühl­te sie sich zu er­schöpft, um die Ker­ze an­zu­ste­cken. Sie setz­te sich im Fins­tern auf ihr Bett und brü­te­te vor sich hin, folg­te wie­der wil­len­los der Jagd ih­res hei­ßen Blu­tes, das ihr in den Schlä­fen und in der Brust häm­mer­te und brann­te. So fand sie Ag­nes, als sie ins Zim­mer trat. An­fangs schalt sie: Wa­rum saß Rosa im Fins­tern? Wa­rum ließ sie das Es­sen kalt wer­den? Als sie aber Rosa nä­her be­trach­te­te, er­schrak sie. »Ge­rech­ter Gott! Was ist dem Kin­de? Du bist ja ganz nass? Hat man so et­was ge­se­hen? Nur schnell an­de­re Klei­der.« Ei­lig zog sie Rosa die nas­sen Klei­der aus, im­mer halb­laut vor sich hin­brum­mend. »So – so! Ganz kalt ist das Kind. Ei – ei – die Füße wie Eis.« Ge­schäf­tig lief sie in die Kü­che, um die Wä­sche am Herd­feu­er zu wär­men. »Ganz war­me St­rümp­fe, die wer­den gut­tun. Nicht wahr, die sind heiß?« Sie knie­te nie­der, zog Rosa die St­rümp­fe an. Die müt­ter­li­che Sorg­falt, die sich warm und lie­bend ih­rer be­ben­den, er­starr­ten Glie­der an­nahm, tat Rosa sehr wohl, und als sie – wie­der tro­cken und be­hag­lich an­ge­klei­det – da­saß, blick­te sie müde und dank­bar lä­chelnd zu Ag­nes auf. »Nun wird es recht sein«, mein­te die alte Frau. »Bis auf das Hemd nass zu wer­den, du lie­be Zeit! Das wird einen Schnup­fen ge­ben! Komm, iss schnell et­was War­mes.«

      Im Spei­se­zim­mer brann­te die Hän­ge­lam­pe. Vor Ro­sas Ge­deck pras­sel­ten die Schweins­ripp­chen in ih­rer Schüs­sel noch sach­te fort, da­ne­ben stand ein Tel­ler mit Ap­fel­tört­chen und eine Fla­sche Rot­wein. »Komm – iss«, dräng­te Ag­nes.

      Rosa war hung­rig. Sie aß und trank mit wah­rer Lust; lan­ge schon hat­te es ihr nicht so gut ge­schmeckt. Ag­nes lehn­te am Büf­fet und schau­te ihr be­däch­tig zu. Die­ser ru­hi­ge, for­schen­de Blick war Rosa un­be­quem; las ihr die alte Frau nicht al­les, was sie er­lebt hat­te, vom Ge­sicht ab? Sie beug­te ih­ren Kopf tiefer auf den Tel­ler nie­der und aß has­tig wei­ter.

      »Nicht so schnell, lass dir Zeit«, mahn­te Ag­nes ein­mal.

      »Ich bin fer­tig«, sag­te Rosa end­lich und blick­te auf; da Ag­nes sie aber wie­der so ernst an­schau­te, er­rö­te­te sie und schlug die Au­gen nie­der.

      »Das hat ge­schmeckt«, ver­setz­te Ag­nes und ver­such­te zu lä­cheln. »Geh jetzt zu Bett, Kind!«

      Als Rosa wie­der al­lein in ih­rem Zim­mer war, ward sie von ban­gen, schmerz­vol­len Ge­dan­ken be­drängt. Soll­te sie zu Ag­nes hin­aus­ge­hen? Die Ge­gen­wart der al­ten Wär­te­rin flö­ßte ihr im­mer noch das be­ru­hi­gend si­che­re Ge­fühl ein, wie sie es als Kind emp­fand, wenn die klei­ne Rosa durch alle Schreck­nis­se der fins­te­ren Wohn­stu­be glück­lich in die Kü­che ge­langt war und sich an Ag­nes’ Schür­ze hän­gen durf­te. Aber Ag­nes hat­te sie heu­te so streng an­ge­se­hen – Rosa er­trug die­sen Blick nicht. Sie leg­te sich zur Ruhe – sie fühl­te sich wie zer­schla­gen. Wüst und furcht­bar er­schie­nen ihr jetzt die Vor­gän­ge im Tröd­ler­hau­se, und das Fie­ber, das sich beim Ge­dan­ken an jene Stun­de in ih­rem Blut ent­zün­de­te, war ihr un­heim­lich und wi­der­wär­tig. Dazu noch der kom­men­de Tag mit sei­nen Aben­teu­ern, sei­nen Ge­fah­ren. Nein, sie wür­de ge­wiss nicht den Mut fin­den, all das aus­zu­füh­ren! Plötz­lich er­wach­te in ihr die Lie­be für ihre enge Hei­mat, für die be­hag­li­che Welt, in der Ag­nes Stock­mai­er re­gier­te. Ja – warm im Nes­te sit­zen, sich von Ag­nes pfle­gen las­sen – da war man si­cher und gut auf­ge­ho­ben!

      Im Ne­ben­zim­mer ging Ag­nes ab und zu, rück­te den Tisch, klap­per­te mit

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