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man’s nimmt. Vo­ri­ge Nacht ha­ben wir bis drei Uhr ge­k­neipt.«

      »Schä­men Sie sich«, mahn­te Rosa freund­lich. »Wo­von spra­chen Sie denn bei die­sem wil­den Ge­la­ge?«

      »Oh, von man­cher­lei! Von Ih­nen, Rosa, war auch die Rede.«

      »Das ver­bit­te ich mir. Mein Name soll bei sol­chen – un­so­li­den – Knei­pe­rei­en nicht ge­nannt wer­den.«

      »Er wird mit großer Be­wun­de­rung ge­nannt«, wand­te Her­weg ein.

      »Ich mag es nicht«, ei­fer­te Rosa wei­ter. »Was ha­ben Sie von mir zu spre­chen? Sa­gen Sie mir das, Koll­hardt.«

      »Eine gan­ze Men­ge!«

      »Nun was denn?«

      Her­weg ward ver­le­gen und dreh­te zer­streut den blon­den Zopf in sei­ner Hand, Rosa aber ent­zog ihn ihm, wie man ei­nem Kin­de, das sei­ne Lek­ti­on her­sa­gen soll, ein Spiel­zeug aus der Hand nimmt. »Sa­gen Sie doch«, wie­der­hol­te sie.

      »Ich trin­ke auf Ihr Wohl.«

      »Was mir das nüt­zen wird! Nun gut! Was wei­ter?«

      »Nun – ich sage, dass Sie hübsch sind, sehr hübsch.«

      »Wie alt­mo­disch!«

      »Wie­so alt­mo­disch?«

      »Gleich­viel«, dräng­te Rosa. »Was noch?«

      »Ich spre­che von mei­ner Lie­be.«

      »Da­von spricht man nicht bei Knei­pe­rei­en. Und dann, Ihre Lie­be, Koll­hardt; das ist ja Un­sinn.«

      »Durchaus nicht!« rief Her­weg has­tig. »Ich lie­be Sie wirk­lich! Das wis­sen Sie ja. Ich wür­de mich sonst doch nicht all den Unan­nehm­lich­kei­ten mit dem Di­rek­tor aus­set­zen.«

      Rosa zuck­te die Ach­seln, und den­noch leuch­te­te die­ser Be­weis ihr ein. Nun schwie­gen bei­de. Her­weg schau­te sei­ne Ge­lieb­te un­ver­wandt an und lä­chel­te be­hag­lich. Zu­wei­len be­rühr­te er be­hut­sam mit ei­nem Fin­ger Ro­sas Hand oder strich sanft über den grau­en Som­mer­man­tel. Rosa ach­te­te nicht dar­auf, son­dern zog auf­merk­sam mit ih­rem Ab­satz eine tie­fe Fur­che in den Sand. Her­weg be­gann wie­der zu spre­chen, mach­te die Be­mer­kung, der Kell­ner Hein­rich ste­he dort an der Säu­le, wie ein Affe, der Prü­gel be­kom­men hat; er mach­te Rosa auf die alte Dame auf­merk­sam, die, in ih­rem Spa­zier­gang in­ne­hal­tend, mit schril­ler, kla­gen­der Stim­me »Max, Max!« rief und mit ei­nem Tu­che wink­te: »Eine tol­le Schrul­le! Ihren Hund Max zu nen­nen! So et­was kann sich auch nur eine alte Jung­fer aus­den­ken! Tref­fe ich das Vieh ein­mal al­lein, dann soll es…« Die Un­ter­hal­tung woll­te doch nicht in Gang kom­men. Läh­mend und er­schlaf­fend leg­te sich auch über die bei­den Kin­der die schläf­ri­ge Mit­tags­ru­he; jene trä­ge, laut­lo­se Ruhe, die wie ein flim­mern­der Schlei­er sich über das Gras und den Kies, über die Hü­gel und Bäu­me, über das Schwei­zer­haus, den Kell­ner Hein­rich und die alte Dame brei­te­te, die jetzt stumm und re­gungs­los da­stand, ein­sam und ge­fasst, denn Max kam nicht; jene Ruhe, die mit ih­rer son­ni­gen Lan­ge­wei­le über dem Schul­ge­bäu­de brü­te­te und so weit das Auge reich­te, wie die Ge­gen­wart des Schul­di­rek­tors, jede leb­haf­te Be­we­gung un­ter­drück­te, als woll­te sie eine Stö­rung des Schul­un­ter­rich­tes ver­mei­den. Die gan­ze Na­tur war still, warm und stau­big wie eine Schul­stu­be; zu­wei­len nur rief eine Feld­gril­le ih­ren klei­nen tro­ckenen Ton in das Schwei­gen hin­ein, und er klang dann wie das Knar­ren ei­ner Fe­der in ei­ner trä­gen Schü­ler­hand.

      Rosa und Her­weg sa­ßen noch eine Wei­le bei­ein­an­der, bis die Turm­uhr des Gym­na­si­ums einen hei­se­ren Schlag von sich gab. Da trenn­ten sie sich. Her­weg nahm Ro­sas Hand und sag­te ge­fühl­voll: »Le­ben Sie wohl, Rosa. Ich seh’ Sie doch bald?« Rosa nick­te und stäub­te noch mit ei­ni­gen kräf­ti­gen Schlä­gen Her­wegs Rock ab. Dann gin­gen sie aus­ein­an­der.

      Rosa muss­te wie­der zur Schul­stra­ße zu­rück, um zu ih­rer Woh­nung zu ge­lan­gen. Nach­denk­lich schwenk­te sie ihre Schul­map­pe und blick­te zu den Häu­ser­gie­beln auf, die schläf­rig über die Kas­ta­ni­en auf sie her­ab­sa­hen. Hier und dort mach­te ein ge­öff­ne­tes Fens­ter ein schwar­zes Loch in das licht­vol­le Bild, gleich­sam ein Mund, der in den All­tag hin­ein­gähn­te. – Sie dach­te an Her­weg und war un­zu­frie­den mit ihm. Die große, plum­pe Ge­stalt; Gott, und die plat­ten Fra­gen, die er tat; und das schüch­ter­ne Strei­cheln ih­rer Hän­de und Zöp­fe! Ge­wiss, es war lä­cher­lich, und sie lä­chel­te. Dann seufz­te sie wie­der.

      Ro­sas Woh­nung lag im zwei­ten Stock. Aus ei­nem Fens­ter des­sel­ben schau­te Herr Herz nach sei­ner Toch­ter aus, und als er sie er­blick­te, nick­te er ihr zu, je­nem selt­sa­men Dran­ge fol­gend, vom Fens­ter aus sich ei­nem Be­kann­ten auf der Stra­ße be­merk­bar zu ma­chen, wenn es auch nicht den ge­rings­ten Zweck hat. Rosa war zu sehr an die­ses ni­cken­de wei­ße Haupt ge­wöhnt, um dar­auf zu ach­ten. Sie stieg ge­mäch­lich die Trep­pen hin­an und frag­te beim Ein­tre­ten in das Wohn­zim­mer statt je­den Gru­ßes streng, ob das Es­sen an­ge­rich­tet sei. »Frei­lich«, sag­te Herr Herz und ver­such­te mit zwei Fin­gern die Wan­ge sei­ner Toch­ter zu tät­scheln, die Wan­ge aber ent­zog sich ihm, und so fuh­ren die bei­den Fin­ger zärt­lich im Lee­ren hin und her.

      Das Ge­mach trug noch al­lent­hal­ben das Ge­prä­ge sei­ner frü­he­ren Her­rin. Über­all stan­den wun­der­li­che, nutz­lo­se Sä­chel­chen um­her, die sich um ein­sa­me alte Frau­en­zim­mer an­zu­sam­meln pfle­gen: un­be­greif­li­che Un­ge­heu­er aus Wol­le und Sei­de, bun­te Por­zel­lan­fi­gür­chen, ganz zweck­lo­se Kör­be aus Schmel­zen, ver­wit­ter­te Pa­pier­blu­men, die viel­leicht einst je­man­den ge­schmückt oder an ir­gend et­was er­in­nert hat­ten; jetzt stan­den sie ab­ge­schmackt und nichts­sa­gend da und wuss­ten nicht, warum sie auf der Welt sei­en; ver­staubt und un­be­ach­tet wa­ren sie, tot – wie ihre Her­rin.

      Vie­le brei­te, schwer­fäl­li­ge Mö­bel aus Ma­ha­go­ni­holz, mit ei­nem Über­zug von schwarz und ro­tem Wol­len­stoff, be­eng­ten das Ge­mach. Ein Da­guer­reo­typ, den Schus­ter­meis­ter Herz dar­stel­lend, hing über der Kom­mo­de; man konn­te dar­auf je­doch nur den großen wei­ßen Hals­kra­gen un­ter­schei­den. Auf der Kom­mo­de stand die Fa­mi­li­en­bi­blio­thek: sechs Bän­de Zschok­kes No­vel­len, Ar­enths An­dachts­buch, Schil­lers Ge­dich­te und drei Jahr­gän­ge ei­ner il­lus­trier­ten Zeit­schrift. Un­ter man­chen Re­li­qui­en aus der Zeit des Fräu­lein Ina lag auch ein klei­ner wei­ßer At­las­schuh, an der Spit­ze mit ei­ner Ro­sen­knos­pe ge­schmückt. Er war das ein­zi­ge, was Rosa von ih­rer Mut­ter ge­erbt hat­te.

      Ne­ben dem Wohn­ge­mach be­fand sich das Spei­se­zim­mer, ein schma­les Recht­eck; sechs Rohr­stüh­le, ein runder Ei­chen­tisch, ein Schrank mit Gla­stü­ren und ein großes Buf­fet aus Birn­holz füll­ten den Raum, in dem Herr Herz und sei­ne Toch­ter sich zum Mit­tags­mahl nie­der­setz­ten.

      Herr Herz schöpf­te die Sup­pe vor und zer­leg­te sehr ge­wandt den Bra­ten, da­bei war er eif­rig um die Un­ter­hal­tung be­müht. »Heu­te«, sag­te er und leg­te Rosa ein Stück Bra­ten auf den Tel­ler, »wäh­rend ich drau­ßen im Hof Un­ter­richt er­teil­te, sah ich eine ver­deck­te Kut­sche den Weg hin­ab­fah­ren. Du hast wohl nichts ge­hört?«

      »Nein. Je­mand vom Lan­de?« be­merk­te Rosa.

      Herr

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