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ein leich­tes Hin- und Her­schwan­ken, eine freie, sorg­lo­se Be­we­gung gab, wie man sie oft bei Kna­ben aus dem Vol­ke fin­det, de­ren Glie­der nie durch einen Zwang be­engt wer­den. Die blon­den Haa­re flat­ter­ten un­ter dem ver­bo­ge­nen Hute her­vor; sie wa­ren zu leicht, um lan­ge Ord­nung hal­ten zu kön­nen. Un­ter der ge­ra­den, run­den Nase stand ein sehr be­weg­li­cher Mund mit ein we­nig brei­ten, sinn­li­chen Lip­pen; die Mund­win­kel je­doch wa­ren ganz spitz und hin­auf­ge­bo­gen, was dem Ge­sich­te et­was Klu­ges, Nach­denk­li­ches ver­lieh. Die Au­gen aber wa­ren es, die die­sem Mäd­chen jene fri­sche Klar­heit ga­ben, die den Ge­samtein­druck ih­rer Per­sön­lich­keit bil­de­te; run­de, hell­blaue Au­gen un­ter röt­li­chen Au­gen­brau­en; ein Blau, das für Licht und Freu­de so emp­fäng­lich und ei­nes in­ten­si­ven, fast schar­fen Glan­zes fä­hig ist.

      Lang­sam schritt Rosa an den Gar­ten­zäu­nen der en­gen Gas­se ent­lang. Ei­ner Kinds­magd, die auf ei­nem Gar­ten­we­ge mit ei­nem Kin­de spiel­te, wink­te sie einen Gruß zu, sang einen Lie­der­vers mit tiefer Stim­me vor sich hin und pflück­te zer­streut die son­nen­war­men Blät­ter von den He­cken, um sie wie­der zu ver­streu­en.

      Die »Schul­gas­se« mün­de­te in den »Stadt­gar­ten« – den Stolz der Bür­ger­schaft: ein an­mu­ti­ges Stück Ra­sen­land, nied­ri­ge, künst­lich auf­ge­führ­te Hü­gel; eine grün an­ge­stri­che­ne Hän­ge­brücke; klei­ne Lau­ben al­ler­ort, run­de Plät­ze, mit jun­gen Kas­ta­ni­en und Lin­den be­setzt. Auf der West­sei­te ward der Gar­ten von ei­nem Flus­se be­grenzt, der, in enge, hohe Ufer ein­ge­zwängt, hier eine wun­der­li­che Strom­schnel­le bil­de­te. Auf der Nord­sei­te er­hob sich der brei­te rote Back­stein­bau des Gym­na­si­ums mit sei­nem un­be­hol­fe­nen acht­e­cki­gen Turm und sei­nem ge­räu­mi­gen Hof, auf dem sich die Schü­ler in frei­en Au­gen­bli­cken tum­meln durf­ten.

      Rosa bog in einen Kies­weg des Stadt­gar­tens ein, späh­te von ei­ner An­hö­he in den lee­ren Schul­hof hin­ab und be­gab sich dann in eine Flie­der­lau­be, um dort auf der Bank aus­zu­ru­hen. Den Hut schob sie von der hei­ßen Stirn in den Na­cken, streck­te die schlan­ken, sieb­zehn­jäh­ri­gen Bei­ne ge­ra­de von sich und hol­te aus der Ta­sche ih­res Man­tels ein Buch her­vor, das einen grau­en Ein­band und auf dem Rücken einen gel­ben Zet­tel mit ei­ner Num­mer hat­te. Zu­wei­len, wenn sie an einen Ab­satz ge­lang­te oder die Sei­te um­wand­te, er­hob sie den Kopf und blick­te in den Gar­ten hin­aus. Die­ser lag fried­lich, in Son­nenglanz ge­ba­det, vor ihr. Das Grün des Ra­sens ward von ei­nem Staub­schlei­er be­deckt, der ihm einen gelb­li­chen An­flug gab. Die Baum­grup­pen auf den Hü­geln mal­ten große dun­kel­grü­ne Fle­cken auf das sat­te Him­mels­blau. Ein Häu­schen mit ei­ner Holz­ve­ran­da lag am Ein­gan­ge des Gar­tens, rote Buch­sta­ben auf ei­nem wei­ßen Schil­de ver­kün­de­ten, dass hier Ver­kauf von Wein und Bier statt­fin­de. Ein Kell­ner lehn­te mü­ßig an ei­ner Holz­säu­le der Ve­ran­da, den Rücken der Son­ne zu­ge­kehrt, die den ab­ge­tra­ge­nen Frack wie Me­tall er­glän­zen ließ.

      Auf dem brei­ten Kies­weg ging eine alte Dame lang­sam auf und ab, bei je­dem Schrit­te mit dem Kop­fe ni­ckend. Zer­streut schau­te Rosa über all das hin­weg, und wenn sie sich wie­der auf ihr Buch nie­der­beug­te, ho­ben sich ihre Brau­en mit leich­tem, miss­mu­ti­gem Zu­cken. Sie er­war­te­te je­man­den, des­sen Aus­blei­ben ihr ver­ächt­lich er­schi­en.

      Na­tür­lich! War Ro­sas Platz in der Töchter­schu­le leer, so muss­te auch in der Se­kun­da des Gym­na­si­ums eine Lücke sein. Hat­te Rosa es für gut be­fun­den, lie­ber im Stadt­gar­ten als auf der Schul­bank ihre Zeit zu ver­brin­gen, so wäre es von Her­weg Koll­hardt fei­ge und lä­cher­lich ge­we­sen, bei den Bü­chern zu blei­ben. Er ließ sich die­ses Ver­ge­hen nicht zu­schul­den kom­men; ihm fehl­te je­doch bei der Aus­füh­rung sei­ner Flucht jene küh­ne Ruhe, die man an Rosa be­wun­dern muss­te, und so war sein Er­schei­nen zu­wei­len ver­spä­tet. Aber er kam. Hör­te Rosa sei­nen schwe­ren Tritt, dann ver­tief­te sie sich noch eif­ri­ger in ih­ren Ro­man und sah erst auf, wenn er vor ihr stand und sei­ne Ent­schul­di­gung vor­brach­te.

      Baron Koll­hardt von Kol­ler­we­gen lieb­te Rosa, und sie ließ es ge­sche­hen. Ein Se­kun­da­ner ist stets ver­liebt, und das hüb­sche Wort »Lie­be« wird im ver­trau­ten Se­kun­da­ner­kreis viel ge­nannt. Aber auch die Schank­sche Schu­le, wie jede Schu­le, be­schäf­tig­te sich viel mit je­ner schö­nen Lei­den­schaft. In der Pri­ma galt es für eine Schan­de, nicht zu lie­ben. Eine jede hat­te ihre »Lie­be« und sprach in ru­hi­gem Ge­schäftston da­von wie von et­was Selbst­ver­ständ­li­chem: »Ges­tern sah ich dei­ne Lie­be, er ging bei uns vor­über.« – »So! Wer ist doch dei­ne Lie­be? Ah so, ich weiß schon!« Und dann ka­men die Ge­schich­ten von be­deu­tungs­vol­len Bli­cken, von Lä­cheln, Be­mer­kun­gen. An Ge­gen­lie­be zwei­fel­te eine Schank­sche Schü­le­rin nie; nur hat­te den meis­ten die Ge­le­gen­heit ge­fehlt, sich ih­rer Lie­be zu nä­hern. Ma­ri­an­ne Schulz hat­te lan­ge nicht ge­wusst, für wen sie sich ent­schei­den soll­te, bis sie end­lich, auf das Drän­gen ih­rer Freun­din­nen, er­klär­te, sie lie­be den Se­kre­tär Fei­er­gro­schen. So­bald nun der Se­kre­tär an der Schu­le vor­über­ging, hieß es: »Ma­ri­an­ne, Ma­ri­an­ne! Dei­ne Lie­be geht vor­über!« – dann stell­te sich das arme Kind – über und über rot – an das Fens­ter und riss die run­den Au­gen weit auf, wäh­rend Herr von Fei­er­gro­schen ru­hig vor­über­ging, ohne zu ah­nen, dass es eine Ma­ri­an­ne Schulz auf der Welt gäbe. Aber im­mer­hin! Ma­ri­an­ne war froh, dass sie eine Lie­be ge­fun­den hat­te. Rosa war zu un­mit­tel­bar und zu leb­haft, als dass sie sich mit die­sen Lie­bes­ge­schich­ten ins Blaue hin­ein zu­frie­den­ge­ge­ben hät­te. Der Se­kun­da­ner Koll­hardt war ihre »Lie­be«. Gut! Sie schrieb ihm einen Brief und be­stell­te ihn in den Stadt­gar­ten. Seit­dem wie­der­hol­ten sich die­se Zu­sam­men­künf­te; Rosa war von ih­ren Mit­schü­le­rin­nen ih­rer Kühn­heit we­gen be­wun­dert und als Au­to­ri­tät in Lie­bes­sa­chen an­ge­se­hen.

      Her­weg Koll­hardt sah äu­ßerst gut­mü­tig und lie­be­voll aus, wenn er ver­le­gen vor Rosa stand, den breit­krem­pi­gen Hut vom Kop­fe nahm und sich die feuch­te Stirn trock­ne­te. Er war von be­hag­li­cher Fül­le, die man bei Jüng­lin­gen sei­nes Al­ters nur sel­ten fin­det. Über­all wei­che, run­de Li­ni­en, Arme und Bei­ne droh­ten das blaue Som­mer­tuch des An­zu­ges zu spren­gen; der Rücken hat­te eine kraft­vol­le Wöl­bung, die der gan­zen Ge­stalt et­was männ­lich Rei­fes ver­lieh. Von die­sem mäch­ti­gen Kör­per lä­chel­te ein weiß und ro­tes Ge­sicht freund­lich und kind­lich her­ab, und die klei­nen brau­nen Au­gen glänz­ten ver­schmitzt zwi­schen den ro­ten Wim­pern her­vor. Das kurz­ge­scho­re­ne rote Haar war stark mit Öl ge­tränkt und stand auf­recht um die nied­ri­ge wei­ße Stirn.

      »Es war heu­te wirk­lich schwie­rig«, mein­te Her­weg lä­chelnd. »Ich habe enorm klug sein müs­sen.« Rosa zog die Au­gen­brau­en in die Höhe und sag­te: »Was war schwie­rig?«

      »Was?« wie­der­hol­te Her­weg und setz­te sich lang­sam auf die Bank. Er stütz­te die Arme auf die Knie und schwenk­te sei­nen Hut wie einen Pen­del zwi­schen den Bei­nen hin und her: »Rosa, wie kön­nen Sie so fra­gen? Ich ma­che mir nichts dar­aus; aber der Di­rek­tor sprach sehr un­höf­lich über mein häu­fi­ges Schwän­zen.«

      »Glau­ben Sie, die Schank be­merkt mein Aus­blei­ben nicht?« frag­te Rosa ge­reizt.

      »Wie soll­te ich«, er­wi­der­te

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