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sie war da«, be­stä­tig­te Ida.

      »Gut, er­zäh­le!«

      Ida dach­te nach. »Der Schus­ter­bub Pe­ter«, be­gann sie lang­sam, »hat sich die Hand zer­schnit­ten. Ich woll­te den Herrn Apo­the­ker um ein Stück von dem gu­ten Pflas­ter für den Pe­ter bit­ten.«

      »Ge­wiss, ge­wiss.« Herr Klappe­kahl lä­chel­te, aber nicht mehr so hei­ter wie vor­hin. Wäh­rend er das Pflas­ter zu­recht­schnitt, be­rich­te­te Ida mit ein­tö­ni­ger Stim­me und wieg­te sich auf ih­ren schief­ge­tre­te­nen Ab­sät­zen hin und her.

      »Was sie ge­tan hat? Der jun­ge Herr hat vor der Tür auf sie ge­war­tet – sie ist ge­kom­men – dann hat er sie um die Mit­te ge­nom­men, und sie ha­ben mit­ein­an­der ge­spro­chen. Spä­ter sind sie zu uns ins Zim­mer ge­kom­men.« Herr Klappe­kahl hielt im Schnei­den inne und hör­te zu. »Die Vor­hän­ge habe ich zu­ge­zo­gen. Die Mut­ter und ich blie­ben im Zim­mer.« Herr Klappe­kahl schnitt wei­ter. »Ge­spro­chen ha­ben sie, aber ganz lei­se. Jetzt ist das Pflas­ter groß ge­nug, Herr Apo­the­ker.«

      »Gut, gut, Ida! Hier hast du es. Sei recht brav. Be­hü­te dich Gott!«

      »Dan­ke, Herr Apo­the­ker.« Mit die­sen Wor­ten schob sich Ida zur Tür hin­aus.

      Nun ward Herr Klappe­kahl un­ge­dul­dig, und als Zap­per ins Zim­mer trat, rief er ihm är­ger­lich ent­ge­gen: »Wo blei­ben Sie? Sie wis­sen doch, dass ich in den Ma­gis­trat muss. Ich kann die Stadt­an­ge­le­gen­hei­ten nicht ver­säu­men, weil Sie ih­ren Kat­zen­jam­mer spa­zie­ren­füh­ren wol­len.« Ge­läu­fig fort­schel­tend such­te er sei­nen Spa­zier­stock aus der Ecke her­vor, nahm sei­nen Stroh­hut vom Na­gel, stell­te sich vor den Spie­gel, er be­griff wirk­lich nicht, wie ein jun­ger Mensch so we­nig Mora­li­tät ha­ben konn­te! Den Stroh­hut rück­te er keck auf die lin­ke Sei­te, schlug mit dem Stock auf den La­den­tisch, er hoff­te, Zap­per wür­de in sei­ner Ab­we­sen­heit nicht ein­schla­fen. Dann warf er noch einen Blick in den Spie­gel und ver­ließ das Ge­mach.

      Bei Gott, die­ser lie­der­li­che Zap­per war schuld dar­an, dass Herr Klappe­kahl die Sit­zung ver­säum­te. Es war schon zwölf Uhr vor­bei, und als der Apo­the­ker auf den Markt­platz ge­lang­te, stan­den die Her­ren vom Ma­gis­tra­te schon alle auf der Rat­haustrep­pe, im Be­griff heim­zu­ge­hen. Vor­dem sie sich trenn­ten, un­ter­hiel­ten sie sich noch einen Au­gen­blick. Der klei­ne Kauf­mann Pal­tow mit dem schlau­en, glat­tra­sier­ten Ge­sicht und der mäch­ti­gen Nase zün­de­te sich ge­ra­de eine Zi­gar­re an, wieg­te sich auf sei­nen krum­men Bei­nen hin und her und hör­te eine Ge­schich­te an, die der Se­kre­tär, Herr von Fei­er­gro­schen, er­zähl­te – ein sehr adret­ter jun­ger Mann mit ei­nem rot­gol­de­nen Ba­cken­bart, ei­nem gol­de­nen Knei­fer auf der Nase und Lackstie­feln an den Fü­ßen. Da war ja auch La­nin! Er ver­ab­schie­de­te sich ge­ra­de von dem di­cken Bäcker­meis­ter Vogt und dem Ad­vo­ka­ten Gru­pe.

      »Die Ehre, La­nin!« rief Klappe­kahl. »Die Ehre – die Ehre«, er­wi­der­te La­nin und lüf­te­te sei­nen Hut. Klappe­kahl fand es na­tür­lich, dass er nicht ste­hen­blieb, um zu plau­dern. Wenn man sol­che Ge­schich­ten im Hau­se hat!

      Auf der Rat­haustrep­pe ward der Apo­the­ker mit lau­ten Ru­fen emp­fan­gen. »Da kommt un­ser pünkt­li­cher Stadt­va­ter!« mein­te Herr von Fei­er­gro­schen, und Pal­tow fand, dass Klappe­kahl heu­te zu lan­ge Toi­let­te ge­macht habe.

      »Es ist nicht mei­ne Schuld«, ent­schul­dig­te sich Klappe­kahl. »Die­ser un­glück­li­che Zap­per macht mir viel Sor­ge. Wenn man solch einen jun­gen Men­schen im Ge­schäft hat, geht nichts vor­wärts.« Dann nahm er den Se­kre­tär bei­sei­te. »Wie sah denn La­nin heu­te aus?«

      »Ich habe nichts be­merkt. Wa­rum?«

      »Wie? Sie wis­sen’s noch nicht?« Herr Klappe­kahl rück­te dem Se­kre­tär nahe auf den Leib, steck­te sein Ge­sicht in den rot­gol­de­nen Ba­cken­bart und er­zähl­te die Ge­schich­te von der Rosa. – Be­lus­tigt hör­te der schö­ne Se­kre­tär zu.

      »Nicht mög­lich!« Er lach­te, vor­sich­tig den Kopf zu­rück­bie­gend, da­mit die Glä­ser ihm nicht von der Nase fie­len. Die an­de­ren Her­ren ka­men auch her­an – sie woll­ten auch hö­ren, und Klappe­kahl er­zähl­te im­mer wie­der die An­ge­le­gen­heit. Er war gut un­ter­rich­tet, füg­te neue Ein­zel­hei­ten hin­zu, und die al­ten Her­ren, die Hän­de in den Ta­schen, ga­ben ih­rer Ent­rüs­tung Aus­druck, wäh­rend ein Lä­cheln ihre blas­sen Lip­pen kit­zel­te. Nur der Se­kre­tär nahm die Sa­che nicht so ernst. Er fand das al­les ganz in der Ord­nung. »Gott, ich habe nie et­was an­de­res er­war­tet. Der Rosa Herz sah man ja die Le­bens­neu­gier­de an den Au­gen an. Sie hat die ers­te Ge­le­gen­heit be­nützt, sich zu be­leh­ren. Die­ser – oder ein an­de­rer, ei­ner muss­te es sein. Mir hat sie ge­nug Bli­cke zu­ge­wor­fen. Soll der jun­ge Tel­le­r­at viel­leicht den Sprö­den spie­len? Lä­cher­lich! Er ist ein sym­pa­thi­scher Jun­ge, ich ken­ne ihn. Sie ist ein hüb­sches Mäd­chen. Ich fin­de nichts Merk­wür­di­ges an der Ge­schich­te!«

      »Ja, aber La­nin«, warf Pal­tow ein. »Der hat doch auf den jun­gen Mann für sei­ne Toch­ter ge­rech­net, sagt man.«

      »Gut! Wa­rum nicht?« Herr von Fei­er­gro­schen fand, dass die Af­fä­re mit der Rosa Lan­ins Plä­ne nicht durch­kreuz­te. Man soll­te doch nicht glau­ben, der jun­ge Tel­le­r­at wür­de die Rosa hei­ra­ten. Ge­wiss nicht! Er konn­te ja noch im­mer reu­ig zu Sal­ly La­nin zu­rück­keh­ren. Sol­che Ju­gend­ver­hält­nis­se sind für bei­de Tei­le nur Vor­stu­di­en für das spä­te­re Le­ben. Die Stadt­vä­ter schüt­tel­ten die Köp­fe, sie fan­den das fri­vol. War der alte Herz nicht ein an­stän­di­ger Mann und Bür­ger der Stadt, trotz sei­ner Bal­lett­ver­gan­gen­heit? Wur­de er nicht in den bes­ten Häu­sern emp­fan­gen? Nein, man durf­te die Ge­schich­te nicht so be­ur­tei­len, als wäre Rosa Herz die erst­bes­te. Ge­hört man zur gu­ten Ge­sell­schaft, so muss man sich auch da­nach be­neh­men, nicht wahr? Über Am­bro­si­us wa­ren alle ei­nig, dass er ein lie­bens­wür­di­ger, net­ter jun­ger Mann sei. Leicht­sin­nig – ja! Aber er war jung und rei­cher Leu­te Kind. Der alte Herz, Rosa, La­nin, das wa­ren die Schul­di­gen. Breit­bei­nig stan­den die er­hitz­ten al­ten Her­ren auf der Rat­haustrep­pe, lie­ßen die Bre­lo­ques auf den spit­zen Bäu­chen klir­ren und mach­ten be­däch­ti­ge Ge­sich­ter. Vor ih­nen lag – in der Mit­tags­glut – der Markt­platz. Un­ter den lei­ne­nen Schutz­dä­chern schlum­mer­ten die Ver­käu­fe­rin­nen mit­ten un­ter den Hau­fen grü­nen Ge­mü­ses. Land­leu­te hat­ten sich auf das Pflas­ter ge­setzt; einen Korb mit Ei­ern ne­ben sich, ein mat­tes Huhn un­ter dem Arm, steck­ten sie ihre Köp­fe über ei­nem Sup­pentopf zu­sam­men, kau­ten lang­sam und be­däch­tig, müde zu den sonn­be­glänz­ten Dä­chern auf­schau­end. Nur we­ni­ge Käu­fer wa­ren zu se­hen. Hier und da ging eine alte Dame mit ei­ner Hand­ta­sche am Arm kos­tend von Korb zu Korb, oder ein Kind stell­te sich vor der Obst­bu­de auf die Fuß­spit­zen, um sich die größ­te Bir­ne aus­zu­su­chen. Leu­te, die an der Rat­haustrep­pe vor­über muss­ten, grüß­ten ehr­er­bie­tig hin­auf, und die Stadt­vä­ter dank­ten, zo­gen ru­hig und me­cha­nisch, als Män­ner, die das Grü­ßen ge­wohnt sind, die Hüte ab und zeig­ten ihre blan­ken Glat­zen.

      »Mei­ner Seel! Da ist sie!« rief der Se­kre­tär plötz­lich.

      »Wo – wo?« Alle reck­ten die Häl­se, schütz­ten mit der fla­chen Hand die Au­gen vor der Son­ne.

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