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      Rosa fuhr auf. Ja, sie war noch im­mer im Hin­ter­stüb­chen des Tröd­lers. »Es muss spät sein«, sag­te sie be­klom­men. Eine große Angst be­mäch­tig­te sich ih­rer. Sie muss­te fort – und drau­ßen harr­te et­was Bö­ses, Feind­li­ches ih­rer.

      Ida brach­te die Lam­pe, und das har­te gel­be Licht ver­brei­te­te furcht­ba­re Trau­rig­keit um sich. Idas for­schen­de Au­gen, das ver­schla­fe­ne Ge­sicht der al­ten Jü­din, das Zim­mer mit sei­nen schä­bi­gen Sa­chen – al­les war nie­der­drückend, und doch hät­te das ban­ge Mäd­chen viel dar­um ge­ge­ben, nicht aus die­ser gars­ti­gen Stu­be hin­aus zu müs­sen. Aber es muss­te ja doch sein. »Ich gehe«, sag­te sie has­tig und bot ihre sor­gen­vol­le Stirn Am­bro­si­us zum Kus­se dar, dann war sie fort.

      Am­bro­si­us saß noch da. Ihm war un­be­hag­lich ge­nug ums Herz; hiel­te ihn nicht die Scham ab, er hät­te, wie ein Kind, aus üb­ler Lau­ne ge­weint. Hin­aus soll­te er? Lan­ins ent­ge­gen­tre­ten? Das war zu fa­tal. Er ging nicht, er blieb sit­zen.

      Dreizehntes Kapitel

      Herrn Klappe­kahls Apo­the­ke war ein äu­ßerst freund­li­cher Auf­ent­halt. Geräu­mig, wei­ße Spit­zen­vor­hän­ge an den Fens­tern, ein Mo­sa­ik­fuß­bo­den, der auf blau­grau­em Grun­de wei­ße Ster­ne zeig­te, al­lent­hal­ben eine Ver­schwen­dung an Ma­ha­go­ni, die Türe, die Schrän­ke, die Fens­ter­bän­ke, die Stüh­le – al­les von Ma­ha­go­ni und spie­gelblank. Auf der grau­en Mar­mor­plat­te des La­den­ti­sches stan­den in mus­ter­haf­ter Ord­nung Waa­gen, Mör­ser, Ge­wich­te von je­der Grö­ße. Die Schrän­ke wa­ren voll schnee­wei­ßer Büch­sen und kla­rer Fla­schen, und al­les das von gol­de­nem Mor­gen­son­nen­schein über­flu­tet, von ei­nem schar­fen Ge­ruch von Me­di­ka­men­ten um­weht, zu dem ein Ro­sen­strauß auf dem Fens­ter­brett sei­nen zar­ten Duft ge­sell­te. Vor die­sem Ro­sen­strauß stand Herr Klappe­kahl, frisch ge­kämmt, ro­sig, in sei­nem lei­ne­nen Som­mer­an­zug, so rein und blank wie sei­ne Büch­sen oben in den Fä­chern. Er such­te sich ge­ra­de eine Rose aus, um sie in sein Knopf­loch zu ste­cken. In dem Blick, den er auf den klei­nen Platz vor dem Hau­se warf, lag eine Welt von Güte und Frie­den. Jetzt war der Ent­schluss ge­fasst, jetzt wuss­te er es, jetzt war ihm die gute Tat ein­ge­fal­len, mit der er die­sen schö­nen Som­mer­mor­gen be­gin­nen woll­te. Er ging zur Türe, öff­ne­te sie und rief sanft: »Zap­per!«

      Zap­per kam; ein schma­ler, blei­cher Jun­ge mit her­vor­tre­ten­den blau­en Au­gen und ei­nem stark ent­wi­ckel­ten Kehl­kopf, auf dem sich ein An­satz von Bart be­fand. Das blon­de Haar hing un­ge­ord­net um den Kopf und war vol­ler Fe­dern. Auf sei­nen An­zug hat­te Zap­per gar kei­ne Sorg­falt ver­wandt. Der Rock war nicht ge­bürs­tet, die Ho­sen­trä­ger fehl­ten ganz. Bein­kleid und Wes­te schie­den sich und lie­ßen einen wei­ßen Streif se­hen, der Zap­per Ähn­lich­keit mit je­nen Pup­pen gab, die eine grau­sa­me Kin­der­hand mit­ten durch­ge­bro­chen hat und die nun hilf­los ihr In­ne­res von wei­ßer Wat­te se­hen las­sen. Zap­per ge­fiel sei­nem Prin­zi­pal auch nicht. »Zap­per«, sag­te Klappe­kahl und zog die Nase kraus. »Wie ha­ben Sie vo­ri­ge Nacht wie­der ge­lebt?« Zap­per schwieg und zog sei­ne Bein­klei­der mit bei­den Hän­den em­por. »Jun­ger Mann«, fuhr Herr Klappe­kahl fort, »se­hen Sie sich vor. Ich sage Ih­nen nur die­ses. Sie ken­nen mei­nen Grund­satz: Ein je­des zu sei­ner Zeit. Der Mensch muss in al­les Har­mo­nie zu brin­gen wis­sen. Hier, in mein Haus, passt die Un­so­li­di­tät nicht hin­ein. So­lan­ge Sie bei mir sind, müs­sen Sie sich dem Ton des Hau­ses fü­gen. Die­ser Ton, Sie wis­sen es ja, ist stren­ge Mora­li­tät. Da­für ge­ste­he ich Ih­nen das Recht zu, wenn Sie ein­mal selb­stän­dig sind und in eine grö­ße­re Stadt kom­men, sich das Le­ben von der an­de­ren Sei­te an­zu­se­hen. Har­mo­nie – das ist’s, hat schon ein – ein großer Den­ker ge­sagt.«

      Zap­per emp­fand es wohl, wie we­nig er in Har­mo­nie stand mit der rein­li­chen Apo­the­ke und mit sei­nem schnee­wei­ßen Herrn; reu­mü­tig schlug er die Au­gen nie­der. »Fri­sie­ren Sie sich vor al­lem«, ver­setz­te der Apo­the­ker vä­ter­lich. »Dann ge­hen Sie ins Freie; das wird Sie er­mun­tern.«

      »Ja – Herr Prin­zi­pal.«

      »Ge­hen Sie nur; mer­ken Sie sich mei­ne Wor­te. Der Mensch muss sich erst eine mo­ra­li­sche Ba­sis er­wer­ben, ehe er dar­an­geht, die Tie­fen des Le­bens ken­nen­zu­ler­nen. Üb­ri­gens kön­nen Sie beim Tröd­ler Wulf an­sprin­gen. Die alte Frau soll krank sein. Sie hat ih­ren Hus­ten, sag­te mir der Jude. Ich habe hier einen Rest Brust­pa­stil­len; den kann sie ha­ben, wenn die Ida ihn holt. So, Sie kön­nen ge­hen. – Die Ida soll gleich kom­men«, rief er noch dem hin­aus­schlüp­fen­den Zap­per nach.

      Herr Klappe­kahl war wie­der al­lein in sei­ner schö­nen Apo­the­ke. Mit klei­nen Schrit­ten ging er auf und ab, fuhr zu­wei­len mit der Hand über die Mar­mor­plat­te des La­den­ti­sches, er­griff die­sen oder je­nen Ge­gen­stand und ließ ihn in der Son­ne fun­keln, strich mit dem Fuß den grü­nen Lauf­tep­pich glatt – be­däch­tig und zart, jede Be­we­gung eine Lieb­ko­sung.

      Plötz­lich ward die Türe auf­ge­sto­ßen, und Fräu­lein Er­nes­ti­ne steck­te einen Kopf mit sehr ho­her Fri­sur ins Zim­mer. »Va­ter –«

      »Nun« – Herr Klappe­kahl schau­te nicht auf, son­dern rieb ein Ge­wicht an sei­nem Är­mel blank.

      »Der jun­ge Mensch ist um zwei Uhr mor­gens nach Hau­se ge­kom­men; ich hab ihn ge­hört.«

      »Ich weiß es, ich habe dar­über mit ihm ge­spro­chen.«

      »Es ist ein Skan­dal! In sei­nem Zim­mer habe ich so­eben ein zer­bro­che­nes Glas ge­fun­den.«

      »Set­ze es ihm auf die Rech­nung.«

      »Es ist schon das drit­te.«

      »Sei­ne Sa­che.«

      »Va­ter! Was hast du über die Rosa Neu­es er­fah­ren?«

      »Nichts.«

      »Ach so! Ich dach­te mir’s.«

      Bums – Fräu­lein Er­nes­ti­ne warf die Türe ins Schloss und ver­schwand. Der Apo­the­ker rück­te einen Stuhl in den Son­nen­schein, setz­te sich und gab sich dem stil­len Ver­gnü­gen hin, die Son­nen­strah­len bald auf dem rech­ten, bald auf dem lin­ken Stie­fel spie­len zu las­sen. End­lich gab die Tür­glo­cke einen hel­len Ton von sich, und Ida Wulf er­schi­en.

      »Du bist’s, Ida? Komm nä­her, mein Kind«, sag­te Herr Klappe­kahl und lä­chel­te er­mu­ti­gend.

      »Der Herr Zap­per«, be­rich­te­te Ida mit lau­ter Stim­me, »schickt mich her. Der Herr Apo­the­ker, sagt er, wol­len et­was für die Mut­ter ge­ben.«

      »Ja, mein Kind! Hier nimm«, Herr Klappe­kahl hielt dem Mäd­chen eine klei­ne blaue Pa­pier­tü­te hin, »ge­gen den Hus­ten ist das.«

      »Ich dan­ke schön, Herr Apo­the­ker«, ver­setz­te Ida und wog die Tüte in der fla­chen Hand. »Ich werd’s der Mut­ter sa­gen.«

      »Tu das, mein Kind.« Herr Klappe­kahl setz­te sich wie­der be­quem zu­recht und fuhr fort, sei­ne Stie­fel zu son­nen. »Nichts Neu­es, Ida?« Das Mäd­chen stand breit­bei­nig da und ver­such­te die Na­men auf den Büch­sen zu ent­zif­fern.

      »Bei uns? Nein, nichts Neu­es, Herr Apo­the­ker.«

      »So – so! Sonst al­les

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