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gewesen war, für immer verloren war.

      Sie hatte einige Zeit gebraucht, um sich an das Leben im Internat zu gewöhnen, und nicht einmal die Nonnen hatten bemerkt, wie sehr sie litt und wie sehr sie sich nach ihrem Elternhaus sehnte, das es nicht mehr gab.

      Sie galt in der Klosterschule als sehr still.

      Durch ihr zurückhaltendes Wesen, ihr Verständnis für die Probleme anderer Menschen und durch ihr erstaunliches Einfühlungsvermögen, durch das sie sich so sehr von den anderen Mädchen unterschied, wurde sie den anderen allmählich unentbehrlich. Jeder, der irgendwelche Probleme oder Schwierigkeiten hatte, wandte sich instinktiv an Lorena.

      Sie hörte sich die Sorgen nicht nur der gleichaltrigen Mädchen an, sondern auch vieler anderer im Kloster, der Gastlehrer, der italienischen Diener, die immer etwas zu erzählen hatten, und sogar der Nonnen selbst.

      Sie hatte die Fähigkeit zuzuhören und vermittelte jedem das Gefühl, daß sie eine Lösung der Probleme wußte, auch wenn sie selbst wenig sprach.

      Meist ließ sie die anderen die Lösung, die sie suchten, in sich selbst finden, eine Tugend, durch die sie sich selbst der Mutter Oberin empfahl.

      »Es war ein Segen für uns alle, daß wir dich bei uns hatten«, sagte sie zu Lorena, als diese sich verabschiedete. »Du hast dich sehr gut entwickelt, und ich hoffe, daß wir das uns zu einem guten Teil zuschreiben können. Aber ich glaube auch, mein Kind, daß diese Gabe, die du besitzt, etwas ist, das Gott uns schenkt, und daß wir sie entweder entfalten oder brachliegen lassen.«

      Lorena lächelte.

      »Ich hoffe, ich habe sie entfaltet, Ehrwürdige Mutter.«

      »Ja, das hast du. Und es wird dir sehr helfen, wenn du in die Welt hinaustrittst. Ich habe gehört, du weißt noch nicht, wo du künftig leben wirst.«

      »Ich bin sicher, mein Onkel wird etwas finden«, antwortete Lorena zögernd.

      Die Mutter Oberin bemerkte, daß Lorena unglücklich war.

      »Vertraue auf Gott, mein Kind«, sagte sie. »Er wird dir immer sagen, was richtig und was falsch ist, denn so spricht Gott zu uns, besonders wenn wir Seine Hilfe brauchen.«

      »Ich werde daran denken, Ehrwürdige Mutter«, sagte Lorena.

      Während der langen Fahrt durch Frankreich dachte sie an dieses Gespräch. Sie wußte, daß sie sich von nun an in vieler Hinsicht ganz auf sich selber verlassen mußte.

      In den Büchern, die sie in der Klosterschule gelesen hatte, hatte nichts über das Leben der Gesellschaftsschicht gestanden, der ihr Onkel angehörte, und in der sie nach Ansicht ihrer Tante auch keine Rolle spielen sollte.

      Ihr Vater hatte oft über die Stellung gelacht, die sein Bruder in der Gesellschaft und bei Hof einnahm.

      »Wie ich das hassen würde«, hatte Lorena ihn oft sagen hören.

      »Aber es muß doch sehr interessant sein, Papa«, hatte Lorena eingewandt.

      »Das kommt darauf an, was man vom Leben erwartet«, hatte ihr Vater erwidert. »Dieser oberflächliche Pomp ist nichts für mich. Aber wenn es meinen Bruder Hugo glücklich macht, bin ich der letzte, der versuchen würde, ihn davon abzubringen.«

      »Es muß faszinierend sein, mit dem König und der schönen Königin Alexandra zu verkehren«, sagte Lorena.

      »Sie verbreiten viel Glanz um sich«, gab ihr Vater zu. »Aber es sind auch nur Menschen wie du und ich und wie der alte Mr. und seine Mrs. Briggs, die ich jetzt besuchen werde, weil sie in der nächsten Woche ihre goldene Hochzeit feiern.« Er lächelte, ehe er hinzufügte: »Nicht, als ob dabei viel Gold glänzen würde, aber ich bin sicher, deine Mutter wird ihnen einen Kuchen backen.«

      »Natürlich, Liebster«, antwortete ihre Mutter. »Das hatte ich sowieso vor. Ich habe auch schon ein paar goldene Kerzen gekauft, die ich darauf stellen werde.«

      »Du denkst wirklich an alles, Liebling«, sagte ihr Mann.

      Er küßte sie, ehe er das Pfarrhaus verließ.

      Sie waren glücklich gewesen, dachte Lorena.

      Und sie fragte sich, ob Onkel Hugo und Tante Kitty, die gesagt hatte, sie habe Gott sei Dank keine Kinder, wohl ebenso glücklich waren.

      Ihr Vater und ihre Mutter hatten es immer bedauert, daß sie nur ein Kind hatten.

      »Ich hätte gern ein Dutzend Kinder bekommen; das hätte deinen Vater sehr glücklich gemacht«, erklärte ihre Mutter einmal. »Aber Gott wollte es anders, und nachdem du geboren warst, sagten mir die Ärzte, daß ich keine weiteren Kinder bekommen könnte.«

      »Wie kann ich dich nur für all die Kinder, die du nicht bekommen hast, entschädigen?« fragte Lorena.

      Ihre Mutter umarmte sie und drückte sie an sich.

      »Das hast du schon getan«, sagte sie. »Vater und ich sind zufrieden damit, daß wir eine gutgeratene Tochter haben, und noch dazu eine sehr hübsche.«

      »Ich werde nie so hübsch sein wie du, Mama.«

      »Es macht Spaß, hübsch zu sein«, antwortete ihre Mutter. »Aber es ist wunderbar, wenn der Mann, den du liebst, dich für schön hält.«

      »Und das tut Vater.«

      »Ja, ich weiß, und deshalb bin ich die glücklichste Frau der Welt«, antwortete ihre Mutter.

      Das möchte ich auch sein, dachte Lorena, als der Zug sie nach London brachte, so glücklich wie Papa und Mama gewesen sind.

      Sie dachte immer noch an die beiden, als der Zug langsam in den Viktoria-Bahnhof einfuhr und sie ihren Onkel wiedererkannte, der mit seinem Zylinder und einer Nelke im Knopfloch außerordentlich elegant aussah und sie zusammen mit einem anderen Herrn erwartete.

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