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Das große Jagen. Ludwig Ganghofer
Читать онлайн.Название Das große Jagen
Год выпуска 0
isbn 4064066111465
Автор произведения Ludwig Ganghofer
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der junge Bauer antwortete, vor Frost mit den Zähnen schnatternd: »Von nun an bis in Ewigkeit, Amen! Der Christl Haynacher bin ich.«
Lewitter schien aufzuatmen. »Kommst du wegen deines Weibes?«
»Wohl, Herr! Tut mir die Lieb und kommt zu meiner Martle! Ich bin beim Feldscheer gewesen. Der hat nit raus mögen aus dem warmen Bett. Aber das Weibl kreistet, es ist zum Erbarmen.«
»Ich komme gleich.« Als Lewitter sich gegen die Schwelle wandte, pfiff er leis, und die Tür öffnete sich. Er trat in einen finsteren Flur, in dem ein angenehmer Duft war, wie gemischt aus den Gerüchen einer Apotheke und eines Gewürzlagers. Hinter ihm wurde die Tür verriegelt. »Eil dich, Lena,« flüsterte Simeon in das Dunkel, »hol mir die braune Tasch!« Während er über eine steile Stiege hinaufhastete, glänzte ein matter Lichtschimmer im Hausflur. Vor einer Türe schob Lewitter die Füße in zwei große Filzpantoffel, um den Schnee nicht hineinzutragen in diese Stube, die das Heiligtum seines einsam gewordenen Lebens war.
Ein großer Raum mit vielen Teppichen. Die zwei Fenster mit dicken Innenläden verschlossen, durch Eisenstangen verwahrt. Von der Decke hing eine alte Silberampel herunter, deren Licht von einer roten Glastulpe umhüllt war. Zierliche Stühlchen und ein Tisch, an dem die eingelegte Perlmutter wie Rubine funkelte. Allerlei Frauengerät, Haubenstöcke und Kochgeschirr, ein Spinnrädchen und ein Garnhaspel, ein kleiner Webstuhl und ein Gewürzmörser. An den Wänden waren hohe Gestelle mit Spielzeug in solcher Menge angeräumt, daß die Stube fast aussah wie ein Kramladen der Kinderfreude.
Während Lewitter in dem roten Lampenlichte huschend umherging und alles Nahe mit zärtlicher Hand berührte, brannte in seinen Augen eine dürstende Sehnsucht. Sein Gesicht hatte die steinerne Glätte verloren und war durchwühlt von einer schmerzenden Erschütterung. So oft er diese Stube betrat, seit fünfzehn Jahren, immer war es so. Immer wurde das Glück in ihm lebendig, das er verloren hatte, und immer mußte er jener grauenvollen Stunde denken, in der er wie ein Irrsinniger an den Leichen seines Weibes und seiner Kinder vorübergetaumelt war und unter den Fäusten wahnwitziger Menschen geschrien hatte: »Ich glaube, ich glaube, ich laß mich taufen!«
Müd und zitternd, fiel er auf eines der kleinen Stühlchen hin, bedeckte das Gesicht mit den Händen, saß unbeweglich und fuhr erschrocken auf, wie geweckt und gerüttelt von einer Pflicht seines Lebens. Seufzend ließ er die Augen hingleiten über das verstaubte Spielzeug, hatte wieder das steinerne Gesicht, das geduldige Lächeln, murmelte ein Segenswort seines unverlorenen Väterglaubens und verließ die Stube. Als er die Treppe hinunterstieg, erlosch das Licht im Flur. »Hast du die braune Tasch?« Er fühlte sie vor seinen Händen und trat in den Schnee hinaus. »Komm, Christl!«
»Der Himmel soll's Euch lohnen, guter Herr!«
Simeon lächelte. »Heut sagst du: ‚Guter Herr!‘ Am Weihnachtsabend, wie ich auf vereistem Weg an dich angestoßen bin, da hast du ‚Saujud‘ gesagt.«
Verlegen stammelte der junge Bauer: »Ein Mensch im Ärger ist dumm. Mein armes Weibl wird's nit entgelten müssen. Selbigsmal, am heiligen Abend, hab ich einen schiechen Verdruß hinunterschlucken müssen. Ein Mensch, der Unrecht leidet, wird allweil ein Lümmel.«
Die beiden überschritten den Marktplatz, um hinunterzuwandern ins Tal der Ache. Das Bauernlehen des Haynacher lag da drunten, hinter der Saline Frauenreuth. Vor dem Tor des Stiftes sprang ihnen die Schildwach entgegen. Die beiden mußten ihre Namen nennen, ehe sie weiter durften. Der junge Bauer, ärgerlich über den Aufenthalt, knirschte zornig vor sich hin: »Gescheiter, er tät den Unsichtbaren nachspringen, eh daß er einem Gutgläubigen den Weg verstellt. Wie ich heraufgelaufen bin, ist überall die Nacht lebendig gewesen. Die im Stift da droben haben noch allweil blinde Augen.«
»Die brauchst du ihnen nit zu öffnen, Christl! Sag mir lieber, was ist mit deinem Weib? An Weihnachten hab ich gesehen, daß sie gesegnet ist. Wär's an der Zeit mit ihr? Hat dich die Hebmutter geschickt?«
Der junge Bauer schüttelte den Kopf. »Ich bin selber gelaufen, aber ich weiß nimmer, was das ist. Die Hasenknopfin –«
Lewitter wiederholte rasch: »Die Hasenknopfin?«
Zögernd sagte der junge Bauer: »Wohl! Die Hebmutter von Unterstein.«
»Dein Lehen gehört zum Markt. Warum mußt du die Hebmutter von Unterstein haben?«
»Die vom Markt,« erwiderte Christl scheu, »die mag mein Weib nit. Es ist ein Kreuz, Herr!«
Mehr brauchte Simeon nicht zu hören. Nun wußte er, daß die Haynacherin eine Unsichtbare war, die ihren Leib von einer katholischen Wehmutter nicht berühren ließ. »Dein Weib muß leiden?«
»Heut nach der zehnten Stund, da hat sie zu schreien angehoben und ist wie unsinnig gewesen.«
»Ein natürlich Ding, Christl!«
Wieder schüttelte der junge Haynacher den Kopf. »Vor anderthalb Jahren hat mir meine Martle ein Bübl geboren. Sie sagt, da wär's anders gewesen. Und die Hasenknopfin kennt sich nimmer aus. Sie meint, es wär schon drei Wochen über die Zeit. In mir ist eine Angst –«
»Die Hasenknopfin wird falsch gerechnet haben. Hast du Feuer daheim?«
»Der Ofen ist warm, der Herd ist kalt.«
»So spring voraus, mach Feuer auf dem Herd, daß du kochendes Wasser hast, bis ich komme.«
Der Bauer fing zu rennen an, daß ihm der schnellste Läufer des Fürstpropstes nicht nachgekommen wäre. Diese straffe, gesunde Gestalt, die noch was Jünglingshaftes hatte, schien Sehnen von Stahl zu besitzen. Der graue Lodenmantel wehte dem Christl vom Halse weg, und das harte Gesicht mit dem kurzen Braunbart war nach vorne gestreckt. So rannte er durch den Mondschein wie ein vom Tod Gehetzter. Der gutgläubige Christl Haynacher mußte seine Martle, obwohl sie eine Unsichtbare war, von Herzen lieb haben. Er rannte keuchend durch die Dampfwolken, die das Frauenreuther Salinenhaus umdunsteten. Über eine Holzbrücke hinüber, durch ein kleines Gärtl und in das niedere Haus. »Tu dich getrösten, Martle!« rief er atemlos in die Schlafkammer, in der das stöhnende Weib die Hände nach ihm streckte. »Gleich kommt der Jud. Der ist geschickter als der Feldscheer. Jetzt muß ich zum Herd. Der Jud will haben, daß ich Wasser sied.« Er sprang zur Küche.
Bei allen Schmerzen wurde das junge Weib von der Sorge geplagt, daß der Mann eine falsche Pfanne nehmen könnte. Angstvoll schrie sie ihm nach: »Nit das neue Kupferpfändl. Das müssen wir aufheben fürs Kind. Nimm den alten Blechhafen!«
Christl dachte: ‚Sie sieht nit, was ich nimm.‘ Er haßte das kommende Kind, das sein Weib so schreien machte in Schmerzen, und für seine Martle war ihm die neue Kupferpfanne gerade gut genug. Wär' eine silberne im Haus gewesen, der Christl hätte sie genommen. Eine Minute, und das Feuer züngelte auf dem offenen Herd, die Kupferpfanne hing darüber und rauchte. Jetzt konnte Christl zum Bett seines Weibes springen. Am Türpfosten zwischen den beiden Wohnräumen hing eine qualmende Specklampe und beleuchtete die Stube und die Kammer. In der Stube stand neben dem warmen Feuersteinofen die Wiege, in der das Bübchen schlief; es hatte rote Wangen und schien den braunen Krausbart des Vaters als Perücke zu tragen. Christl warf einen zärtlichen Blick auf das kleine Bürschl, das er jetzt doppelt lieb hatte, weil es vor seinem ersten Tag die Mutter nicht so grausam geplagt hatte, wie dieses neue kommende Leidwesen, das er haßte. Als er hineinsprang in die kleine Kammer, die nicht viel größer war als das plumpe Doppelbett, kam er gerade recht, um dem jungen Weib, das sich in Schmerzen wand, die verkrampften Hände zu lösen. Seine Nähe schien sie ruhiger zu machen. Er lag vor dem Bett auf den Knien, und Martle, ihre Pein verbeißend, umklammerte seine braunen Fäuste. Ihr hübsches Gesicht war entstellt, und das wirre Blondhaar hing um die von Schweiß überglitzerten Wangen. Kaum verständlich stöhnte sie: »Mann, ach Mann, ich tu nit gebären, ich glaub, daß ich sterben muß.«
Er bettelte: »Herzweibl, magst du nit ein bißl christliche Besinnung haben? Magst du nit einen frommen Notschrei tun zu den vierzehn ewigen Helfern?«
Heftig wehrte das Weib: »Sterben, wenn's sein muß. Nit lügen! Täten die Soldaten Gottes kommen,