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die Kunst beharren können? –

      Dort trat die greise Hugenottin erschütternd lebendig aus dem Dämmerlicht. Wohl sprach das namenlose Bangen vor den Schrecken der nächsten Augenblicke aus den Zügen der bis in diesen Gartenwinkel Gehetzten; man mußte sich sagen, daß dieses arme Menschenherz in verzweiflungsvoller Mutterangst bis zum Brechen stürmisch klopfe – aber auf der edlen Stirn lag bereits ein feierlicher Glanz, als ströme schon ein seligruhiger Lichtquell aus unbekannten Fernen auf sie herüber – der Glorienschein des Märtyrertums ... Wie anders die Dienerin zu ihren Füßen, die sich an der verschlossenen Tür fast die Nägel von den Fingern riß, um das Freie zu gewinnen! Das kraftstrotzende Weib klammerte sich in grauenhafter Wildheit an das Leben; der fieberisch glühende, rollende Blick, der Angstschrei, der auf den geöffneten Lippen zu schweben schien, jeder angespannte Muskel dieses blühenden Fleisches war ein erbitterter Protest gegen den kalten Tod ...

      Donna Mercedes wandte sich hastig ab und eilte hinaus in den Garten – ihre Pulse schlugen so erregt, als sei der heranwogende, todbringende Fackelschein verräterisch auch auf ihr eigenes Haupt gefallen ... Was für ein machtvoller Gedankenstrom wogte hinter der eckigen Stirn des ›häßlichen Kopfes‹! ... Er überwand die trotzigste Menschenseele und machte sie scheu erbeben vor seiner genialen Kraft.

      25.

       Inhaltsverzeichnis

      Unter dem Laubdach der Platanen dunkelte es bereits, und noch schritt Donna Mercedes auf und ab. Zu dem heftigen Widerstreit in ihrem Innern stand die feierliche Abendstille, die über dem Garten schwebte, in seltsamem Gegensatz: selbst der letzte flüsternde Hauch des Zugwindes in den Wipfeln und Büschen schien erloschen; kein Vogelflügel regte sich: auch das Gelärm der Enten, das tagsüber vom Teiche her klang, war verstummt – man hatte die wackelnde und schnatternde Gesellschaft längst unter Dach und Fach gebracht ... Dafür kamen jetzt vereinzelte klatschende Laute, ein Geräusch, als würden Steine in das Wasser geworfen, von drüben her ...

      Die junge Dame verließ die Allee; sie schritt auf dem schmalen Sandwege, der die Wiesenflächen quer durchschnitt, und blieb beobachtend hinter einem Rosenbusche stehen.

      Am Teiche stand ein Knabe, den sie noch nie im Garten gesehen hatte – ein spindeldürres Kerlchen mit langen Beinen und auffallend gewandten und sicheren Bewegungen. Er holte Stein um Stein aus der Hosentasche und ließ die Kiesel unter einem steten, leise pfeifenden ›Hui!‹ über den Wasserspiegel springen. Und dazwischen lachte er in sich hinein, strampelte mit seinen Storchbeinen und patschte sich vor Vergnügen über jeden gelungenen Wurf die Knie.

      Donna Mercedes sagte sich sofort, daß das der heimtückische kleine Bursche sein müsse, der José neulich auf den Boden des Klostergutes gelockt hatte – der Millionenerbe, der letzte Träger des Wolframschen Namens, um dessentwillen den Lucianschen Waisen das großmütterliche Vermögen gestohlen werden sollte. Ein heiliger Zorn wallte in ihr auf. Dieser zigeunerhafte, abstoßend häßliche Junge, der kichernd wie ein triumphierendes Teufelchen dort den Teichrasen stampfte, er war schuld, daß ihr schöner, sanfter José noch auf dem Siechbette lag!

      Lautlos glitt sie hinter dem Busch hervor und ging auf ebenso leisen Sohlen den nach dem Teich führenden Weg entlang – es lag ihr daran, den Knaben nicht zu verscheuchen. Aber sie vergaß, daß sie ihr schwarzes Seidenkleid mit einem hellen Morgenrock vertauscht hatte, sie wußte auch nicht, daß Gesicht und Gehör des Scheusälchens dort geschärft seien wie die eines jungen Fuchses.

      Er horchte plötzlich auf und wandte den schmalen, haarstarrenden Kopf jäh nach der Richtung, wo das schwache Geräusch des knirschenden Sandes erscholl. Bei Erblicken der heranschreitenden weißen Dame warf er den Stein, der eben über das Wasser tanzen sollte, von sich und ergriff die Flucht. Noch war es hell genug, um sehen zu lassen, wie er nach dem Zaun rannte – gleich darauf duckte sich der geschmeidige Körper und war verschwunden, als habe ihn der Boden verschluckt. Einige Augenblicke später rauschte es zwischen Laub und Asten, aber hoch in den Lüften, als sei ein Vogel nach seinem Nest in irgend einem Baumwipfel heimgeflogen und rüste sich, mit den Flügeln das Blattwerk streifend, zur Nachtruhe; dann war es wieder still, wie wenn das Abendschweigen nie unterbrochen gewesen wäre.

      Die junge Dame ging bis zu der Stelle, wo der Knabe verschwunden war – durch dieses wilde, scheinbar undurchdringliche Gestrüpp war auch José neulich gekrochen, ahnungslos mit seinen kleinen Füßen den Boden betretend, auf dem sein Vater auch als Kind gespielt, und nicht wissend, daß ihm in dem dunklen, fremden Hause die Großmutter lebe, die harte Großmutter, um derentwillen er und sein kleines Schwesterchen über die große, weite Wasserwüste hatten schwimmen müssen. Donna Mercedes' Fuß verirrte sich selten bis an den Teich, und seit sie neulich in Todesqualen unter den Linden gestanden und jeden Augenblick erwartet hatte, das blonde Köpfchen ihres ertrunkenen Lieblings müsse sich aus der dunklen Flut heben – seit jenem grauenvollen Augenblick hatte sie diesen Teil des Gartens förmlich gemieden. Bis an den Zaun selbst war sie überhaupt nie gekommen. Die ganze lange Linie bildete eine völlige Wildnis von Haselstauden und Syringenbüschen, die man auch auf dem Schillingschen Grund und Boden nur notdürftig beschnitt. Ein allzu kräftiger Geruch von Lauch und Zwiebeln quoll durch das Geäst, und da, wo die junge Dame stand, hingen volle Büschel reifender, kleiner Sauerkirschen zwischen dem Laub – ein niederer Kirschbaum hatte seine Äste durch den Zaun nach der Südsonne hin getrieben– edle Obstsorten schienen da drüben nicht gepflegt zu werden.

      Ein kreischender Laut unterbrach die Stille, die auch jenseits des Zaunes herrschte, eine Tür drehte sich in rostigen Angeln und fiel knarrend wieder zu; dann traten feste Füße auf Kiesgeröll – sie schritten langsam einen jedenfalls geradlinigen Weg entlang und bogen plötzlich auf weicheres Erdreich ein, direkt auf den Zaun losgehend.

      Donna Mercedes zog sich zurück unter dem seltsamen Gefühl, als müsse die wandelnde Gestalt drüben durch das Gestrüpp brechen und an sie herantreten ... Sie ging unter den Teichlinden hin; aber ehe sie den Weg wieder betrat, der nach der Allee führte, wandte sie noch einmal unwillkürlich, wie durch eine magnetische Kraft angezogen, den Kopf zurück. Und sie hatte wohl auch unter einem Bann gestanden – es waren zwei Augen gewesen, zwei glühende Augen mit verzehrendem Blick, die ihr über den Zaun weg nachstarrten ...

      Sie kannte diesen Kopf mit dem Haardiadem über der Stirn, mit dem wachsbleichen Gesicht und den schmalen, scharfgeschnittenen Lippen, die eines Abends schmerzverzerrt das erschütternd fragende »Gestorben?« hervorgestoßen hatten ... Das Herz stand ihr fast still vor Überraschung. Jetzt wußte sie um das Geheimnis der nachtwandelnden Erscheinung in der Säulenhalle – es war die Unerbittliche, die Sohn und Gatten in grausamer Härte und unbeugsamem Starrsinn von sich gestoßen und über das Meer in eine neue Heimat getrieben hatte. Das immer noch schöne, einer Statue gleichende Weib dort war die Vorgängerin der stolzen Spanierin, war Major Lucians erste Frau. Sie schlummerten beide unter der Erde, deren Geschick sie eigenmächtig gewandelt, denen sie bitter wehe getan – die gewaltige, festgefügte Gestalt dort hatte sie überdauert, sie lebte und – litt. Ja, sie litt, das bezeugte ihr in finsterem Gram fast versteinertes Gesicht. Die Nemesis war gekommen; sie rüttelte an diesem Gewissen, wer weiß wie lange, lange schon. Und an die erschütterte Seele klopfte ein neues Element, bis jetzt vielleicht nur als Ahnung, aber als eine untrügliche, in Gestalt des unschuldigen, blondlockigen Kindes, das die Züge des verstoßenen Sohnes trug – die großmütterliche Liebe war mächtiger als der Mutterzorn, sie quoll auf in dem verschütteten Herzen, unwiderstehlich, zersprengend, wie die Triebkraft einen werdenden Baum durch Gestein und Geröll an das Licht treibt ...

      Donna Mercedes ging auf die Frau zu, und diesmal wich sie nicht zurück. Sie mußte auf einer Bank stehen, denn vom Boden aus ließ sich der hohe Zaun nicht überblicken. Mit beiden Armen drängte sie das struppige Gezweig kraftvoll auseinander; ihre breiten Schultern, die immer noch eleganten Linien ihrer Büste waren vollkommen sichtbar. So stand sie bewegungslos – so hatte sie seit Josés Erkranken vielleicht täglich gestanden, um von irgend einem Diener des Nachbarhauses Nachricht über das Kind zu erlangen, das sich im großmütterlichen Heim, von dem übermütigen Erben des Klostergutes gemißhandelt, die tödliche Krankheit

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