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geholt,« sagte sie, und ihr Blick irrte mit jenem Ausdruck, den Lucile für notorisch verrückt erklärt hatte, über die holzgeschnitzte Wand. »Die Mäuse im Schillingshof haben ja auch Ohren für die Geheimnisse der Menschen.«

      Deborah schielte sie scheu von der Seite an, und Mamsell Birkner machte allerhand verlegene und lebhafte Gesten hinter ihrem Rücken – sie fuhr verständnisinnig und mitleidsvoll mit dem Finger über die Stirn, zum Zeichen, daß das junge Mädchen von einer fixen Idee beherrscht sei. Übrigens war die gute, dicke Wirtschaftsmamsell ganz trostlos darüber, daß im lieben Schillingshofe einem Gast »etwas weggekommen« sein sollte. Sie hatte nichts Eiligeres zu tun, als die niederschmetternde Neuigkeit im Erdgeschoß zu verkünden. Da kam sie aber schön an – es gab einen wahren Sturm drunten in der Küche.

      »So – es wird ja immer schöner!« tobte der Bediente Robert. »Jetzt haben wir die armselige Gesellschaft auch noch bestohlen, diese – daß ihr's nur wißt, Theaterleute sind's – ja, ja, Theaterleute! – Hab' ich's nicht immer gesagt, daß das Geflinkere von Steinen und all das aufgetakelte Zeug in der Schlafstube Komödienkram ist? Und die zwei Mohrenfratzen! Herr Gott, wenn ich die nur einmal ins Waschfaß stecken und gründlich abscheuern dürfte! Ich lasse mich gleich hängen, wenn da nicht die allerschönsten weißen Spitzbubengesichter zum Vorschein kommen!« – Er schnitt mit der flachen Hand energisch durch die Luft, als wolle er reinen Tisch machen. – »Sie muß fort, die Gesellschaft! Sie muß aus dem Hause! Es ist ja eine wahre Schande für den Schillingshof, daß solche Leute da unterkriechen dürfen.« – Und der ganze Chor stimmte empört ein, während die Wirtschaftsmamsell bitterböse, aber schweigend in ihre Stube ging – sie wußte es ja besser, durfte aber nichts sagen; Baron Schilling hatte ihr unverbrüchliches Schweigen auferlegt...

      Inzwischen ging Donna Mercedes in qualvoller Aufregung von Zimmer zu Zimmer und suchte. – Sie hatte den Dokumentenkasten am Tage vor Josés Erkranken zum letztenmal in der Hand gehabt. Sie hatte alle Papiere herausgenommen, und vor Baron Schilling hingebreitet, auch den eigenhändig niedergeschriebenen letzten Willen ihres Bruders und das Schreiben an seine Mutter. Es war versiegelt, aber sie kannte seinen Inhalt genau und hatte ihn fast wörtlich gegen Baron Schilling wiederholt. Sie erinnerte sich auch, daß er die köstliche Arbeit und den Silberwert des kleinen Kastens besprochen und ihn immer wieder aufgenommen und bewundert hatte. – Dann hatten sie beide die Papiere, sorglich zusammengefaltet, wieder hinein gelegt, und vor seinen Augen hatte sie das hochwichtige Kästchen an seinen Platz in der dunklen Fachecke zurückgestellt – er mußte ihr das bezeugen können ... Jene Nachmittagsrunde stand ihr überhaupt noch klar vor Augen, auch der Augenblick, wo Lucile in ihrer kindischen Gespensterfurcht am hellen Tage geflohen war und sie mit Baron Schilling allein im Salon gelassen hatte – die Mäuse hatten hinter den Wänden gespukt – die Mäuse, sie schienen eine Rolle in diesem Schillingshof und in – den Köpfen zu spielen.

      Sie blieb inmitten des Salons stehen. »Haben Sie die Mäuse auch schon hier durch dieses Zimmer laufen sehen?« fragte sie mit dem Ausdruck des Widerwillens Hannchen, die unter der offenen Krankenzimmertür stand.

      »Ich höre nur das Knirschen, und kleine Staubwölkchen fliegen von der Wand,« versetzte das Mädchen wie atemlos vor Spannung und mit hochgerötetem Gesicht, und den Arm ausstreckend zeigte sie auf das Holzschnitzwerk, das sich wie Spitzengeflecht hinter der grünen Ruhebank erhob.

      »Das mag bei jeder Erschütterung geschehen, die durch das Haus geht – das Holz ist ja uralt,« sagte Donna Mercedes achselzuckend. »Bitte, sorgen Sie dafür, daß Fallen aufgestellt werden.«

      Die Röte auf den Wangen des Mädchens erlosch – sie senkte sichtlich enttäuscht den Kopf auf die Brust und ging hinaus.

      Und als die Sonne untergegangen war, und es kühler zu werden begann, da trieb es Donna Mercedes hinaus ins Freie, in den Garten. Es war ihr, als könne sie nur draußen aufatmen von der unbeschreiblichen Angst und Unruhe, die ihr das Herz zusammenschnürten ... Daheim hatte sie sich in solchen Augenblicken innerer Bedrängnis auf ihr treues Pferd geworfen, und da waren sie wie zusammengewachsen dahingerast, in die Wildnis hinein, an Schlünden, am jäh abstürzenden Wasserschwall vorüber – und die Brust hatte sich ihr geweitet, und sie hatte Himmel und Erde wieder Heller werden sehen unter den Strahlen eigenen, neu hervorbrechenden Jugendmutes ... Hier nun engten Häuser und Mauern den grünen Gartenfleck klösterlich ein – an ein schrankenloses Hinausstürmen in die Weite war nicht zu denken – aber es kam doch harziger Tannenduft von den Berggipfeln herüber; man hörte das Wasserrauschen des kleinen Baches, und um die großen Wiesenflächen, die vollen Lindenwipfel schwebte der Hauch der freien Natur weit eher als im Vorgarten, den die junge Dame vom Fenster aus wie eine Gefangene überblickte, und über dessen Eisengitter fortwährend neugierige Menschenaugen herüberstarrten.

      Der Gärtner hatte im Wintergarten die Glaswände aufgeschoben, und auch der Eingang stand weit offen, auf daß der köstlich milde Strom der Abendlüfte hindurchziehe. Die Springbrunnen plätscherten traumhaft, und im leisen Abenddämmern schwebten die großglockigen Blumen, die Blütendolden der Pflanzenfremdlinge wie breitbeschwingte Falter um das Laubdickicht.

      Donna Mercedes trat in das Glashaus. Die Gloxinie lag noch auf dem Rand des Bassins, leise schaukelnd durch die Unruhe der bewegten Wasserfläche, und frisch und farbenglänzend wie ihre Schwestern, die in der warmen Erde wurzelten... Baron Schilling hatte recht gehabt, die kleine Blume war nicht so empfindlich wie der Mensch – ihn hatte ein einziger frostiger Augenblick völlig verwandelt...

      Die junge Dame biß die Zähne zusammen, und ihre Rechte ballte sich in unterdrücktem Grimm... Zum erstenmal, seit ihre stolze Erscheinung in die Welt eingetreten war, hatte ein Mann ihr gezeigt, daß er nicht gewillt sei, einen schroffen, ungerechtfertigten Wechsel in der Begegnung ungestraft hinzunehmen. – Dieser bärenhafte Deutsche! Er hatte in seiner Seele auch nicht einen Funken jener ritterlichen Unterwürfigkeit, welche man drüben in der Heimat schönen, vergötterten Frauen von makellosem Rufe entgegenzubringen pflegte. Sie hätte nach jenen eleganten, dunkeläugigen Männern, die sich einst in den Salon ihres Vaters drängten, mit der Reitpeitsche schlagen können, und dafür wäre die züchtigende Hand schmeichelnd geküßt worden... Wenn sie freilich wahr gegen sich selbst sein wollte, dann mußte sie sich sagen, daß sie diese Unterwürfigkeit stets in tiefster Seele angewidert hatte. Es war in der letzten Zeit ihrer Verlobung manchmal eine Art von Verzweiflung über sie gekommen, und sie hatte zornmütig, ja bösartig ›den armen Valmaseda‹ zum Widerspruch anzustacheln gesucht, um nur einmal ihm gegenüber das Heft aus der Hand zu verlieren – vergebens!... Aber es war ein Unterschied zwischen jener gewünschten kleinen Niederlage und einer augenfälligen Demütigung. Bis zu ihrem Tod vergaß sie es nicht, daß sie in übermenschlicher Selbstüberwindung ein Einlenken versucht hatte und zurückgewiesen worden war ...

      Sein häßlicher Kopf – ja, er war entschieden häßlich mit seiner eckigen Stirn, der starken Nase und der habsburgischen Unterlippe – er hatte ihr schon in jenem Augenblick, da er in der Tür der Flurhalle aufgetaucht war, um die Angekommenen zu begrüßen, einen unerklärlichen Schrecken eingeflößt, und es war ihr gewesen, als schreite etwas Übergewaltiges auf sie zu, dem sie nicht auszuweichen vermöchte. Es war eben einer jener geheimnisvollen Berührungen der Fühlfäden in der weiblichen Seele gewesen, eine Art zweites Gesicht, das eine neu auf unseren Weg tretende Gestalt in ihren späteren Beziehungen zu uns mit der Schnelligkeit des wieder erlöschenden Blitzes warnend zeigt ... Seitdem hatte sie das unbestimmte Gefühl, als müsse sie sich fortgesetzt kampfbereit halten; das hatte ihr die deutsche Luft vergiftet und sie schon in der ersten Stunde an der eigenen Kraft bezüglich der Durchführung ihrer Mission verzweifeln lassen ...

      Im Atelier nebenan war es lautlos still. Donna Mercedes sah durch den Glasstreifen, den der Samtvorhang freiließ, wie das Abenddämmern drüben hereinsank. Auf der Galerie und in der Ecke, welche die Wendeltreppe füllte, lagerten die Schatten schon tiefer; da und dort blinkte noch ein schwacher Lichtfleck auf dem blanken Metall einer weitbauchigen Trinkkanne, oder im Glasgeschirr auf den Kredenzen; und es war der jungen Dame, als müsse jetzt eine altdeutsche Hausfrau, das langnachschleifende Gewand mit der Gürtelkette aufgenommen, droben in dem geheimnisvollen Düster erscheinen und die Treppe herabsteigen, um dem Maler auf silbernem Brett den Abendtrunk zu bringen ... Das tat die eigenwillige Frau,

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