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Das Dekameron. Giovanni Boccaccio
Читать онлайн.Название Das Dekameron
Год выпуска 0
isbn 9783843804066
Автор произведения Giovanni Boccaccio
Жанр Языкознание
Серия Literatur (Leinen)
Издательство Bookwire
Um den gemeinen Mann, zum Teil auch um den Mittelstand sah es noch weit elender aus. Denn indem diese, entweder von der Hoffnung hingehalten oder durch ihre Armut gezwungen, sich in ihren Häusern hielten und nahe beieinander wohnten, so erkrankten sie täglich zu Tausenden. Da sie weder Pflege noch irgendeine Hilfe fanden, so mussten sie fast alle ohne Rettung sterben. Viele fanden ihren Tod auf öffentlicher Straße bei Nacht und bei Tage, und manche, die zwar in den Häusern starben, ließen ihre Nachbarn eher durch den Gestank ihrer faulenden Leichen als auf andere Art ihren Tod erfahren. Von diesen und von andern, denn überall starben Menschen, machte sich der Verwesungsgeruch allenthalben bemerkbar. Die meisten Nachbarn schleppten, nicht weniger vor Furcht vor Ansteckung durch die verwesenden Leichen als von christlichem Mitleid für die Toten bewogen, gewöhnlich die Leichen entweder allein oder mit Beihilfe einiger Träger (wenn sie ihrer habhaft werden konnten) aus den Häusern und legten sie vor den Türen nieder, wo man sie besonders des Morgens in Menge sehen konnte, wenn man in der Stadt umherging. Alsdann ließ man Bahren kommen, oder wenn sie fehlten, so legte man die Leichen auch wohl nur auf irgendein Brett. Da sah man denn mehr als eine Bahre, auf der zwei bis drei Leichen übereinander lagen, und es war nichts Seltenes, sondern trug sich sehr oft zu, dass Mann und Frau, zwei bis drei Brüder oder Vater und Sohn zugleich auf einmal weggetragen wurden. Es traf sich auch nicht selten, wenn ein paar Geistliche mit dem Kreuze hingingen, um einen Toten abzuholen, dass sich noch drei bis vier Bahren anschlossen und dass die Priester, wenn sie meinten, nur eine Leiche zu bestatten, wohl sechs bis acht und bisweilen noch mehr zu begraben hatten. Und doch wurden alle diese keiner Träne, keiner Leichenfackel und keiner ehrbaren Begleitung gewürdigt, sondern es war so weit gekommen, dass man sich um einen sterbenden Menschen nicht mehr als heutigen Tages um eine verreckte Ziege bekümmerte. Es lässt sich leicht denken, dass, was der natürliche Lauf der Dinge den Weisesten nicht durch kleine und seltene Unglücksfälle lehren konnte, nämlich, durch Geduld die Größe des Übels zu überwinden, bei der Größe des Elends jetzt auch von den Einfältigen gelernt wurde.
Als die Menge der Leichen, welche man alle Tage und Stunden nach den Kirchen brachte, so sehr anwuchs, dass in geweihtem Boden nicht mehr Raum für sie war, besonders wenn man nach alter Weise gern einem jeden seinen eigenen schicklichen Ruheplatz hätte geben wollen, grub man, wie alles voll war, große tiefe Gruben, in denen die Leichen schichtweise, wie die Waren in einem Schiffe, verstaut und nur leicht mit Erde bedeckt wurden, bis die Gruben bis an den Rand voll waren.
Damit ich mich nicht länger bei jedem kleinen Umstand von dem Jammer unserer Stadt aufhalte, so will ich nur sagen, dass das unglückliche Schicksal, das über sie hereinbrach, auch die umliegende Gegend nicht im Geringsten verschonte, woselbst (die Burgflecken ungerechnet, in denen es im Kleinen ebenso wie in der Stadt zuging) in den Dörfern und auf den einsamen Weilern umher die armen, elenden Landleute mit ihrem Hausgesinde ohne einigen Beistand von Ärzten, ohne Pflege und Aufwartung auf ihren Äckern oder in ihren Häusern, bei Tag und bei Nacht ohne Unterschied, nicht wie Menschen, sondern wie das Vieh umkamen. Daher denn auch diese, indem sie eben wie die Stadtbewohner in ihren Sitten zügelloser geworden, sich um ihre Sachen und Habseligkeiten nicht mehr bekümmerten, sondern, als wenn sie jeden Tag, den sie erlebten, für ihren letzten hielten, die Früchte der Tiere, der Felder und ihrer eigenen vergangenen Arbeiten für die Zukunft nicht warteten und sich nur alle ersinnliche Mühe gaben, den gegenwärtigen Vorrat zu verzehren. Deswegen sah man auch Ochsen, Esel, Schafe, Ziegen, Schweine, Hühner, ja selbst die Hunde, die den Menschen so treu sind, aus den Häusern gejagt, auf den Feldern, wo noch das Korn nicht nur ungeerntet, sondern auch ungeschnitten stand, frei herumlaufen. Manche von diesen Tieren kehrten, nachdem sie den Tag über geweidet hatten, des Abends (als wären sie mit Vernunft begabt), ohne von Hirten getrieben zu werden, gesättigt wieder zurück.
Um von dem Lande noch einmal wieder auf die Stadt zu kommen: Was kann man mehr sagen, als dass die Grausamkeit des Himmels (und auch vielleicht der Menschen) so weit ging, dass vom Monat März bis zum folgenden Juli, teils wegen der Bösartigkeit der Seuche, teils durch Vernachlässigung der Kranken, die schlecht bedient oder in ihren Nöten von den Gesunden aus Furcht verlassen wurden, über hunderttausend Menschen – wie man glaubt – innerhalb der Mauern von Florenz umgekommen sind, während man vor der Pestzeit vielleicht nicht einmal geglaubt hatte, dass es im Ganzen so viele Einwohner zähle. O, wie viele große Paläste, wie viele schöne Häuser, wie viele vortreffliche Wohnungen, einst voll angesehener Geschlechter, waren jetzt entblößt von ihren Bewohnern, Herren und Frauen, und bis auf den letzten Bedienten! O, wie viele berühmte Familien, wie manche beträchtliche Erbschaft, wie viele große Reichtümer sah man jetzt ohne rechtmäßige Erben! Wie manche würdige Männer, wie viele schöne Frauen und blühende Jünglinge, die selbst ein Galen, ein Hippo- krates und ein Äskulap für Bilder der Gesundheit erklärt hätten, saßen des Mittags an der Tafel mit ihren Verwandten, Bekannten und Freunden und hielten das Abendmahl in einer andern Welt mit ihren Vorfahren!
Doch ich mag mich selbst nicht länger an so vieles Elend erinnern; um demnach forthin alles zu übergehen, was ich mit Schicklichkeit weglassen kann, will ich nur sagen, dass, wie auf diese Weise unsere Stadt von Einwohnern fast entblößt und verlassen war, es sich einst so fügte (wie ich aus glaubwürdiger Quelle weiß), dass in der ehrwürdigen Kirche Santa Maria Novella an einem Dienstagmorgen, da fast keine andere lebende Seele zugegen war, sieben junge Damen, alle durch Freundschaft, Nachbarschaft oder Verwandtschaft einander zugetan, deren keine das achtundzwanzigste Jahr erreicht hatte und keine weniger als achtzehn Jahre alt war, lauter vernünftige, edle, schöne, wohlerzogene, mit züchtigem Frohsinn begabte Geschöpfe, sich trafen, die sämtlich in Trauerkleider gehüllt (wie es die unglücklichen Zeiten mit sich brachten) die heilige Messe gehört hatten. Ihre Namen würde ich gehörig anzeigen, wenn mich nicht eine triftige Ursache daran verhinderte: Ich will nämlich nicht, dass irgendeine von ihnen in Zukunft wegen der folgenden Geschichten erröten soll, die sie erzählt oder angehört haben, denn heutigen Tages sind der Fröhlichkeit ziemlich strenge Gesetze vorgeschrieben, dagegen sie damals, wegen der oben berührten Ursachen, nicht nur für Personen ihres Alters, sondern auch für weit reifere Jahre, unendlich gelinder waren. Auch den Scheelsüchtigen, die so gern über jeden lobenswürdigen Lebenswandel herfallen, möchte ich nicht gern Raum geben, den guten Ruf der ehrbaren Damen mit ungeziemenden Reden zu verunglimpfen. Damit jedoch alles, was eine jede von ihnen sagt, ohne Verwirrung verstanden werde, so bin ich willens, ihnen in der Folge solche Namen beizugeben, die den Eigenschaften einer jeden, wenn nicht völlig, so doch einigermaßen, entsprechen. Die erste und älteste von allen wollen wir Pampinea nennen, Fiametta die zweite, Filomena die dritte und die vierte Emilia. Die fünfte mag Lauretta heißen, die sechste Neifile und die letzte soll (nicht ohne Ursache) den Namen Elisa führen. Durch bloßen Zufall und ohne besondere Verabredung gelangten sie in eine Ecke der Kirche, wo sie sich im Kreise niedersetzten und (ohne daran zu denken, ihren Rosenkranz abzubeten) nach manchem Seufzer vieles über die Zeitläufte miteinander sprachen. Nachdem ein kurzes Stillschweigen ihre Unterredung unterbrochen hatte, begann Pampinea folgendermaßen zu reden: „Ihr habt wohl, liebe Mädchen, so gut wie ich, oft gehört, dass der keinem anderen Unrecht tut, der auf erlaubte Weise sich seiner eigenen Rechte bedient. Jeder, der geboren wird, hat das natürliche Recht, sein Leben nach Kräften zu fristen, zu erhalten und zu beschützen, und es hat sich schon zugetragen, dass jemand, um das eigene Leben zu retten, Menschenblut vergossen hat, ohne dass man ihm daraus einen Strick gedreht hätte. Wenn nun dies die Gesetze gutheißen, von deren Wachsamkeit die Wohlfahrt aller Menschen abhängt, wie viel mehr muss es uns und jedem andern erlaubt sein, ohne Schaden anderer uns aller Mittel zu bedienen, die in unserer Gewalt stehen, um unser Leben zu erhalten. So oft ich es recht betrachte, wie wir diesen Morgen und manchen andern zugebracht haben und unter was für Gesprächen, um so mehr glaube ich einzusehen (und ihr werdet es wohl auch einsehen), dass eine jede von uns für ihr Leben fürchtet. Und das ist gar kein Wunder. Aber das wundert mich