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Das Dekameron. Giovanni Boccaccio
Читать онлайн.Название Das Dekameron
Год выпуска 0
isbn 9783843804066
Автор произведения Giovanni Boccaccio
Жанр Языкознание
Серия Literatur (Leinen)
Издательство Bookwire
Der König von Zypern wird von einer Gascognerin gehänselt und aus einem tatenlosen ein tätiger Mann.
Elisa hatte als Letzte noch den Befehl der Königin zu gewärtigen. Sie kam ihm mit Munterkeit zuvor und begann:
Liebe Mädchen, oft schon sah man, dass ein leicht ausgesprochenes Wort, eine unabsichtliche Belehrung mehr wirkte als unaufhörliche Ermahnungen und gar Strafen. Dies erhellt deutlich genug aus Laurettas Erzählung, und ich will es durch eine ganz kurze Geschichte ergänzend bestätigen. Eine gute Anekdote wird nicht ohne Nutzen angehört und verdient die gespannteste Aufmerksamkeit der Zuhörer, der Erzähler mag sein, wer er wolle. Vernehmt also:
Zu den Zeiten des ersten Königs von Zypern, nachdem Gottfried von Bouillon das gelobte Land eingenommen hatte, wallfahrte eine adelige Frau aus der Gascogne einst zum Heiligen Grabe. Auf ihrer Rückreise, wie sie in Zypern ankam, wurde sie von einigen ruchlosen Burschen schändlich misshandelt. Ihr Schmerz darüber war ohne Grenzen, und sie wollte den König um Rache anflehen. Allein man sagte ihr, sie würde sich verlorene Mühe geben, denn der König wäre ein so schlaffer und untätiger Herr, dass er nicht nur den Beschwerden anderer Leute nicht abhelfe, sondern dass er nicht einmal die ihm selbst oft mit vieler Unverschämtheit zugefügte Schmach zu ahnden suche, weshalb denn ein jeder, dem ein schweres Unrecht zugefügt würde, seinen Unmut an ihm durch irgendeinen Spott oder Schimpf ausließe. Die Dame, die dieses hörte und alle Hoffnung aufgab, Genugtuung zu erlangen, nahm sich demnach vor, um ihren hitzigen Zorn einigermaßen zu kühlen, dem Könige seine Erbärmlichkeit vorzuwerfen. Sie trat vor ihn mit Tränen in den Augen und sagte: „Gnädiger Herr, ich komme nicht zu Euch, um Rache zu fordern für die Schmach, die man mir zugefügt hat, sondern ich will Euch nur um die Gnade bitten, dass Ihr mich lehrt, wie Ihr die vielfältigen Beleidigungen geduldig ertragt, die man (wie ich höre) Euch täglich zufügt, damit ich lerne, die meinigen auch geduldig zu tragen, welche ich Euch – bei Gott! – gern überlassen möchte, wenn ich nur könnte, weil Ihr ein so gutmütiger, göttlicher Dulder seid.“
Der König, der bis dahin lässig und träge gewesen war, schien wie aus einem Traum zu erwachen. Er fing sein neues Leben damit an, dass er die Dame für die ihr zugefügte Beleidigung aufs Strengste rächte und hernach aufs Schärfste einen jeden strafte, der sich unterfing, gegen die Ehre seiner Krone etwas zu unternehmen.
ZEHNTE NOVELLE
Doktor Alberto in Bologna beschämt auf feine Art eine Dame, die ihn wegen seiner Liebe zu ihr beschämen wollte.
Nach Elisa traf die letzte Pflicht des Erzählens die Königin selbst, die mit weiblicher Würde sich folgendermaßen vernehmen ließ: Liebenswürdige Mädchen! Wie an einem heiteren Abende die Sterne den Himmel, wie im Frühling tausendfarbige Blumen die grünen Matten zieren, so sind muntere Scherze die Zierde löblicher Sitten und anmutiger Gespräche, und ihrer Kürze wegen stehen sie den Frauen besser an als den Männern. Die Frauen müssen, wenn es möglich ist, sich des langen und weitläufigen Redens mehr enthalten als die Männer. Aber freilich gibt es heutigen Tages wenige oder gar keine Frauen mehr, die sich auf feine Scherze verstehen, oder, wenn sie sie verstehen, sie gehörig zu erwidern wissen. Und das ist eine Schande für uns und für alle Frauen, die jetzt leben. Denn die Vorzüge, die den Geist unserer Vorgängerinnen schmückten, haben die heutigen Frauen in äußerlichen Schmuck des Leibes umgesetzt, und die, deren Kleider am besten geblümt oder gestreift, oder mit Flittern und Fransen besetzt sind, glauben vornehmer und besser zu sein als die anderen, und bedenken nicht, dass ein Esel, dem man sie anzöge oder aufpackte, ihrer weit mehr tragen könnte als irgendeine von ihnen, und würde darum doch nichts besser als ein Esel. Ich schäme mich, dieses zu gestehen, denn wenn ich das von anderen sage, darf ich mich selbst nicht ausnehmen. Diese geputzten, bemalten, bunten Puppen stehen entweder da wie Bildsäulen von Marmor, fühllos und stumm, oder wenn man sie fragt, so antworten sie auf solche Weise, dass sie besser getan hätten zu schweigen, und dann bilden sie sich ein, es sei ein Zeichen der Unschuld, dass sie weder mit Frauen noch mit vernünftigen Männern reden können. Diese ihre Unbeholfenheit nennen sie Ehrbarkeit. Als wenn es sonst keine ehrbaren Weiber gäbe, als die sich bloß mit ihrer Magd, Wäscherin oder Bäckerfrau zu unterhalten wissen. Wenn das die Natur gewollt hätte (wie sie sich einbilden), so würde sie ihrer Geschwätzigkeit schon andere Grenzen gesetzt haben. Es ist inzwischen wahr, dass man in diesem Stücke sowohl als in anderen Dingen Zeit und Ort beobachten und zusehen muss, mit wem man rede. Denn sonst kann es sich leicht zutragen, dass eine Frau oder ein Mann, indem sie meinen, mit einem scharfsinnigen Wort einen anderen in die Enge zu treiben, sich selbst eine Beschämung zuziehen, weil sie entweder ihre eigenen Kräfte oder die Kräfte ihres Gegners nicht gehörig berechnen. Damit ihr nun lernet, euch davor in Acht zu nehmen, und damit man nicht auf euch das Sprichwort anwenden möge, das man so oft hört, dass die Weiber in allen Dingen den Kürzeren ziehen, so soll euch die letzte heutige Geschichte, die mir zu erzählen obliegt, darüber belehren, damit ihr euch über die anderen, so wie ihr durch die Vorzüge eures Geistes euch vor ihnen auszeichnet, auch durch den Adel eurer Sitte erheben mögt.
Es sind noch nicht viele Jahre verflossen, dass in Bologna ein vortrefflicher und fast überall berühmter Arzt lebte – und vielleicht lebt er heute noch –, der Meister Alberto hieß, dessen Geist in einem Alter von fast siebzig Jahren noch so lebhaft war, dass er nicht vermeiden konnte, für die Flamme der Liebe noch empfänglich zu sein, obwohl seinen Leib bereits die natürliche Wärme fast gänzlich verlassen hatte. Einst erblickte er bei einem Gastmahl eine reizende Witwe, die, wie man sagt, Donna Margherita de Ghisolieri hieß und sein Greisenherz so sehr wie einen Jüngling in der Blüte seiner Jahre heiß entflammte, sodass er meinte, die Nacht nicht ruhig schlafen zu können, wenn er nicht am Tage das zarte und anmutige Gesicht der reizenden Frau gesehen hatte. Deswegen versäumte er nicht, bald zu Fuß, bald zu Pferde, wie es sich am besten fügte, vor ihrem Hause täglich vorbeizureiten oder zu gehen. Die Dame und ihre Nachbarinnen merkten bald die Ursache seiner Fensterpromenaden und hatten oft ihren Scherz darüber, dass ein an Jahren und Verstand so reifer Mann sich noch närrisch verliebt hätte, als ob sie der Meinung wären, dass die süße Leidenschaft der Liebe nur in den törichten Seelen der Jünglinge und nirgends anders Platz finden und wohnen könne. Wie nun Meister Alberto seine Fensterpromenaden zu Fuß und zu Pferde fortsetzte, fügte es sich einst an einem Feiertage, dass die besagte Dame nebst vielen anderen vor ihrer Tür saß, wo sie den Arzt von Weitem kommen sahen und sich daher sämtlich beredeten, ihn hereinzurufen und zu bewirten und ihn hernach mit seiner Liebe aufzuziehen. Sie standen demnach auf, baten ihn herein und führten ihn in einen kühlen Saal, wo sie ihn mit Konfekt und köstlichen Weinen bewirteten und ihn hernach mit feinen und artigen Worten aufzogen, ja ihn geradeheraus fragten, wie es komme, dass er sich in eine so schöne Dame verliebt hätte, von der er doch wüsste, dass viele charmante, junge Herren sich um sie bewürben. Doktor Alberto fühlte ihre feinen Stachelreden und machte gute Miene zum bösen Spiel: „Madonna, dass ich Euch liebe, darüber wird sich kein Vernünftiger wundern, weil Ihr es verdient. Wenn nun zwar den alten Männern natürlicherweise die Kräfte fehlen, die zur Ausübung der Liebe erforderlich sind, so fehlt es ihnen doch weder an gutem Willen, noch an der Erkenntnis dessen, was wirklich liebenswürdig ist; vielmehr sind sie desto bessere Kenner, je mehr Erfahrung sie vor den Jünglingen voraus haben. Nun will ich Euch auch sagen, warum ich alter Mann mir noch Hoffnung mache, obgleich Ihr von vielen Jünglingen geliebt werdet. Ich habe oft gesehen, dass die Frauenzimmer zur Vesper Lupinen und Lauch aßen, und obwohl der Lauch überhaupt kein gutes Essen ist, so ist doch sein Kopf am wenigsten widerwärtig und noch am ehesten genießbar; allein von einem verkehrten Geschmack angetrieben nehmt Ihr den Kopf in die Hand und esst nur die Blätter, die nicht allein zu nichts taugen, sondern auch übel schmecken. Was weiß ich‘s, Madonna, ob Sie mit Ihren Liebhabern nicht ähnlich verfahren? Wenn Sie so verführen, würden Sie mich zum Galan erwählen und die anderen von sich weisen.“
Die Dame und ihre Freundinnen schämten sich ein wenig; schließlich gab sie ihm zur Antwort: „Lieber Doktor, Sie haben uns sehr treffend, aber höflich unsern unpassenden Scherz verwiesen. Ihre Liebe soll mir als die Liebe eines weisen, ehrenwerten Mannes immer wert sein. Deswegen können Sie, sofern Sie Rücksicht auf meinen guten Ruf nehmen,