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weil jetzt aller Augen auf sie gerichtet waren.

      »Es war sehr schön«, begann sie leise.

      »Wo warst du denn, Margot?«

      »In Ahlbeck.«

      »Na, und was willst du uns davon erzählen?«

      Margot schwieg verlegen, hilfesuchend blickte sie zu ihrer Freundin Annemarie hin.

      Die nickte ihr aufmunternd zu. Sie hätte der schüchternen Margot gern ihr Plappermäulchen geliehen.

      »Ei, Margot, weißt du uns gar nichts von deinem Sommeraufenthalt zu berichten?«

      »Doch,« – Margot nahm allen Mut zusammen – »die Ahlbecker Flundern schmecken fein!«

      Die Klasse brach in helles Lachen aus, und die arme Margot hätte sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Aber Fräulein Hering stand ihr bei.

      »Da gibt’s gar nichts zu lachen,« sagte sie, »wer solche feinen Flundern bekommen hat, kann höchstens lachen. Nun weiter, Ilse Hermann.«

      »In Berlin war’s auch wunderschön«, begann das blondzöpfige Ilschen seine Erzählung.

      »Och, die war nicht mal verreist«, machte eins der Kinder verächtlich.

      »Also endlich mal eine, die uns erzählen wird, wie man sich auch in der Heimat seiner Ferien freuen kann, das ist mir lieb. Nun berichte uns mal, wie es hier gewesen ist, Ilse«, ermunterte die Lehrerin.

      Da fuhr die Kleine, die bei dem geringschätzigen Ausruf erschreckt abgebrochen hatte, fort: »Vater und Mutter haben eine Nordlandreise gemacht. Dabei kann man Kinder nicht gebrauchen, sagt Muttchen. Meine große Schwester und ich, wir sind zu Großmama gezogen, und da war’s wunder–wunderschön!«

      Die kleinen Mädchen ringsum, die noch eben mitleidige Gesichter gemacht hatten, weil Ilse Hermann hatte in Berlin bleiben müssen, hörten jetzt voll Interesse zu. Ja, wenn die Ilse bei ihrer Großmama gewohnt hatte, da mußte es wunderschön gewesen sein. Manch eine hätte das auch lieber getan und auf ihre Reise verzichtet.

      »Also, wie habt ihr denn nun bei der Großmama die Ferien verlebt?« erkundigte sich Fräulein Hering.

      »Morgens früh durften wir Großmama im Haushalt helfen, das hat uns sehr viel Spaß gemacht. Denn Großmamas Anna sollte doch nicht zuviel Arbeit durch uns haben. Jedes Kind hatte seine bestimmten Pflichten. Ich mußte den Kaffeetisch abräumen, die Krümelchen abkehren und sie den Vögeln auf das Fenstersims schütten. Und die Blumen hatte ich ganz allein zu pflegen. Auch beim Gemüseputzen und Obstverlesen durften wir helfen, bis Großmama gar nichts mehr zu tun hatte. Dann sagte sie: ›So, nun spielen wir Fremde in Berlin. Was wollen wir heute vormittag besichtigen?‹ Einen Tag durfte meine Schwester Lisbeth einen Vorschlag machen und am anderen ich. Großmama ging mit uns ins Museum und in die Kunstausstellung. Im Aquarium waren wir und auch im Panoptikum. Aber das allerfeinste war, wie Großmama mit uns nach Potsdam fuhr und uns dort die Schlösser zeigte. Ach, war das herrlich! Und am Nachmittag haben wir immer einen Spaziergang oder eine Landpartie unternommen.«

      Als das kleine Mädchen schwieg, fanden alle Kinder, daß Ilse Hermann die hübschesten Ferien verlebt hatte, trotzdem sie gar nicht verreist war. Man weiß manchmal nicht, wieviel Schönes die Heimat bietet und sucht es weit in der Fremde.

      Die Schulglocke machte der hübschen Stunde leider ein Ende.

      »So, nun werden wir, nachdem wir uns frische Kräfte in den Ferien geholt haben, wieder mit Lust und Eifer unsere Pflicht tun und lernen, ja, wollt ihr das?« fragte Fräulein Hering ihre kleine Schar.

      »Ja, ja!« rief es allenthalben. Da war nicht eine darunter, die nicht den allerbesten Willen hatte, der jungen Lehrerin Freude zu machen.

      Es wurde jetzt fleißig in der zehnten Klasse gearbeitet. Die kleinen und die großen Buchstaben waren den Kindern bereits sämtlich vorgestellt. Und wenn sich auch mal eins der Kleinen in der Benennung dieser Herrschaften irrte, im großen ganzen konnte Fräulein Hering mit den Leistungen ihrer Klasse zufrieden sein.

      Die Fibel war fast durchgearbeitet, denn jedes Kind wollte doch gern das Ziel erreichen, das die Lehrerin den Kleinen als Ansporn gesetzt: die Weihnachtsbücher sollten sie schon dieses Jahr allein lesen können!

      Mit dem richtigen Schreiben haperte es allerdings noch ziemlich. Bei den Diktatheften konnte Fräulein Hering nicht mit roter Tinte sparen. Da gab es reichlich Fehler anzustreichen, denn so leicht wie im Anfang war jetzt das Diktat nicht mehr. Es war gut, daß die Himbeermizi in Johannisbad nicht viel weiter in der Rechtschreibung war als Annemarie. Sonst hätte sich Nesthäkchen vor ihr schämen müssen. Der Brief, den sie ihr bald nach der Trennung schrieb, war ja herzensgut gemeint, aber er wimmelte von Fehlern.

      Trotzdem war die kleine Mizi glückselig, als sie folgendes Schreiben erhielt, denn es war ja das erstemal in ihrem Leben, daß sie überhaupt einen Brief bekam.

      »Libe Mizi,« buchstabierte sie mühsam, »Ich Sente dir vile grieße. hir ist es nicht so hibsch wie in johahnisbat. Besuche Mich balt und Bringe deine kazen mitt. meine Gerta lest dich grießen. Grieße auch biete alle mehrgänzchen.

      deine freundin

       Annemie.«

      Nesthäkchen war ungeheuer stolz, als sie ihren ersten Brief auf dem kleinen rosa Bogen, der das Bild eines niedlichen Kätzchens trug, mit großer Mühe niedergeschrieben hatte.

      Aber als Fräulein das Schreiben zu sehen bekam, war sie lange nicht so begeistert davon wie Annemarie selbst. Ja, sie wollte gar nicht leiden, daß Nesthäkchen es abschickte, weil sie sich vor Mizi schämte, daß so viele Fehler darin waren. Erst Mutti, zu der das Töchterchen seine Zuflucht nahm, bewirkte mit ihrer Fürsprache die Absendung des wichtigen Schriftstückes. Freilich meinte sie, der Brief würde wohl doppeltes Porto kosten, weil all die Fehler gar zu schwer ins Gewicht fielen.

      Aber in der Rechenstunde war Annemarie Braun die Allerbeste. Keine rechnete so flott wie sie. Das Einmaleins bis zur Zehn saß fest in dem kleinen Lockenkopf. Dies hatte sie Bruder Hans zu verdanken, der sie täglich examinierte und ihr zur Belohnung für zehn richtige Antworten stets etwas aussetzte. Ein buntes Löschblatt, eine neue Stahlfeder oder gar ein altes Notizbuch. Ihren ersten Platz hatte Annemarie daher noch inne. Denn die anderen waren in der Rechtschreibung auch nicht weiter als sie. Freilich, Nesthäkchens Schreibseiten sahen noch immer nicht sauber aus. Da gab es noch manch Krakelfüßchen, manch Schmierfähnchen.

      Religionsunterricht liebte Annemarie besonders. Die Schöpfungsgeschichte und die Geschichte vom Paradies, das klang ja wie das schönste Märchen. Nur faßte ihr Köpfchen die biblischen Erzählungen etwas merkwürdig auf.

      Mittags, als es Kasseler Rippespeer gab, sagte Nesthäkchen: »Daraus hat der liebe Gott die Eva gemacht!«

      Einige Tage später, da man zu dem Sündenfall im Paradies gekommen war und Fräulein Hering erzählte, wie der liebe Gott Adam und Eva aus dem Paradies wies, rief Annemarie begeistert: »Ganz wie unsere Hanne, die setzt Klaus auch immer an die Luft, wenn er genascht hat!«

      Als sie die Geschichte von Kain und Abel nacherzählen sollte, begann sie: »Kain und Abel waren furchtbar ungezogen und keilten sich doll. Dabei schlug Kain seinen Bruder mausetot.«

      Das Kapitel von der Sintflut machte den größten Eindruck auf Nesthäkchen.

      »Hat denn der Noah keine Gummischuhe und keinen Regenschirm gehabt oder wenigstens einen Lodenmantel mit Kapuze, daß er während der ganzen Regenzeit hat in seiner Arche bleiben müssen?« erkundigte es sich teilnahmsvoll.

      Auch wie der liebe Gott den Regenbogen an den Himmel gesetzt hatte, stellte sich Klein-Annemarie eigentümlich vor.

      »Weißt du, Hänschen,« sagte sie zu dem Bruder, »muß der liebe Gott aber einen großen Tuschkasten gehabt haben. Der war bestimmt noch größer als deiner!«

      Von der Turnstunde war unser Wildfang ebenfalls sehr entzückt. Die kleinen Rekruten waren schon ganz forsch einexerziert. Sie marschierten jetzt hintereinander im Takt eins –

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