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brachte das verängstigte Kind und die ebenso verängstigte Puppe in die Garderobe, die gleichzeitig das Fundbureau bildete.

      Dort saßen nun Klein-Annemarie und Puppe Gerda unter stehengebliebenen Regenschirmen, entlaufenen Kötern, verlorenen Gummischuhen und gefundenen Armbändern und weinten jämmerlich, trotz der gutmütigen Versicherung des Bureaudieners, daß der Onkel sicher bald kommen würde.

      Da tat sich auch schon die Tür aus – »Onkel Heinrich – Großmama!« erklang es jauchzend. Fest hing Nesthäkchen an Großmamas Hals, so fest, als ob sie nie wieder aus den sie schützenden Armen der guten Großmama heraus wollte. Puppe Gerda jedoch lag Tante Käthchen im Arm.

      »Aber nun nach Haus, daß ich euch Krabben erst mal wieder glücklich abgeliefert habe«, unterbrach Onkel Heinrich die allgemeine Freude und Rührung.

      »Och, wollen wir uns denn nicht erst noch stärken?« fragte das wiedergefundene Nesthäkchen enttäuscht.

      »Jawohl, auch noch Kuchen mit Schlagsahne zur Belohnung fürs Durchbrennen – Prosit Mahlzeit, da wischt euch nur heute den Mund!« klang es barsch von Onkel Heinrichs Lippen, dabei zwinkerte er jedoch lustig mit den Augen.

      Als man aus dem Zoologischen Garten heraustrat, trocknete sich Onkel Heinrich den Angstschweiß von der Stirn und sagte mit einem Seufzer der Erleichterung: »So – einmal und nicht wieder!«

      Zu Hause angelangt aber, lag plötzlich vor jedem Kinde ein herrlicher Apfelkuchen mit Schlagsahne.

      11. Kapitel

       Am grünen Strand der Spree

       Inhaltsverzeichnis

      »Mutti – Vater – Mutti – Fräulein!« In hellem Jubel stürmte Nesthäkchen in die Wohnung.

      Die Mappe flog in eine Ecke, der Federkasten nebst Bleistiften und Pudeltintenwischer sprang in die andere.

      »Mutti – Fräulein – Hanne – ach, hört doch bloß mal!« Vor lauter Aufregung brachte die Kleine die wichtige Nachricht gar nicht heraus.

      »Aber Lotte, ein kleines Mädchen darf doch nicht so ungestüm sein.« Kopfschüttelnd blickte Frau Doktor Braun auf ihr Töchterchen.

      »Sieh’ nur, wie du mit deinen Schulsachen umgehst«, begann nun auch Fräulein ihre Strafpredigt.

      Aber sie kam damit nicht weit. Das vor Ungeduld zappelnde Nesthäkchen rief dazwischen: »Ach, liebe, einzige Mutti, bitte, bitte, laß mich doch bloß heute mal ungestüm sein, wir machen ja morgen einen Schulausflug!«

      Da war sie heraus, die große Neuigkeit.

      Und nun ging es unaufhaltsam weiter. »Mit dem Dampfer fahren wir – einer ganz für uns allein – und eine Mark sollen wir mitbringen! Und unsere allerbesten Kleider brauchen wir nicht anzuziehen, Fräulein Hering möchte, daß wir uns schmutzig machen. Um neun Uhr an der Spreehaltestelle, und Stullen soll sich jedes Kind nach seinem Hunger mitnehmen, ich muß mindestens zwölf haben, Puppen sollen zu Hause bleiben und – ach, ich freu’ mich ja so mächtig!«

      Von Mutti lief der kleine Unband zu Fräulein, das ebenfalls vor Glückseligkeit halbtot gedrückt wurde.

      »Ja, weißt du denn überhaupt schon, ob wir es erlauben, daß du mitfährst, Lotte?« unterbrach Mutti die Freudenausbrüche bedenklich.

      Im Augenblick war das noch eben strahlende Kindergesicht verwandelt. Mit ungläubigen Augen, mit herabgezogenen Mundwinkeln stand Nesthäkchen da.

      »Aber – aber – wenn unsere Lehrerin es sagt, dann muß man doch gehorchen!« Die Kinderstimme zitterte, und die großen, blauen Augen flimmerten von aufsteigenden Tränen.

      »Nein wirklich, Lotte, du bist mir noch zu klein zu solchem Schulausflug und vor allem zu unachtsam und zu wild.«

      Lautes Geplärr übertönte Muttis Rede.

      »Ich krieg einen Tadel, wenn ich fehle – hu – a – uh – und wenn die anderen Kinder dürfen, dann muß ich auch dürfen – hu – a – uh –«. Es schrillte durch das ganze Haus.

      »Still, Annemie, Hilles schicken wieder rauf und beschweren sich über den Radau«, beschwichtigte Fräulein das schreiende Kind.

      »Ist mir ganz gleich, wenn ich nicht mit darf«, das Füßchen in den braunen Wadenstrümpfchen begann vor Empörung sogar zu trampeln.

      »Hör’ mal, mein Kind, wenn du so ungezogen bist, ist es bereits erledigt, daß du zu Hause bleibst«, warnte die Mutter.

      »Aber wenn ich artig bin – ach, liebe, süße Mutti –.« Klein-Annemarie brach plötzlich in ihrem Quälen ab und stürmte zur Korridortür.

      Dort hatte es soeben geschlossen. Vater kam nach Haus. Nesthäkchen wußte schon, an wen es sich mit seinen Bitten wenden mußte.

      »Vati – liebes, einziges Vatchen!« Da hing die Kleine an seinem Hals und preßte das tränenfeuchte Gesicht an Vaters reinen Kragen.

      »Na, Lotte, mal wieder Überschwemmung, warst du unartig?«

      »Nee, schrecklich artig! Bloß weil wir morgen ’ne Landpartie machen, die ganze Klasse, und Mutti mich nicht mitlassen will, heule ich. Ach, Vatchen, erlaube es doch, ja – sieh mal, ich bin doch gar nicht mehr zu klein. Margot ist viel jünger und Pummelchen einen ganzen Kopf kleiner, und die dürfen doch auch.« Dabei drehten die Kinderhändchen bittend an Vaters Jackenknopf, bis derselbe ab war.

      »Hm – na, wollen mal sehen.« Doktor Braun hatte nicht Lust, sich noch mehr Knöpfe von den bettelnden Kinderhändchen abreißen zu lassen.

      »Du erlaubst es – au fein!« In Annemaries Gesichtchen ging plötzlich wieder die Sonne auf.

      »Mutti – Mutti – Vater erlaubt es, weil ich schon so groß bin.« Wie der Wind ging es zum Wohnzimmer zurück.

      »Könnte nicht Fräulein unsere Lotte begleiten, daß der Wildfang beaufsichtigt ist?« stellte Doktor Braun, der seinem Kleinchen schwer einen Wunsch abschlug, vor.

      »Nee, ach nee, dann ist es gar nicht richtig, Margot bringt auch ihre Emilie nicht mit, und ich bin doch schon sieben Jahre«. Der Sonnenschein auf Nesthäkchens Antlitz wurde wieder von einer Wolke verdunkelt. »Und wenn wir unsere Puppen nicht mitbringen sollen, dann dürfen lebendige Fräuleins doch erst recht nicht mit. Bitte, bitte, Vatchen!« Wieder kamen Doktor Brauns Jackenknöpfe in Gefahr.

      Fräulein aber sagte vorwurfsvoll: »Ich habe immer geglaubt, meine kleine Annemie hätte mich lieb, und nun will sie mich zu Hause lassen?«

      »Ach, Fräulein, bloß morgen, sonst nehme ich dich auch immer mit. Aber du bist doch nicht in der zehnten Klasse, Fräulein Hering hat noch extra gesagt ›bloß die Schülerinnen der zehnten Klasse‹. Und Fräulein Hering wird schon auf mich aufpassen und der liebe Gott auch!«

      Nachdem Frau Doktor Braun sich noch bei Frau Thielen erkundigt hatte, ob dieselbe ihrer kleinen Margot die Teilnahme gestatte, gab auch sie schließlich, wenn auch schweren Herzens, ihre Einwilligung.

      Nun war wieder eitel Sonnenschein bei Klein-Annemarie.

      »Hänschen, Kläuschen – wir machen morgen einen Schulausflug mit dem Dampfer!« Wie ein Gummiball sprang das kleine Schwesterchen in das Zimmer der Brüder.

      »Pah« – machte Klaus geringschätzig, »wir machen nächstens auch einen, aber mit Kremsern, und da bammeln bunte Lampions dran«, so versuchte er sie zu übertrumpfen.

      »Aber Dampferfahren ist viel feiner, da kann man richtig bei ersaufen – etsch, siehste!« prahlte Klein-Annemarie wieder.

      »Du, lass’ das nicht Mutti hören, sonst mußt du noch zu Hause bleiben, wenn du solche Absichten hast«, warnte der große Bruder Hans.

      »Ach wo, ich will doch gar nicht ersaufen«, beteuerte die Kleine eifrig.

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