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nicht.

      Die lief in höchster Aufregung zur Mutter und rief: »Gnädige Frau, unsere Annemie ist fort!«

      Mutti wurde ganz blaß vor Schreck, dann aber sagte sie, sich selbst beruhigend: »Ach was, Fräulein, das Kind wird bei den Mädchen sein.«

      »Die Mädchen sind beide mit der Wäsche zur Rolle gegangen.« Trotzdem jagte Fräulein in die Küche, und Frau Doktor voll Sorge hinterher. Da fanden sie die offengebliebene Küchentür.

      Nun war es ja klar – Annemie war fortgelaufen!

      »Ich gehe gleich zur Polizei – mein Nesthäkchen – meine Lotte – wo mag sie bloß sein?« jammerte die Mutter und hatte bereits den Hut auf.

      »Vielleicht hat der Portier sie gesehen, wenn sie die Hintertreppe hinuntergelaufen ist, wir wollen ihn doch jedenfalls fragen«, riet Fräulein. Damit eilten beide Damen die Hintertreppe hinab.

      Der Portier hatte viele Kinder auf dem Hofe gesehen, aber ob Doktors Kleine dabei gewesen, das wußte er nicht genau.

      Da erschienen, gerade als Mutti in ihrer Angst zur Polizei laufen wollte, Hanne und Frida mit ihrem Wäschekorb auf dem Hofe. Und wer lief nebenher, mit heißen Wangen und glänzenden Augen? Das ausgekniffene Nesthäkchen mit ihrer Gerda, das die Mädchen auf der Straße aufgelesen und mit heimgebracht hatten.

      »Mutti – Muttichen – war das fein – wir haben nach dem Leierkasten getanzt, ich kann schon Two-step!« rief die Kleine selig, ohne auf Muttis und Fräuleins besorgte Mienen zu achten.

      Mutti aber nahm ihr Töchterchen fest an die Hand, als ob sie Furcht hätte, daß sie ihr aufs neue entwischen könnte, und sagte mit einem Gesicht, das nichts Gutes verhieß: »Wir sprechen uns oben!«

      Ach, das wurde eine ernste Unterhaltung zwischen Mutti und ihrem Nesthäkchen, und die Rute hinter dem Spiegel sprach auch ein Wörtchen mit. Die zeigte, daß sie genau so schön tanzen konnte wie Annemie. Und das schlimmste war, daß ihr Kind, ihre Gerda, die Schmach mit ansah.

      Die kleine Ausreißerin durfte mittags nicht zu Tisch kommen, sie mußte in ihrem Kinderzimmer allein mit Gerda essen. Wie schämten sich die beiden vor Vater und vor den Jungen.

      Am meisten aber schämte Annemie sich vor der schwarzen Grete. Denn sobald der Vogel sie jetzt erblickte, rief er, daß es durch das ganze Haus schallte: »Halt’ den Dieb – halt’ den Dieb!«

      9. Kapitel

       »Morgen wird gefegt!«

       Inhaltsverzeichnis

      Es war schon spät, Annemie hatte bereits ihre sämtlichen Kinder zu Bett gebracht, und nun war es auch für sie die höchste Zeit, schlafenzugehen. Denn der Mond stand schon am Himmel. Aber das kleine Mädchen mochte davon nichts wissen. Erst wollte sie noch ganz schnell mit Irenchen beten, dann mußten Mariannchens Augen noch mit Salbe eingeschmiert werden, und schließlich hatte sie vergessen, ihrer Gerda den Gutenachtkuß zu geben.

      »Annemie, wenn du jetzt nicht ganz brav bist und dich schnell ins Bett bringen läßt, gehen wir morgen nicht auf den Platz, wo die Kinder so schön Kreis spielen«, drohte das Fräulein. Das half. Denn Annemies sehnlichster Wunsch, mit dem sie Fräulein schon tagelang quälte, war, sich an den Spielen der lustig singenden Kinder beteiligen zu dürfen.

      »Ich muß nur noch Mutti schnell Gutenacht sagen, Fräulein, dann bin ich gleich wieder da!«

      Dies ließ sich hören. Aber an der Schwelle zum Wohnzimmer, das sie durchschreiten mußte, um ins Eßzimmer zu kommen, blieb die Kleine unschlüssig stehen.

      Es war schon so dunkel darin, so schrecklich dunkel, das dumme kleine Mädchen fürchtete sich.

      »Fräulein,« rief sie, zurücklaufend, »liebes, gutes einziges Fräulein, komme doch, bitte, mit mir mit.«

      »Warum denn?« sagte diese. »Mußt du von hier bis ins Eßzimmer Reisegesellschaft haben?«

      »Nein, aber –« die Kleine schämte sich jetzt doch ihrer dummen Furcht.

      »Dann gehe nur so ins Bett«, sagte Fräulein, welche die schwache Seite der Kleinen kannte und löste ihr bereits die Haarbänder aus den Rattenschwänzchen.

      »Nein, das geht doch nicht,« ereiferte sich Nesthäkchen, »wenn man seiner Mutti keinen Gutenachtkuß gegeben hat, kann man überhaupt nicht einschlafen – nicht wahr, Gerda?« Annemie trat an ihr Gitterbett. Aber Gerda hatte die Augen bereits fest geschlossen und antwortete nicht mehr.

      »Bitte, liebes, allerbestes Fräulein, geh doch mit mir mit«, bat die kleine Schmeichelkatze aufs neue, kletterte auf den Stuhl, schlang die Arme um Fräuleins Hals und schmiegte ihr süßes Gesichtchen an Fräuleins Wange.

      Da war es schwer, Klein-Annemarie etwas abzuschlagen.

      »So sag’ wenigstens, warum du nicht allein gehen willst«, verlangte Fräulein.

      »Es ist so gräßlich dunkel im Wohnzimmer und – ich graule mich so toll!« gestand das Angsthäschen.

      »Du graulst dich – ja, aber vor wem denn bloß?«

      »Vor – vor – Klaus könnte am Ende wieder als Rotkäppchen-Wolf hinter einem Sessel sitzen und mir Angst machen.«

      Fräulein öffnete die Tür zum Jungenzimmer.

      »Klaus sitzt hier ganz artig bei seinem Abendbrot, siehst du, der denkt gar nicht daran, dir einen Schreck einzujagen. Du kannst ruhig gehen, Annemie, zeige, daß du ein großes, verständiges Mädel bist.«

      Aber Annemie wollte nicht groß und verständig sein. Fräulein sollte lieber mitkommen.

      »Denn am Ende – am Ende ist der schwarze Mann drin im Wohnzimmer!« flüsterte die Kleine scheu und verbarg das Gesicht hinter den Händchen.

      »Aber Annemie« – jetzt wurde Fräulein wirklich böse – »wie kommst du denn auf solchen Unsinn! Es gibt keinen schwarzen Mann!«

      »Nein, bloß einen braunen!« gab Nesthäkchen bereitwilligst zu.

      »Auch keinen braunen, du Dummchen; woher hast du denn nur diesen Unfug?«

      »Frida hat es doch gesagt – neulich, als du abends im Theater warst, Fräulein, und ich gar nicht einschlafen wollte, sondern immerzu im Bett mit Gerda umhertobte, da drohte sie mir: ›Der schwarze Mann kommt!‹ Er wäre schon im Wohnzimmer, sagte sie.«

      »Das ist sehr unrecht von Frida, dir sowas vorzureden, aber von meiner kleinen Annemie ist es ebenso unrecht, solch dummes Zeug zu glauben. Du weißt doch, daß der liebe Gott überall bei dir ist und dich beschützt.«

      »Ja, aber vielleicht hat er an dem Abend schon geschlafen.«

      »Der liebe Gott schläft nie, der beschirmt die Menschen auch in der Nacht, Herzchen.«

      »Kommt denn der Sandmann gar nicht zum lieben Gott?«

      »Nein, Kind.« Fräulein mußte lächeln.

      »Na, da möchte ich auch lieber Gott sein und niemals abends in das olle Bett gehen müssen!« sagte Nesthäkchen mit einem tiefen Seufzer.

      Aber sie hatte es doch durchgesetzt, daß Fräulein ein Licht anzündete, um dem dummen, kleinen Mädchen zu beweisen, daß es im Wohnzimmer nichts, aber auch rein gar nichts gab, wovor man sich fürchten konnte. Und nachdem Annemie nun endlich ihren Gutenachtkuß von Mutti erhalten hatte, und in ihrem Bettchen lag, da war sie doch eigentlich schrecklich froh, daß sie nicht der liebe Gott war und die ganze Nacht auf die vielen, vielen Menschen aufpassen mußte. Denn die Augen fielen ihr fast zu, so müde war sie.

      Am nächsten Tage ging Fräulein mit der Kleinen auf den Spielplatz, wo die Kinder Kreis zu spielen pflegten, wie sie es versprochen. Nachdem sie sich noch überzeugt hatte, daß keins von den singenden Kleinen irgendwie verdächtig hustete, bekam Annemie

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