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Erst als Hanne öffnen ging, kam Nesthäkchen neugierig näher.

      »Hu – der schwarze Mann!« Laut aufkreischend vor Schreck fuhr die Kleine zurück und verkroch sich in die entfernteste Ecke.

      Ja, da stand er, der schwarze Mann, eine Leiter auf der Schulter und einen Besen in der Hand.

      »Morgen wird gefegt!« rief er mit lauter Stimme. Aber als er die Furcht des dummen kleinen Mädchens sah, da lachte er, daß die weißen Zähne in dem schwarzen Gesicht blitzten.

      »Du hast doch nicht etwa Angst vor mir, Kleine?« fragte er gutmütig.

      Und Annemie, die eben noch so keck »nicht für ’n roten Heller!« gesungen hatte, verbarg zitternd das Gesicht hinter der Schürze.

      »Du Dummerchen, das ist doch bloß der Schornsteinfeger!« beruhigte die gute Hanne sie.

      Da nahm Annemie endlich die Schürze vom Gesicht, doch sie schielte noch immer mißtrauisch zu dem schwarzen Mann hin.

      Die Puppen aber saßen auf dem Küchenschrank und lachten ihre dumme kleine Mama tüchtig aus.

      10. Kapitel

       Der Mohrenkopf

       Inhaltsverzeichnis

      »Wir kriegen Besuch – Tante Albertinchen kommt heute!« Jubelnd tanzte Annemie durchs Zimmer.

      Tante Albertinchen war eine alte Dame, die nur selten den weiten Weg machen konnte. Aber Annemie freute sich jedesmal, wenn sie zu Besuch kam.

      Erstens hatte sie in ihrem umfangreichen Perlpompadour immer irgend etwas Süßes für das Nesthäkchen. Zweitens durfte die Kleine ins Speisezimmer kommen, »Guten Tag« sagen, und auch ein Weilchen drin bleiben, weil sie Tante Albertinchens Liebling war. Und drittens, und das war die Hauptsache, gab es jedesmal Kuchen und Schlagsahne.

      Auch heute hatte Nesthäkchen, bevor die Tante noch eintraf, prüfend den Kaffeetisch in Augenschein genommen.

      Mmmm – der große Mohrenkopf und daneben die prächtige Marzipankartoffel, die beiden stachen der Kleinen am meisten von allen Kuchen in die Augen. Annemie klopfte sich im Vorgeschmack der verlockenden Dinge den kleinen Bauch. Wenn sie doch auch eine alte Tante wäre und sich nach Herzenslust etwas von der Kuchenschüssel aussuchen dürfte!

      »Mutti, kriegen wir heute auch Kuchen?« erkundigte sie sich erwartungsvoll.

      »Wenn Tante Albertinchen noch etwas übrig läßt!« lächelte Mutti.

      »Och, das kann sie doch gar nicht alles allein aufessen, alte Damen haben überhaupt immer einen schwachen Magen. Da ist sie morgen bestimmt krank!« prophezeite Nesthäkchen menschenfreundlich.

      Allerdings der Weg, den Tante Albertinchen bis hierher zu machen hatte, war weit – da konnte man schon ordentlichen Hunger kriegen!

      »Weißt du, Muttichen« – jetzt hatte das angestrengt nachdenkende kleine Mädchen endlich einen Ausweg gefunden – »du könntest ja vielleicht an den Mohrenkopf oder an die Marzipankartoffel, oder vielleicht auch an beides, ein Zettelchen mit meinem Namen ankleben, damit Tante Albertinchen gleich Bescheid weiß, daß sie für mich bestimmt sind.«

      »Sie sind aber gar nicht für dich bestimmt, Lotte, sondern für die Tante!« lachte Mutti.

      Damit mußte sich Annemie bescheiden. Sie lief ins Kinderzimmer, stellte sich ans Fenster, blickte fromm zu dem blauen Himmel empor und faltete ihre Händchen: »Lieber Gott,« so betete sie, »du siehst doch alles und kannst alles machen. Sorge doch, bitte, dafür, daß Tante Albertinchen nur Streußelkuchen und Brezel nimmt, und den Mohrenkopf und die schöne Marzipankartoffel für mich übrigläßt – amen!«

      Etwas beruhigter ging Annemie darauf zu ihren Puppen. Gerda mußte fein gemacht werden, denn sie sollte mit hereinkommen und die Tante begrüßen. Tante Albertinchen hatte ihr Nesthäkchen Gerda noch gar nicht gesehen. Sie würde sich gewiß freuen, Gerdas Bekanntschaft zu machen.

      »Sei nur nicht vorlaut, Gerda, antworte nur, wenn die Tante dich etwas fragt. Aber schüchtern und verlegen brauchst du auch nicht zu sein, und dich auch nicht zu schonieren. Und nimm dein hübsches Schürzchen in acht, ich habe es selbst mit meinem kleinen Plätteisen geplättet. Und denn schiele bloß nicht immer nach der Kuchenschüssel hin, das sieht so schrecklich verfressen aus, hörst du, Gerda?« So gab Annemie ihrem Kind Ermahnungen für sein erstes gesellschaftliches Auftreten.

      Gerda nickte zu allem mit dem Kopf. Sie würde sich schon höchst damenhaft benehmen!

      Die kleine Mama wurde nun selbst fein gemacht. Ihr Gesicht sah ewig verschmiert aus, und wo sie die schmutzigen Händchen bloß immer her bekam, war Fräulein vollends ein Rätsel. Die blonden Löckchen sprangen stets widerspenstig aus den festgeflochtenen Rattenschwänzchen heraus, wenn sie auch eben erst frisiert worden war.

      Heute steckte Fräulein ihr, Tante Albertinchen zu Ehren, Schnecken über den Ohren auf und band eine rosa Seidenschleife hinein. Annemie war das gar nicht recht, weil sie dabei so lange stillstehen mußte. Aber in dem verheißungsvollen Gedanken an den Mohrenkopf auf der Küchenschüssel drin, ließ sie alles ruhig über sich ergehen.

      »So, nun mache dich ja nicht schmutzig, Annemiechen, ich muß den Damen jetzt den Kaffee auftragen«, sagte Fräulein, nachdem sie der Kleinen noch ein weißes Stickereischürzchen vorgebunden hatte, ermahnend.

      Annemarie fühlte sich fast in ihrer Ehre gekränkt; das wußte sie doch schon längst, sie hatte es Gerda doch sogar schon beigebracht.

      »Was spielen wir nun, bis Fräulein wiederkommt?« wandte sich Annemie an ihre Puppen und sah sich unschlüssig in der Kinderstube um. »Radau dürfen wir nicht machen, weil Tante Albertinchen schon so alt ist und das gewiß nicht mehr aushalten kann!«

      Da flog ihr Blick über ein kleines Büchelchen, das zwischen den Baukästen hervorlugte.

      »Au ja – Abziehbilder!«

      Großmama hatte ihr neulich das Büchlein mitgebracht. Aber da die Kleine bei dem schönen Wetter jetzt stets spazieren ging, war sie noch gar nicht dazu gekommen, die Bilder abzuziehen. Dabei tat sie das doch so schrecklich gern. Erst das feine Panschen und dann die Aufregung, in was für ein Bild sich das weiße Papier wohl verwandeln würde.

      Annemie schleppte geschäftig ihren Seifnapf mit Wasser zum Kindertisch und rückte Gerda mit ihrem Stühlchen heran, damit die zugucken konnte, wie schön ihre kleine Mama das verstand. Ein Läppchen zum Befeuchten hatte sie gerade nicht zur Hand. Ach was – sie nahm einfach Babys Windelhöschen, die zum Trocknen auf dem Blumenbrett hingen.

      Schwieriger war schon die Frage, wo sie einen Bogen Papier zum Abziehen der Bilder hernehmen sollte.

      Bruder Hans, der sonst bei solchen Verlegenheiten seines Schwesterchens stets gutmütig aushalf, hatte Nachmittagsschule, und Klaus, mit dem mochte sie lieber erst gar nicht anfangen.

      Aber wozu war denn ihr kleiner Tisch so wunderschön weiß? Der ging doch geradesogut wie der schönste Bogen Papier!

      Schwapp – da klebte bereits das erste Bild auf dem Tischchen. Annemie panschte unbekümmert um Puppe Gerdas durchweichte Locken den ganzen Inhalt des Seifnäpfchens über das Bild. Das ließ sich ja wieder füllen. Dann drückte sie mit Babys Windelhöschen auf das nasse Papier. Aber da die Höschen winzig klein waren und nicht genügend deckten, nahm Annemie unbekümmert ihr reines Stickereischürzchen zu Hilfe und drückte nun mit ihrer ganzen gewichtigen kleinen Person, so sehr sie nur konnte.

      So, jetzt vorsichtig – ganz behutsam – ein Eckchen des nassen Papiers heben – »siehst du, Gerda, so muß man das machen!«

      Mit heißen Bäckchen zog Annemie das Papier herunter – »Hurra, der Struwwelpeter!«

      Er war zwar nicht ganz vollständig geworden, die langen Nägel fehlten, und auch die Wuscheltolle war nur halb mit heraufgekommen. Aber er prangte doch immerhin

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