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mit Musik statt. Wie eine Kette von Leuchtkäferchen, so schlängelte es sich durch die Straßen Wittdüns den Strand entlang. Allerlei Volkslieder spielte die Kapelle auf, und hell fielen die jungen Stimmen ein. Zuletzt erschallte es »Deutschland, Deutschland über alles« – die Klänge verschmolzen mit dem ewigen Lied des brausenden Meeres.

      »Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt« – würde es nötig sein, daß sich ganz Deutschland zu Schutz und Trutze brüderlich gegen den drohenden Feind zusammenschloß? So fragte sich manch banges Herz an diesem friedlichen, in purpurner Schönheit ersterbenden Juliabend am Nordseestrand.

      20. Kapitel

       Auf der Flucht

       Inhaltsverzeichnis

      Es war merkwürdig still am nächsten Tage in Villa Daheim, die sonst von lauten, fröhlichen Kinderstimmen widerzuhallen pflegte. Bis auf Annemarie, Kurt und Klein-Annekathrein war das Haus kinderleer geworden. Aus allen Zimmern, aus allen Ecken, ja selbst draußen im Garten gähnte einem eine bedrückende Stille entgegen.

      Doktors Nesthäkchen, das sonst für ein halbes Dutzend Radau machen konnte, wagte in dieser ungewohnten Ruhe heute gar nicht zu lachen, zu singen und zu springen. Sonderbar beklommen war es Annemarie zumute. Nicht einmal die Erinnerung an das gestrige schöne Kinderfest vermochte diese ungewohnte Stimmung zu zerstreuen.

      Was war bloß schuld daran? Daß Miß John heute morgen ganz plötzlich nach England abgedampft war, konnte wohl nicht der Grund sein. Auch daß Fräulein Mahldorf, die ihre Heimat in Ostpreußen hatte, zwei Stunden später ebenfalls zu ihrer Mutter nach Hause reiste, ging Annemarie doch nicht so schrecklich nahe.

      Nein, die sorgenvollen Mienen und das leise Flüstern und Beraten von Frau Kapitän und Tante Lenchen wirkten wohl so beklemmend. Und auch, daß die Dörthe immerzu nach der Post geschickt wurde, ob denn inzwischen noch kein Telegramm gekommen sei von den Eltern der noch anwesenden Kinder, war aufregend. Zu jedem Dampfer ging Tante Lenchen mit Annemarie zum Strand hinunter, sie glaubte bestimmt, Herr oder Frau Doktor Braun würde selbst ihr Töchterchen abholen.

      Ach – Annemaries Mutter ahnte in ihrem englischen Landaufenthalt gar nicht, daß die Kriegsgefahr für Deutschland so nahe war. Und Doktor Braun machte gerade eine mehrtägige Hochtour mit seinen Jungen. Bis in die Gletscherwelt hinauf flatterten die aufregenden Kriegsnachrichten nicht.

      Auch der Strand, an dem vor zwei Tagen regstes Badeleben geherrscht, lag heute wie ausgestorben da. Nur vereinzelte Familien sonnten sich noch in dem weißen Sande: nur wenige Kinder panschten und spielten noch am Wasser. Die rotweißen Strandkörbe standen verlassen und langweilten sich.

      Nein, war das heute mopsig! Kurt hatte grade seine Liegekur und las in seinem neuen Märchenbuch. Annekathrein, die sich gestern beim Kinderfest einen Schnupfen geholt hatte, sollte im windgeschützten Garten in der Sonne bleiben. So war Doktors Nesthäkchen ganz allein am Strande. Und das sollte nun alle Tage so sein, bis Mutti kam und sie mit nach Haus nahm? Nee, dafür dankte die Annemarie. Sie fand es jetzt gar nicht mehr lustig an der Nordsee.

      Vielleicht war es im Garten hübscher. Da arbeitete Mutter Antje, mit der sie sich unterhalten konnte, und auch mit Annekathrein konnte sie dort spielen. Denn Tante Lenchen, die sie zum Strande begleitet hatte, war heute gar nicht zu einer Unterhaltung aufgelegt, die antwortete immer bloß »hm«, wenn Annemarie sie etwas fragte. Und dann las sie immerzu ihre ollen Zeitungen und machte dazu ernste Augen. Oder aber sie sprach mit irgendeinem Bekannten, dann wurde ihr Gesicht noch sorgenvoller.

      Tante Lenchen war es durchaus recht, daß Annemarie bat, zu Hause im Garten spielen zu können. Sie wollte noch mal mit ihrer Schwester sprechen, ob es nicht doch ratsam sei, keine Depesche mehr abzuwarten und den nächsten Dampfer am Nachmittag mit den drei Kindern zu benutzen.

      Während die Damen hin und her überlegten, und doch zu keinem Entschluß kommen konnten, halfen Annemarie und Klein-Annekathrein Mutter Antje beim Bohnenpflücken.

      »Glauben Sie, daß Krieg wird, Mutter Antje?« fragte Doktors Nesthäkchen, das nun allmählich auch vom Kriegsfieber ergriffen ward, die Alte.

      »Ih, man jo nicht, dat wär’ jo slimm, nee, dat glöw’ ick (glaube ich) ganz un gor nich, un wat oll Vadder Hinrich is, der glöwt dat ok nich,« meinte die Alte.

      Na also! Warum reisten denn bloß alle Leute ab? Modder Antje und Vadder Hinrich waren doch schon so alt, die mußten das doch wissen!

      Am Nachmittag ging Tante Lenchen mit Annemarie baden. Die Badezeiten wechselten täglich mit der Flut. Eine seltsame, schwefelgelbe Beleuchtung lag über dem Meer, gelbbraun rollten die Wogen daher.

      Sie waren die einzigen im Wasser – kein Mensch weit und breit zu erblicken.

      »Sieh mal, Kind, dort hinten am Horizont, taucht wieder das schwarze Torpedoboot auf, das ich euch schon öfters gezeigt – siehst du – dort, das ist ein Kriegsschiff,« Tante Lenchen wies über das schäumende Meer.

      Die in den Wellen herumplätschernde Annemarie, der es in dem vereinsamten Damenbad etwas ungemütlich war, blickte in die angegebene Richtung.

      »Tante Lenchen – Tante Lenchen – das Torpedoboot ist eben untergegangen – es ist spurlos in den Wellen versunken,« rief die Kleine aufgeregt.

      Tatsächlich – das eben noch deutlich sichtbare schmale Schiff war plötzlich wie von den Wassern verschlungen.

      »Dann ist es sicher ein Unterseeboot gewesen, Annemarie, das untertauchen und stundenlang unter dem Wasser, ohne daß man es sieht, dahinfahren kann. Als Waffe im Seekriege hat man die Unterseeboote erfunden, Gott gebe, daß wir sie nicht gebrauchen!«

      »Tante Lenchen, ich graule mich – ich will raus aus dem Wasser,« Doktors Nesthäkchen wurde es mit einem Male ganz unheimlich zumute. Alles was Fräulein Julchen vom Quallenkönig auf dem Meeresgrunde erzählt, ward plötzlich wieder in Annemarie lebendig.

      Tante Lenchen war einverstanden. Sie hatte heute auch keine rechte Freude am Bade.

      Als die beiden wieder die Wandelbahn betraten, kam ihnen oben am Friesenhäuschen eine bekannte Kapitänsfamilie entgegen.

      »Wissen Sie es schon, Fräulein Petersen,« rief man ihnen schon von weitem entgegen, »über Deutschland ist der Kriegszustand verhängt!«

      »Barmherziger Himmel – Gott schütze unser Vaterland und uns alle!« Tante Lenchen murmelte es mit erbleichenden Lippen.

      Angstvoll klammerte sich Annemarie an ihre Hand.

      Da aber kam wieder Leben in die vor Schreck versagenden Glieder der jungen Dame.

      »Ich muß sofort zur Landungsbrücke und hören, wann das nächste Schiff abgeht. Jetzt dürfen wir nicht länger zögern. Ich werde den Eltern telegraphieren, daß wir euch heimbringen, Annemarie.«

      »Aber Vater und Mutti sind doch gar nicht in Berlin, und Mutter Antje sagt doch, es gibt bestimmt keinen Krieg,« vergeblich rief es Annemarie hinter der die hohen Steinkreppen zum Strande herabhastenden Tante Lenchen her.

      »Morgen früh um halb neun geht das nächste Schiff erst«, wurde ihnen an der Dampferstation als Bescheid.

      Bis dahin konnte man mit allem fertig werden. Wieder ging es im Trab die Treppen hinauf zur Post. Dieselbe war von Menschen umdrängt: das ahnte man ja gar nicht, daß überhaupt noch so viele in Wittdün geblieben waren. Ein jeder gab dringende Telegramme in die Heimat auf. Auch Tante Lenchen setzte die Eltern der drei Kinder davon in Kenntnis, daß dieselben morgen zu Hause eintreffen würden.

      Etwas beruhigter ging sie nun mit ihrer kleinen Schutzbefohlenen nach Villa Daheim zurück, wo Frau Kapitän Clarsen noch gar keine Ahnung von dem geplanten schnellen Aufbruch hatte. Aber auch sie sah die Notwendigkeit jetzt ein.

      In fliegender Eile wurden die Koffer alle gepackt. Annemarie half, so gut sie konnte, durch Zureichen der Sachen. Heimlich aber wunderte sie sich über Tante

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