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Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen. Charles Sealsfield
Читать онлайн.Название Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen
Год выпуска 0
isbn 9788075835741
Автор произведения Charles Sealsfield
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Guten Morgen!« sprach der junge Mann, der mit Verwunderung der Indianerin einen Augenblick zugesehen hatte. Die Begrüßung wurde mit Stillschweigen aufgenommen. Die Indianerin deutete auf die Wachteln und ließ sich dann auf dem entgegenstehenden Sitze nieder, auf dem sie ruhig abwarten zu wollen schien, bis der junge Mann gegessen haben würde.
»Mein junger Bruder,« hob sie endlich an, als sie gewahrte, daß dieser keine Miene machte, das Mahl zu versuchen, »ist im Kanu des großen Häuptlings der Salzsee angekommen. Hat er in seinem Wigwam gelebt und die Pfeife des Friedens mit ihm geraucht?« Sie sprach diese Worte in ziemlich geläufigem Englisch, obwohl in dem tiefen und stark hervorstoßenden Kehltone ihrer Nation.
»Kanu! Wigwam! Pfeife des Friedens!« wiederholte der junge Mann, der, wie es schien, keine Silbe von dem Ganzen verstand. »Ja, in einem Kanu bin ich gewesen,« fuhr er halbfröhlich fort, »und das mag der Henker holen! Ich will mein ganzes Leben daran denken. Brr!« murmelte er, »das war kein Spaß, wenn man seine acht Tage, oder Gott weiß wie lange, auf der Salzwelle herumtanzt und an seinen Schuhsohlen Mittagsmahl halten muß. Hole der Teufel unsere Schildkrötenjagd und Austernliebhaberei. Will in meinem Leben auf keine mehr gehen. Sag' mir nur einmal, liebes Mädchen, wo ich eigentlich bin. Die letzten zwei Tage erinnere ich mich zwischen Sümpfen und Morästen gewesen zu sein, in denen nichts Eßbareres zu sehen war, als Alligatoren und wilde Gänse, die leider Flügel hatten. Wo ich aber gegenwärtig zu sein die Ehre habe, weiß ich wahrlich nicht.«
Die Indianerin stutzte ein wenig über den fröhlich-humoristischen Wortschwall, der ihm entfahren, und sie schien eine Weile das Gesagte in ihrem Gedächtnisse zu ordnen. Endlich mochte sie damit zu Ende gekommen sein; ihre Miene jedoch, weit entfernt, im nämlichen Tone zu erwidern, drückte eher Mißfallen aus.
»Mein Bruder hat nicht auf die Frage seiner Schwester geantwortet. – Hat er bei dem Häuptling der Salzsee gelebt und die Pfeife des Friedens mit ihm geraucht?«
»Das habe ich«, erwiderte er, der sie nun zu begreifen wähnte. »Ich habe bei dem Häuptling der Salzsee gelebt, wenn du, was natürlich, darunter unsere Nation verstehst; aber was das Rauchen aus der Pfeife betrifft, das habe ich nicht getan. Wir rauchen nie aus Pfeifen, das ist nicht Mode bei uns; bloß die Franzosen und Neger tun es. Schmutzige Tiere!« fügte er hinzu.
»Mein Bruder«, versetzte die Indianerin ebenso gelassen, »hat eine gekrümmte Zunge, und er will seine Schwester zum Narren machen. Canondah ist die Tochter des Miko«, sprach sie mit Würde.
»Canondah, Tochter des Miko«; wiederholte der junge Mann. »Englische Worte, aber wenn ich sogleich mit der Kanonenbraut kopuliert werden sollte, ich weiß wahrlich keine Antwort zu geben.«
»Wie ist mein Bruder zum Kanu gekommen, in welchem ihn seine Schwester gefunden hat?«
»Wie kann ein ehrlicher englischer Midshipman, der während seines Austernsuchens von einem französischen Hunde von Seeräuber überfallen und gefangen in seine Räuberhöhle geschleppt wird, zu einem Boote kommen? Ich nahm es während der Nachtzeit und machte mich aus dem Staube. Wollte Gott, Tom und Bill hätten mitgekonnt; aber der Spitzbube hat uns einzeln eingesperrt.«
Der junge Mann, in fröhlicher, munterer Laune, schien die rhapsodische Skizze mehr zu seiner eigenen Unterhaltung, als der Aufklärung der Indianerin zu geben.
»Mein Bruder«, sprach wieder die Indianerin, die aufmerksam zugehört hatte, »hat also das Kanu dem Häuptling der Salzsee genommen und ist in der Nachtzeit aus seinem Wigwam gewichen?«
»Das Kanu gehört einem Hunde von Piraten; – den wirst du doch unter dem Häuptling der Salzsee nicht meinen?« fragte der Brite etwas aufmerksamer.
Die Indianerin schüttelte den Kopf und maß ihn mit einem Blicke, der den Humor des jungen Seemannes ein wenig herabstimmte.
»Mein Bruder ist sehr jung«, sprach sie, »um auf den Kriegspfad des großen Häuptlings der Salzsee zu gehen. Er sollte zuvor lernen, den Hirsch und den Büffel zu jagen und die große Wasserschlange zu töten, ehe er in den Krieg zieht; oder die Töchter seines Volkes werden über der Leiche meines gefallenen Bruders weinen.«
Sie sprach diese Worte mit einem Ausdrucke, der Mitleiden und Hohn ziemlich deutlich zu verstehen gab, und schien auf eine Antwort zu warten.
»Aber du wirst doch nicht glauben, daß ein englischer Offizier oder vielmehr Quasioffizier, verflucht unsere Offizierschaft, mit einem Piraten Krieg führen wird? – Solche Hunde fängt man und knüpft sie auf.« Die Indianerin maß ihn mit einem verächtlichen Blicke.
»Sieh!« erwiderte sie kalt und verächtlich, »wenn die roten Männer auf den Kriegspfad gegen ihre Feinde ziehen, so schlagen sie die Krieger und Häuptlinge ihrer Feinde entweder auf dem Schlachtfelde tot, oder sie führen sie gefangen heim, um sie ihren jungen Männern zu zeigen, daß diese ebenso brav werden mögen, wie sie. Aber dann bewachen sie dieselben, daß sie nicht entfliehen können. Mein junger Bruder jedoch ist keiner ihrer Häuptlinge oder Krieger. Seine Hände sind klein wie die eines Mädchens und haben nie einen Tomahawk gehoben. Der große Häuptling hat ihn gefangen mit andern Knaben und Mädchen seines Volkes und ihn in sein Wigwam gesandt. Der Häuptling der Salzsee ist groß, und er tötet Männer, aber er bekümmert sich nicht um Weiber und Kinder. Mein junger Bruder hat eine starke Zunge, aber sein Arm ist schwach.«
»Beinahe sollte ich glauben, daß du von dem Häuptling der Salzsee, wie du den Seeräuber nennst, mehr weißt, als mir und dir gut sein dürfte«, erwiderte der junge Mann, der nun gespannt zu werden schien. »Der Häuptling der Salzsee ist ein großer Krieger, und seine Name ist weit bekannt«; sprach das Mädchen trocken.
»Und wie weit ist es von hier zu seinem Wigwam?« fragte er, den Ausdruck gebrauchend, der von der Indianerin am leichtesten verstanden werden konnte.
»Mein Bruder«, erwiderte die Indianerin spöttisch, »ist ja von seinem Wigwam in seinem Kanu angekommen. Wenn die roten Männer ihre Späher und Spione aussenden, dann wählen sie solche, die wissen, wie lang der Pfad ist, der zum Feinde führt. Tun es die Weißen anders? Canondah ist ein schwaches Mädchen, aber sie ist die Tochter des Miko.« Sie hatte die letzten Worte mit einer Würde und Bestimmtheit ausgesprochen, die zugleich zu sagen schienen, daß seine bisherige Vertraulichkeit nicht am rechten Orte angewandt sei.
»Aber du wirst doch nicht glauben, daß ich ein Spion bin, der ausgegangen, um den Freibeuter auszuspähen?«
»Mein weißer Bruder spricht mit der Zunge unserer Feinde, oder spricht er mit einer doppelten Zunge?«
»Wirklich,« sprach der Jüngling, »ich weiß nicht, träume oder wache ich mit dir, liebes Mädchen. Vielleicht bist du es, der ich mein Leben schulde. Wenn dem so, dann nimm meinen aufrichtigen innigen Dank. Ich bitte um Vergebung, wenn meine Ausdrücke, die du mißzuverstehen scheinst, dich beleidigen. Sage mir nur, wo ich bin. Ich erinnere mich dunkel eines kupferfarbigen, artigen Mädchens, die zu meinem Beistande kam, als ich soeben vom Alligator gepackt wurde, auf den ich, ihn für einen Baumstamm ansehend, meinen Fuß setzte; und dann schwimmt vor meiner trüben Phantasie eine liebliche Göttergestalt, mehr Kind als Mädchen, die gleich einem Engel nur im Traume mir erschien. Wo ist das Mädchen? Sie ist eine Weiße, sie wird mich, ich sie eher verstehen.