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ci­tirt Vol­tai­re’s Vers:

       Un mons­tre gai vaut mieux

       Qu’un sen­ti­men­tal en­nuy­eux.

      Wenn ich nun ver­mei­ne, jetzt um ein paar Jahr­hun­der­te Vol­tai­ren und so­gar Ga­lia­ni – der et­was viel Tie­fe­res war – in der Auf­klä­rung vor­aus zu sein: wie weit muß­te ich also gar in der Ver­düs­te­rung ge­langt sein! Dies ist auch wahr: und ich nahm zei­tig mich mit ei­ner Art Be­dau­ern in Acht vor der deut­schen und christ­li­chen Enge und Fol­ge-Un­rich­tig­keit des Scho­pen­hau­er’­schen oder gar Leo­par­di’­schen Pes­si­mis­mus und such­te die prin­ci­pi­ells­ten For­men auf (– Asi­en –). Um aber die­sen ex­tre­men Pes­si­mis­mus zu er­tra­gen (wie er hier und da aus mei­ner »Ge­burt der Tra­gö­die« her­aus­klingt), »ohne Gott und Moral« al­lein zu le­ben, muß­te ich mir ein Ge­gen­stück er­fin­den. Vi­el­leicht weiß ich am bes­ten, warum der Mensch al­lein lacht: er al­lein lei­det so tief, daß er das La­chen er­fin­den muß­te. Das un­glück­lichs­te und me­lan­cho­lischs­te Thier ist, wie bil­lig, das hei­ters­te.

      *

      92.

      In Be­zug auf deut­sche Cul­tur habe ich das Ge­fühl des Nie­der­gangs im­mer ge­habt. Das hat mich oft un­bil­lig ge­gen das gan­ze Phä­no­men der eu­ro­päi­schen Cul­tur ge­macht, daß ich eine nie­der­ge­hen­de Art ken­nen lern­te. Die Deut­schen kom­men im­mer spä­ter hin­ter­drein: sie tra­gen Et­was in der Tie­fe, z. B. –

      Ab­hän­gig­keit vom Aus­land: z. B. Kant – Rous­seau, Sen­sua­lis­ten, Hume, Swe­den­borg.

      Scho­pen­hau­er – In­der und Ro­man­tik, Vol­taire.

      Wa­gner – fran­zö­si­scher Cul­tus des Gräß­li­chen und der großen Oper, Pa­ris und Flucht in Ur­zu­stän­de (die Schwes­ter-Ehe).

      – Ge­setz der Nach­züg­ler (Pro­vinz nach Pa­ris, Deutsch­land nach Frank­reich). Wie­so ge­ra­de Deut­sche das Grie­chi­sche ent­deck­ten (: je stär­ker man einen Trieb ent­wi­ckelt, umso an­zie­hen­der wird es, sich ein­mal in sei­nen Ge­gen­satz zu stür­zen).

      Mu­sik ist Ausklin­gen.

      *

      93.

      Re­naissance und Re­for­ma­ti­on. – Was be­weist die Re­naissance? Daß das Reich des »In­di­vi­du­ums« nur kurz sein kann. Die Ver­schwen­dung ist zu groß: es fehlt die Mög­lich­keit selbst, zu sam­meln, zu ca­pi­ta­li­si­ren, und die Er­schöp­fung folgt auf dem Fuße. Es sind Zei­ten, wo Al­les vert­han wird, wo die Kraft selbst verthan wird, mit der man sam­melt, ca­pi­ta­li­sirt, Reicht­hum auf Reicht­hum häuft … Selbst die Geg­ner sol­cher Be­we­gun­gen sind zu ei­ner un­sin­ni­gen Kraft­ver­geu­dung ge­zwun­gen; auch sie wer­den als­bald er­schöpft, aus­ge­braucht, öde.

      Wir ha­ben in der Re­for­ma­ti­on ein wüs­tes und pö­bel­haf­tes Ge­gen­stück zur Re­naissance Ita­li­ens, ver­wand­ten An­trie­ben ent­sprun­gen, nur daß die­se im zu­rück­ge­blie­be­nen, ge­mein ge­blie­be­nen Nor­den sich re­li­gi­ös ver­klei­den muß­ten, – dort hat­te sich der Be­griff des hö­he­ren Le­bens von dem des re­li­gi­ösen Le­bens noch nicht ab­ge­löst.

      Auch mit der Re­for­ma­ti­on will das In­di­vi­du­um zur Frei­heit; »Je­der sein eig­ner Pries­ter« ist auch nur eine For­mel der Li­ber­ti­na­ge. In Wahr­heit ge­nüg­te Ein Wort – »evan­ge­li­sche Frei­heit« – und alle In­stink­te, die Grund hat­ten, im Ver­bor­ge­nen zu blei­ben, bra­chen wie wil­de Hun­de her­aus, die bru­tals­ten Be­dürf­nis­se be­ka­men mit Ei­nem Male den Muth zu sich, Al­les schi­en ge­recht­fer­tigt … Man hü­te­te sich zu be­grei­fen, wel­che Frei­heit man im Grun­de ge­meint hat­te, man schloß die Au­gen vor sich … Aber daß man die Au­gen zu­mach­te und die Lip­pen mit schwär­me­ri­schen Re­den be­netz­te, hin­der­te nicht, daß die Hän­de zu­grif­fen, wo Et­was zu grei­fen war, daß der Bauch der Gott des »frei­en Evan­ge­li­ums« wur­de, daß alle Ra­che- und Neid-Ge­lüs­te sich in un­er­sätt­li­cher Wuth be­frie­dig­ten …

      Dies dau­er­te eine Wei­le: dann kam die Er­schöp­fung, ganz so wie sie im Sü­den Eu­ro­pa’s ge­kom­men war; und auch hier wie­der eine ge­mei­ne Art Er­schöp­fung, ein all­ge­mei­nes rue­re in ser­vi­tu­tem … Es kam das u­n­an­stän­di­ge Jahr­hun­dert Deutsch­lands …

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      94.

      Die Rit­ter­lich­keit als die er­run­ge­ne Po­si­ti­on der Macht: ihr all­mäh­li­ches Zer­bre­chen (und zum Theil Über­gang in’s Brei­te­re, Bür­ger­li­che). Bei Lar­oche­fou­cauld ist Be­wußt­sein über die ei­gent­li­chen Trieb­fe­dern der No­bles­se des Ge­müths da – und christ­lich ver­düs­ter­te Beurt­hei­lung die­ser Trieb­fe­dern.

      Fort­set­zung des Chris­tent­hums durch die fran­zö­si­sche Re­vo­lu­ti­on. Der Ver­füh­rer ist Rous­seau: er ent­fes­selt das Weib wie­der, das von da an im­mer in­ter­essan­ter – lei­den­d – dar­ge­stellt wird. Dann die Scla­ven und Mistreß Bee­cher-Sto­we. Dann die Ar­men und die Ar­bei­ter. Dann die Las­ter­haf­ten und Kran­ken, – Al­les das wird in den Vor­der­grund ge­stellt (selbst um für das Ge­nie ein­zu­neh­men, wis­sen sie seit fünf­hun­dert Jah­ren es nicht an­ders als den großen Leid­trä­ger dar­zu­stel­len!). Dann kommt der Fluch auf die Wol­lust (Bau­de­laire und Scho­pen­hau­er); die ent­schie­dens­te Über­zeu­gung, daß Herrsch­sucht das größ­te Las­ter ist; voll­kom­me­ne Si­cher­heit dar­in, daß Moral und dé­sintéres­se­ment iden­ti­sche Be­grif­fe sind; daß das »Glück Al­ler« ein er­stre­bens­wert­hes Ziel sei (d.h. das Him­mel­reich Chris­ti). Wir sind auf dem bes­ten Wege: das Him­mel­reich der Ar­men des Geis­tes hat be­gon­nen. – Zwi­schen­stu­fen: der Bour­geois (in Fol­ge des Gel­des Par­ve­nu) und der Ar­bei­ter (in Fol­ge der Ma­schi­ne).

      Ver­gleich der grie­chi­schen Cul­tur und der fran­zö­si­schen zur Zeit Lud­wig’s XIV. Ent­schie­de­ner Glau­be an sich sel­ber. Ein Stand von Mü­ßi­gen, die es sich schwer ma­chen und viel Selb­st­über­win­dung üben. Die Macht der Form, Wil­le, sich zu for­men. »Glück« als Ziel ein­ge­stan­den. Viel Kraft und Ener­gie hin­ter dem For­men­we­sen. Der Ge­nuß am An­blick ei­nes so leicht schei­nen­den Le­bens. – Die Grie­chen sa­hen den Fran­zo­sen wie Kin­der aus.

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      95.

      Die drei Jahr­hun­der­te.

      Ihre ver­schie­de­ne Sen­si­bi­li­tät drückt sich am bes­ten so aus:

      Ari­sto­kra­tis­mus: Des­car­tes, Herr­schaft der Ver­nunft, Zeug­niß von der Sou­ve­rä­ne­tät des Wil­lens;

      Fe­mi­nis­mus: Rous­seau, Herr­schaft des Ge­fühls, Zeug­niß von der Sou­ve­rä­ne­tät der Sin­ne, ver­lo­gen;

      Ani­ma­lis­mus: Scho­pen­hau­er, Herr­schaft der Be­gier­de, Zeug­niß von der Sou­ve­rä­ne­tät der A­ni­ma­li­tät, red­li­cher, aber düs­ter.

      Das 17. Jahr­hun­dert ist a­ri­sto­kra­tisch, ord­nend, hoch­müthig

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