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stellte sie amüsiert fest. Doch dann wurde sie ernst. »Freust du dich denn nicht auf dein Baby?«

      Statt einer Antwort schüttelte Yasi nur den Kopf, und Marlene drang nicht weiter in sie. So saßen die beiden Frauen eine Weile schweigend nebeneinander.

      »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie sich freuen würden, wenn Sie nach einer Vergewaltigung schwanger wären«, brach es plötzlich aus Yasmin heraus, bevor sie in Tränen ausbrach. Es hatte ihre ganze Kraft gefordert, dieses Geheimnis nach so vielen Monaten preiszugeben, doch instinktiv wußte sie, daß es bei Marlene gut aufgehoben war. Immer und immer wieder hatte sie das Bild der lachenden Frau vor den Augen, und als Marlene sie jetzt mitfühlend in die Arme schloß, fühlte sich Yasmin so geborgen wie zuletzt bei ihrer Mutter.

      »Geht es dir jetzt besser?« fragte Marlene später, als Yasmins Tränen langsam versiegten.

      »Danke, daß Sie soviel Zeit für mich haben«, stammelte diese beschämt.

      »Das habe ich dir doch angeboten. Willst du mir alles erzählen? Vielleicht ist dir dann leichter ums Herz.«

      »Wollen Sie es wirklich hören?«

      »Ich kenne dich zwar noch nicht sehr gut, aber ich mochte dich vom ersten Augenblick an. Und es ist doch nicht schön, wenn ein Mensch, den man mag, traurig ist, nicht wahr?«

      »Es hat schon lange niemand mehr zu mir gesagt, daß er mich mag.«

      »Deine Eltern auch nicht?« fragte Marlene vorsichtig.

      »Ich habe keine Eltern mehr. Sie sind verunglückt, als ich drei Jahre alt war. Seitdem bin ich in einem Heim.«

      »Und es hat dich niemand adoptiert?«

      »Die Leute wollen doch immer nur kleine Babys und keine dreijährigen Kinder«, sagte Yasi leise.

      Betreten blickte Marlene zu Boden. »Du hast recht. Aber es hat andere Gründe, als du vermutest, zumindest bei meinem Mann und mir. Ich werde es dir einmal erklären. Aber jetzt erzähl weiter. Wie ist es in deinem Heim? Hast du dort Freunde?«

      »Freunde schon, aber man hat halt keine Familie. Es gibt eine Erzieherin, die Fanny, die ist sehr nett. Aber sie kann nicht so vielen Kindern gleichzeitig eine Mutter sein. Sie gibt sich große Mühe, aber richtig vertrauen kann ich ihr nicht.«

      »Das ist verständlich. Weiß sie von deinem Unglück?«

      »Nein, keiner weiß es. Nur Sie.«

      »Dein Vertrauen ehrt mich. Ich werde dich nicht enttäuschen, Yasmin«, erklärte Marlene nachdrücklich.

      Yasmin schwieg einen kurzen Moment, als ringe sie mit sich selbst. Dann begann sie stockend zu erzählen.

      »Es passierte auf einer Party, die ich ohne Erlaubnis besuchte. Obwohl es vom Heim verboten ist, wollte ich unbedingt dorthin gehen, weil da ein Junge war, der mir sehr gut gefallen hat. Es war auch wirklich ein schöner Abend. Jens, so hieß er, interessierte sich tatsächlich für mich. Ich war überglücklich. Es wurde auf diesem Fest viel Alkohol getrunken, und nach und nach wurde Jens immer zudringlicher. Meine anfängliche Begeisterung wandelte sich schnell. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, doch ich konnte mich nicht wehren. Ehe ich es mich versah, hatte er mich in ein Nebenzimmer bugsiert. Ein Freund von ihm stand Wache an der Tür.«

      Yasmin versagte die Stimme bei der Erinnerung an die schrecklichen Dinge, die sie dann erlebt hatte. Sie erschauerte.

      »Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat, aber es war grauenvoll. Hinterher lachte er nur und fragte, ob es mir denn Spaß gemacht hätte. So schnell es ging, habe ich alle meine Sachen zusammengerafft und bin davongelaufen.«

      »Hast du ihn danach noch einmal wiedergesehen?« fragte Marlene erschüttert.

      Yasmin senkte den Blick. »Das war ja fast das schlimmste. Er geht in meine Klasse. Ich sehe ihn jeden Tag. Und er verspottet mich wegen meiner Schwangerschaft. Er glaubt nicht, daß er der Vater ist.«

      »Du meine Güte! Warum hast du nicht mit dieser Fanny darüber gesprochen? Sie hätte dir bestimmt helfen können.«

      »Die Heimleitung hat sich eine eigene Version der Geschehnisse ausgedacht. Frau Weinzierl glaubt fest daran, daß ich es so gewollt habe, weil ich auch ohne Erlaubnis auf die Party gegangen bin. Es hat keinen Sinn, sie von etwas anderem überzeugen zu wollen. Wenn sie sich einmal eine Meinung gebildet hat, dann bleibt sie dabei.«

      »Das ist nicht gerade sehr einfühlsam sarkastisch.

      »Kann schon sein. Aber für manche Kinder ist dieses Verhalten ganz wichtig. Sie sagt einfach klar, wo’s langgeht. Manche brauchen das«, meinte Yasmin voller Verständnis für die Heimleiterin.

      »Aber du nicht!«

      »Was ich brauche, bekomme ich sowieso nicht mehr.«

      »Warum denn nicht? Du bist erst fünfzehn. Die Welt steht dir doch offen.«

      »Manchmal ist man mit fünfzehn auch schon zu alt.«

      »Wofür?«

      »Um eine richtige Familie zu bekommen.« Yasmin sagte dies ohne große Erregung, als ob sie wirklich schon oft darüber nachgedacht hatte.

      Marlene war tief berührt.

      »Vielleicht hätte man eine Pflegefamilie für dich finden können, wenn du darüber gesprochen hättest.«

      »Bis heute hatte ich noch nie jemanden, dem ich all das anvertrauen wollte.«

      »Und ich bin die Richtige für dieses Geständnis?« Marlene war sichtlich verwirrt darüber. »Warum gerade ich?«

      »Weil Sie mich an meine Mutter erinnern.« Yasmin hielt den Blick gesenkt, während sie diese Worte aussprach. So sah sie nicht, wie Marlene mit der Fassung rang. Alle Gefühle überschlugen sich auf einmal in ihr. Die Freude, Muttergefühle in einem jungen Mädchen zu wecken und die Trauer darüber, niemals wirklich die Erfahrung zu machen, wie es war, eine erwachsene Tochter zu haben. Und nach und nach formte sich aus diesem Chaos ein vager Gedanke in ihr. Doch zuerst mußte sie mit ihrem Mann sprechen und durfte Yasmin keine vorschnellen Hoffnungen machen.

      »Noch nie hat mir jemand ein schöneres Kompliment gemacht als du, Yasmin«, sagte sie schließlich vorsichtig.

      Das Mädchen sah erwartungsvoll auf.

      »Und ich möchte hier und jetzt versprechen, daß wir eine Lösung für dich finden werden. Allerdings kann ich dir noch nicht sagen, wie sie aussehen wird. Ich muß zuerst mit meinem Mann sprechen.«

      Marlene biß sich auf die Lippe. Hoffentlich hatte sie nicht zuviel gesagt. Doch Yasmin hatte schon zu viele Enttäuschungen erlebt, um sich schnell begeistern zu lassen. Lediglich ein Funkeln in ihren Augen verriet ihre Hoffnung.

      »Vielen Dank, daß Sie mir zugehört haben.« Sie bedankte sich artig und erhob sich, um das Zimmer zu verlassen.

      »Warte, ich möchte dir noch etwas schenken.«

      In einer plötzlichen Eingebung griff Marlene nach einem kleinen Bären, der neben ihrem Kopfkissen lag.

      »Hier, den hat mir mein Mann vor vielen Jahren geschenkt, als ich zum ersten Mal schwanger war. Er sollte unserem Kind gehören. Seitdem begleitet er mich auf jeder Reise. Jetzt soll er dir gehören und dich trösten, wenn du traurig bist, so wie er mich immer getröstet hat. Es steckt sehr viel Liebe in ihm.«

      Mit Tränen in den Augen betrachtete Yasmin den kleinen weißen Bären. »Sie wollen mir so ein kostbares Geschenk machen?« fragte sie mit zitternder Stimme.

      »Ja.«

      Da tat Yasmin etwas, das sie selbst überraschte. Sie warf sich in Marlenes Arm und drückte sich fest an sie, bevor sie das Zimmer überstürzt verließ. Es dauerte lange, bis sie endlich einschlafen konnte.

      *

      Fee Norden sah sich verwirrt um, als sie an diesem Abend die Augen öffnete.

      »Wo bin ich?

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