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ich mich. Was kann der Zweck ihres Aufenthaltes in dem Kloster sein, wenn sie durch diese häufigen Besuche stets zu der Welt in Beziehung bleiben? Und warum isoliren sie sich von ihren Mitschülerinnen?

      Man erinnert sich, daß ich nicht aus Neigung in das Kloster gegangen war, sondern nur um dem Befehle meines Vaters zu gehorchen. Der Gedanke war daher sehr natürlich, daß die beiden Fräuleins von Roquelaure ein gleiches Schicksal haben könnten. Dies war abermals ein Umstand, der meine Neugierde reizte, und zwar um so mehr, als es mir in den Sinn kam, dasselbe zu thun, was sie thun würden, um sich der ihnen gewaltsam aufgedrängten Bestimmung zu entziehen.

      Ein Zufall setzte mich von dem Ziele ihrer Besuche in Kenntniß. Ich befand mich bei der Superiorin, die nicht nachließ, mir ihre besondere Aufmerksamkeit zu schenken; es schien, als ob die gute Frau den Entschluß nach und nach in mir feststellen wollte, das fromme Klosterleben zu meinem Berufe zu wählen. Sie kannte ohne Zweifel die Absicht meines Vaters, aber auch meine Abneigung, dieser Absicht zu entsprechen. Ich ward demnach oft zu frommen Gesprächen in ihr Zimmer geladen.

      Bei einer solchen Gelegenheit also wurden unsere Betrachtungen durch den Eintritt des Fräuleins von Roquelaure, dem älteren nämlich, unterbrochen.

      Die Superiorin empfing sie mit großer Güte und Milde.

      Das stolze Fräulein von Roquelaure verneigte sich und küßte ihr ehrfurchtsvoll die Hand.

      – Was bringen Sie mir, mein liebes Kind? fragte die Superiorin.

      – Einen Brief von Frau von La Vieuville. Hier ist er.

      – Wer brachte ihn? fragte zwar die Superiorin sehr freundlich, und weder der Ton ihrer Stimme noch irgend ein Gesichtsausdruck verrieth einen Argwohn; mir aber, die ich scharf beobachtete, entging es nicht, daß in der Frage selbst eine Art Inquisition lag, zu der die würdige Klosterfrau Auftrag erhalten haben mußte.

      Auf Fräulein von Roquelaure brachte diese Frage nicht den geringsten Eindruck hervor. Als ob sie ganz natürlich wäre, antwortete sie:

      – Ein Diener der Freundin meiner Mutter, der Frau von La Vieuville.

      Die Superiorin war zufrieden.

      Sie öffnete und las den Brief. Dann sagte sie:

      – Frau von La Vieuville sucht um die Erlaubniß für Sie nach, diesen Mittag bei ihr zu speisen, da eine Verwandte Ihrer Mutter gegenwärtig in Paris ist. Ich habe keinen Grund, Ihnen diese Erlaubniß zu verweigern. Theilen Sie es Ihrer Schwester mit.

      – Meine Schwester zieht es vor, bei der Prozession zu bleiben, die heute stattfinden soll.

      – Ihre Schwester ist ein gutes, frommes Kind!

      – Ich würde ihrem Beispiele folgen, wenn ich in dieser Einladung nicht einen Befehl meiner Mutter erblickte. Frau La Vieuville vertritt ihre Stelle in Paris.

      – Darum folgen Sie der Einladung. Ich erwarte Sie um die gewohnte Zeit zurück.

      – Ich kenne meine Pflicht! sagte Fräulein von Roquelaure, indem sie ehrfurchtsvoll die Hand der Superiorin küßte.

      Dann entfernte sie sich.

      Ich war erstaunt über das demüthige Betragen des jungen Mädchens, das sich sonst so stolz zeigte. Mein mir angeborner Scharfsinn, vielleicht auch ein Instinkt, über den ich damals nicht recht im Klaren war, sagte mir, die Roquelaure ist eine sehr kluge Person, sie verfolgt durch ihre scheinbare Demuth einen wichtigen Plan.

      Diese Scene brachte die Wirkung auf mich hervor, daß ich vor dem Fräulein eine gewisse Ehrfurcht hegte, denn es erschien mir wie das unschuldige Opfer irgend einer Intrigue. Dadurch gewann die ganze Sache an Romantik, die meine leicht entzündbare Phantasie bis zu den äußersten Grenzen trieb. Ich bedauerte, daß ich dem armen schönen Kinde nicht nützlich sein konnte.

      Kurz vor der Mittagstafel traf ich die jüngere Roquelaure in der großen, düstern Kastanienallee des Klostergartens. Die Gouvernante, die sie stets begleitete, saß auf einer Steinbank und war eingeschlafen. Die ihrer Aufsicht Anvertraute ging auf und ab und las in einem Buche.

      Als ich mich ihr näherte, grüßte sie mit einem Lächeln, das deutlich ihre Neigung verrieth, mit mir Bekanntschaft zu machen. Nichts kam mir erwünschter, und ich beschloß, die Gelegenheit zu benutzen und meinen längst gehegten Wunsch zu befriedigen. Ein Gespräch war bald angeknüpft. Es bewegte sich zunächst um die Prozession, die zur Vesperzeit aus der Kapelle durch die weiten Gänge des Gartens stattfinden sollte. Die Vorbereitungen dazu waren schon getroffen.

      – In dem Garten findet die Prozession statt? fragte verwundert die Roquelaure, ein allerliebstes rothwangiges Mädchen.

      – Wo anders? entgegnete ich. Wir dürfen die Mauern unter keiner Bedingung überschreiten. Selbst unsere Andachtsübungen bleiben den Augen der Welt verborgen. Die Altäre, bei denen die Prozession Halt macht, sind an den verborgensten Orten des Gartens errichtet.

      – Ich habe noch keiner Prozession beigewohnt.

      – Sie ist höchst poetisch, vorzüglich unter dem stillen, majestätischen Blätterdome dieser Kastanien.

      Die Roquelaure sah mich verwundert an.

      – Mir ist eine Prozession feierlicher, als ein Gottesdienst in der Kirche, fuhr ich fort. In der stillen Abgeschiedenheit liegt für mich ein Reiz, den ich nicht beschreiben kann. Sie sollen die mit Kränzen geschmückten Steinaltäre sehen – überhangen von schweren Zweigen – —

      – Wo sind diese Altäre?

      – Ich will sie Ihnen zeigen. Folgen Sie mir!

      – Aber Meine Gouvernante —

      Wir sahen nach der guten Frau zurück. Ihr Kopf war auf die Lehne der Bank gesunken, sie lag in einem festen Schlafe.

      – Ich möchte sie nicht gern wecken, sagte die Roquelaure, denn sie klagt über heftigen Kopfschmerz.

      – Nun, meinte ich, so lassen wir sie bis zu unserer Rückkehr schlafen. Ich denke, fügte ich hinzu, daß wir einen Weg unternehmen, den wir später vollkommen rechtfertigen können.

      Meine neue Freundin lächelte mir Beifall zu.

      – Ich glaube es! flüsterte sie.

      – Wollen wir gehen?

      – Ja!

      – So folgen Sie mir.

      – Aber wir kehren rasch zurück.

      – Ehe die Gouvernante erwacht, sagte ich mit einem leichten Anfluge von Ironie.

      Hand in Hand gingen wir nun rasch durch die schattigen Alleen. Ich führte meine Begleiterin zu einem Altare, der in dem entferntesten Theile des Gartens dicht an der hohen Klostermauer stand. Dieser Altar hatte für mich in der That etwas Ehrwürdiges, denn er war mit Moos bewachsen und lag in einem dämmernden Haine. Das Madonnenbild in der Nische desselben hatte man mit Bändern, Flittergold und Kränzen geschmückt. Zur Seite rieselte eine Quelle, deren melancholisches Murmeln den stillen, schattigen Hain mit einem steten Geräusche erfüllte. Als wir uns näherten, sang eine Nachtigall in den Wipfeln der hohen Bäume, die schweigend wie ein majestätisches Dach sich über uns wölbten. Der Boden war mit frischen Blumen bestreut, die einen lieblichen Duft verbreiteten. Außer uns zeigte sich nirgends ein menschliches Wesen. Am Fuße des Altars blieben wir stehen. Ich muß bekennen, daß ich das Erstaunen theilte, das sich meiner Begleiterin bemächtigte.

      – Von diesem Altare herab, flüsterte ich, ertheilt der Priester den Segen. Dann beginnt der Gesang, der hier wie in den Hallen einer Kirche klingt.

      – Was ist das? fragte Plötzlich die Roquelaure.

      Wir lauschten. Ein Geräusch ließ sich vernehmen, das auf der Mauer über dem Altare verursacht wurde. Meine Begleiterin, sichtlich erschreckt, wollte entfliehen; ich hielt sie bei der Hand zurück. Was konnte uns in dem Klostergarten begegnen? Mein Muth wuchs mit der Neugierde, die sich meiner bemächtigte. Da die Baumzweige dicht auf der Mauer lagen, konnten wir den Gegenstand nicht sehen, von dem das Rauschen ausging. Soviel aber ließ sich unterscheiden, daß er sich auf dem Rande hin und her bewegte, denn es fielen Steine und

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