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später sprangen die beiden Thorflügel auf, die Sänfte wurde unter die Gewölbe des Klosters getragen, und die Tür, die ihr Einlass gewährt hatte, schloss sich hinter ihr.

      Die Sänfte wurde niedergestellt und der Mönch stieg aus.

      »Die Oberin kommt herab?« fragte er die Pförtnerin.

      »Im Augenblicke, wenn jedoch Euer Ehrwürden bloß eine unserer Gefangenen zu sprechen wünschen,« sagte sie, »so wäre es nicht nöthig, die Frau Oberin deshalb zu wecken. Ich habe die Weisung, jedem würdigen Diener Gottes, der Kutte oder Priesterkleid trägt, den Eingang in die Gefängniszellen zu gewähren.«

      Das Auge des Kardinals warf einen Blitz.

      Was man ihm gesagt hatte, war also wahr: den Unglücklichen, welche man in diesem Kloster einsperrte, damit sie innerhalb seiner Mauern die Reue über ihre begangenen Fehltritte finden sollten, wurde im Gegenteil das Mittel geboten, neue zu begehen.

      Die erste Regung des strengen Priesters war gewesen, das Anerbieten der Pförtnerin auszuschlagen, da er jedoch auf diese Weise vielleicht sicherer und rascher an sein Ziel zu gelangen hoffte, sprach er:

      »Gut; führt mich also in die Zelle der Frau von Coëtman.«

      Die Pförtnerin wich einen Schritt zurück.

      »Herr Jesus!« sagte sie, sich bekreuzend, »welch einen Namen hat Euer Ehrwürden da ausgesprochen?«

      »Das ist ja wohl der Name einer Eurer Gefangenen, wie mir scheint?«

      Die Pförtnerin blieb stumm.

      »Ist Die, nach der ich frage, todt?« fragte der Kardinal mit etwas unsicherer Stimme, denn er befürchtete eine bejahende Antwort.

      Die Pförtnerin beharrte bei ihrem Stillschweigen.

      »Ich frage Euch, ob sie todt oder lebendig ist,« wiederholte der Kardinal mit einem Ausdruck, an dem man das Zittern der Ungeduld zu hören begann.

      »Sie ist todt,« sagte eine Stimme aus der Finsternis jenseits des Gitters heraus, durch welches man in das Innere des Klosters gehen musste.

      Der Kardinal warf sein scharfes Auge nach der Seite, woher die Stimme kam, und unterschied in der Dunkelheit eine menschliche Gestalt, welche er als die einer zweiten Nonne erkannte.

      »Wer seid Ihr,« fragte Richelieu, »das, Ihr so entschieden auf eine Frage antwortet, die nicht an Euch gerichtet ist?«

      »Ich bin Die, der es zukommt, auf Fragen dieser Art zu antworten, obwohl ich Niemanden das Recht zuerkenne, sie zu stellen.«

      »Und ich, ich bin Der, der sie stellt,« sagte der Kardinal, »und dem man, ob willig oder nicht, antworten muss.«

      Er wandte sich nach der Seite der Pförtnerin, die noch immer stumm und regungslos dastand, und sagte:

      »Bringt Licht!«

      Es war unmöglich, sich im Tone des Sprechenden zu irren; das war die feste und gebieterische Stimme des Mannes, der das Recht hat, zu befehlen.

      Auch ging die Pförtnerin, ohne die Bestätigung des Befehls, den sie erhalten, abzuwarten, hinein, und trat alsbald wieder mit einer brennenden Wachskerze hervor.

      »Ordre des Kardinals,« sagte der falsche Kapuziner, und zog ans dem Busen ein Papier, welches er entfaltete, und auf dem unter einigen geschriebenen Zeilen ein großes Siegel aus rotem Wachs glänzte.

      Und er reichte das Papier der Oberin, die es durch die Stäbe des Eisengitters in Empfang nahm, durch welches auch die Pförtnerin ihr Wachslicht steckte, so dass die Oberin die folgenden Zeilen lesen konnte:

      »Auf Befehl des Kardinal-Ministers ist es geboten, im Namen der zeitlichen und der ewigen Gewalt, im Namen des Staates und der Kirche, auf alle Fragen, wie sie auch beschaffen sein und was sie auch betreffen mögen, zu antworten, sobald der Träger dieses sie gestellt, sowie auch Letzteren in Verbindung zu setzen mit jeder Gefangenen, welche er bezeichnen wird.

      »Den 13. Dezember im Jahre des Heiles unseres Herrn Jesus Christus 1628.

      »Armand, Kardinal Richelieu.«

      »Solchem Befehle,« sagte die Oberin, »kann ich mich nur beugen.«

      »Wollt daher die Schwester Pförtnerin anweisen, dass sie auf ihr Zimmer gehe und sich daselbst einschließe.«

      »Ihr habt gehört, Schwester Perpetua,« sagte die Oberin, »gehorcht!«

      Schwester Perpetua setzte ihren Leuchter auf die oberste der Stufen, welche zu dem Gitter führten, trat dann in ihr Zimmer zurück und schloss sich ein.

      Der Kardinal seinerseits befahl seinen Trägern, mit ihrer Sänfte sich bis an das Gassenthor zurückzuziehen und sich dort für sein erstes Signal bereit zu halten.

      Unterdessen hatte die Oberin das Gitter geöffnet und der Kardinal trat in das Sprachzimmer ein.

      »Warum, meine Schwester, sagtet Ihr mir,« sprach er mit strengem Tone, »die Frau von Coëtman sei gestorben, da sie es doch nicht ist?«

      »Weil,« entgegnete die Oberin, »weil ich jede Person für todt halte, welche durch einen Urteilsspruch aus der Gesellschaft der Menschen ausgeschieden wurde.«

      »Nur Jene,« sagte der Kardinal, »sind ausgeschieden aus der menschlichen Gesellschaft, »über denen sich der Stein des Grabes geschlossen hat.«

      »Der Stein des Grabes hat sich über Der geschlossen, nach der Ihr verlangt.«

      »Der Stein, der sich über einer lebenden Person schließt, ist nicht der Stein des Grabes; er ist die Tür eines Kerkers und jedes Kerkerthor kann sich öffnen.«

      »Selbst dann,« fragte die Oberin, indem sie das Gesicht des Mönches fixierte, »selbst dann, wenn ein Spruch des Parlaments bestimmt hat, dass diese Tür geschlossen bleibe für Zeit und Ewigkeit?«

      »Es gibt kein Urteil, welches die Gerechtigkeit nicht revidieren könnte, und ich bin Der, welchen der Herr auf die Erde gesandt hat, um die Richter zu richten.«

      »Nur einen Mann gibt es in Frankreich, der also sprechen darf.«

      »Den König?« fragte Richelieu.

      »Nein, aber Den, der an Rang unter ihm, an Genie über ihm steht. Es ist Monseigneur, der Kardinal Richelieu. Seid Ihr der Kardinal in Person, so muss ich gehorchen, aber meine Befehle sind so bestimmt, dass ich jedem Anderen widerstehen werde.«

      »Nehmt dieses Licht und führet mich zum Grabe der Frau von Coëtman, welches im Hintergrunde des Hofes, in der Ecke links, sich befindet,« gebot ihr der Kardinal.

      Und gleichzeitig die Capuze zurückschlagend, enthüllte er jenes Haupt, das unter gewissen Umständen auf Die, welche es sahen, denselben Eindruck machte wie das der Medusa im Altertum.

      Die Oberin blieb einen Augenblick unbeweglich: sie war gelähmt, zwar nicht mehr durch ihren Widerstand, aber durchs das Erstaunen; dann bückte sie sich mit jenem passiven Gehorsam, welchen einen Befehl von Richelieu im Allgemeinen Dem auferlegte, an den er gerichtet war, nahm den Leuchter und mit gehobenem Arme voranschreitend sagte sie:

      »Folgt mir, Monseigneur.«

      Richelieu folgte ihr; sie durchschritten Beide den Hof.

      Es war eine ruhige, aber kalte und finstere Nacht. Die Sterne glänzten an einem schwarzen Himmel mit einem Geflimmer, welches das Herannahen von baldigem Winterfrost anzeigt.

      Die Kerzenflamme stieg senkrecht gegen den Himmel auf; kein Windhauch bewegte sie.

      Im Umkreise des Mönches und der Nonne war ein runder Raum von Licht, der mit ihnen fortschritt, und der Reihe nach die Gegenstände erhellte, denen sie sich näherten, während er die zurückbleibenden im Schatten ließ.

      Endlich begann ein rundes Bauwerk in Form eines arabischen Marabuts sichtbar zu werden. Ein viereckiges schwarzes Loch zeigte sich in der Mitte desselben, ungefähr in der Brusthöhe eines Mannes; das war das Fenster. Näher gekommen, gewahrte man, dass das Fenster vergittert war, und die einzelnen Stäbe des Gitters sich einander so sehr näherten, dass man kaum eine Faust durchzwängen konnte,

      »Ist

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