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Hirntumor besaß. Nun war Trevor nicht mehr Emilys Feind, sondern ihr engster Verbündeter. Er hatte ihre gesamten Steuerrückstände beglichen – im Wert von mehreren hunderttausend Dollar – und lud sie nun regelmäßig auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen zu sich nach Hause ein. Es schmerzte Emily, ihn leiden zu sehen. Jedes Mal, wenn sie ihn sah, erschien er schwächer und mehr von seiner Krankheit mitgenommen zu sein.

      Als er nun sah, dass Emily sich ihm näherte, begann sein Gesicht zu strahlen.

      „Wie geht es Ihnen?“, fragte Emily, während sie ihn umarmte. Er fühlte sich dünner an und bei der Umarmung konnte sie seine Knochen spitz an ihrem Körper spüren.

      „Den Umständen entsprechend“, erwiderte Trevor und senkte den Blick.

      Es schockierte Emily, ihn so schwach und geschlagen zu sehen.

      „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte sie vorsichtig und mit leiser Stimme, um den Stolz des Mannes nicht zu verletzen.

      Trevor schüttelte wie erwartet den Kopf. Es lag nicht in seiner Natur, Hilfe anzunehmen. Aber es lag auch nicht in ihrer Natur, ein Nein als Antwort zu akzeptieren.

      „Chantelle hat Schneeflockenketten zur Dekoration gebastelt“, sagte sie. „In Wirklichkeit sind es einfach nur Glitzerschnipsel, aber sie ist sehr stolz darauf und möchte allen Nachbarn welche schenken. Wäre es in Ordnung, wenn ich sie Ihnen morgen vorbeibringe?“

      Das war ein gerissener Trick, doch Trevor fiel darauf herein.

      „Nun ja, ich schätze, wir könnten bei der Gelegenheit auch einen Tee trinken und ein Stück Kuchen essen“, entgegnete er. „Ich meine, wenn Sie sowieso schon vorbeikommen.“

      Emily lächelte in sich hinein. Es gab Wege, Trevors Schutzpanzer zu durchdringen, und sie hatte soeben beschlossen, Ihren Nachbarn so bald wie möglich zu besuchen.

      „Wie dem auch sei“, fuhr Trevor fort und ergriff ihre Hand. Emily bemerkte, dass er kalt war und dass sich seine Haut feucht und klamm anfühlte. Auf seiner Augenbraue standen Schweißperlen. „Ich habe etwas für Sie“, eröffnete er.

      „Was denn?“, wollte Emily wissen, als er ein Stück Papier aus seiner Tasche zog.

      „Pläne“, antwortete Trevor, „von Ihrem Haus. Ich habe meinen Dachboden durchgesucht und versucht, die Dinge zu ordnen für…naja, Sie wissen schon.“ Seine Stimme brach. „Ich weiß nicht, wie die Pläne dort hineingerieten, aber ich dachte mir, dass Sie sie vielleicht haben möchten. Sie müssen wissen, dass sie von Ihrem Vater und seinem Anwalt gezeichnet wurden, und ich weiß ja, dass Sie nach allen möglichen Informationen über Ihren Vater suchen.“

      „Das stimmt“, stammelte Emily, während sie die Papiere entgegennahm.

      Sie warf einen Blick auf die verblasste Zeichnung. Es waren die Pläne des Architekten. Sie schnappte nach Luft, als sie erkannte, dass die Pläne das gesamte Grundstück umfassten, inklusive des Schwimmbads im Außengebäude, demjenigen, in dem Charlotte ertrunken war. In Emilys Hals formte sich ein Knoten. Schnell faltete sie das Papier und steckte es in ihre Tasche.

      „Vielen Dank, Trevor“, sagte sie. „Ich werde mir die Papiere später anschauen.“

      Dann trennten sie sich und Emily trat wieder zu Daniel und Chantelle.

      „Was wollte Trevor?“, fragte Daniel.

      „Gar nichts“, erwiderte Emily mit einem Kopfschütteln. Sie war noch nicht bereit, darüber zu reden, das soeben Erlebte setzte ihr immer noch zu. Die Papiere in ihrer Tasche schienen nach ihr zu rufen. Könnten Sie ein weiteres Teil des Puzzles sein, das das Verschwinden ihres Vaters erklärte?

      In diesem Moment begann der Countdown bis zum Entzünden. In Emilys Kopf schwirrten Erinnerungen an dieses Ereignis herum, das sie sich als Kind, im Grundschulalter und als Jugendliche angesehen hatte. Sie schien all diese vergessenen Erinnerungen zu durchleben, Jahr für Jahr. In manchen von ihnen kam eine lebende und lächelnde Charlotte vor, doch nur in den wenigsten. In den meisten gab es nur sie und ihren Vater, der immer tiefer in die Depression verfiel und jedes Mal abgelenkter zu sein schien.

      Dann leuchteten die weißen Lichter an dem Baum auf und alle begannen zu jubeln. Mit klopfendem Herzen kehrte Emily in die Gegenwart zurück.

      „Geht es dir gut?“, wollte Daniel besorgt wissen. „Du bekommst ständig Blackouts.“

      Emily nickte, um ihn zu beruhigen, doch in Wahrheit zitterte sie. Ihre Gedanken kamen einfach nicht zur Ruhe. All diese Erinnerungen tauchten plötzlich wieder auf und sie musste sich unwillkürlich fragen, ob das Wissen, dass ihr Vater noch lebte, wohl der Grund dafür war. Er schien ihr so, als ob ihr Gehirn beschlossen hätte, dass sie nun in die Vergangenheit greifen und sich an ihren Vater erinnern durfte, weil sie jetzt nicht mehr in der Trauer versinken würde. Wenn Emily genug Geduld aufbrachte, dann würde sie sich vielleicht an etwas erinnern, das ihr bei der Suche nach ihm helfen würde und das ihr sagen könnte, wo genau er sich versteckte.

      *

      Erschöpft von dem schönen Abend brachten Emily und Daniel Chantelle ins Bett, sobald sie zuhause ankamen. Chantelle hatte darum gebeten, dass ihr jemand eine Geschichte vorlas, und Emily war ihrer Bitte nachgekommen. Doch am Ende der Geschichte schien Chantelle nachdenklich zu sein.

      „Was ist denn los?“, fragte Emily.

      „Ich dachte gerade an Mom“, erwiderte Chantelle.

      „Oh.“ In Emilys Magen bildete sich bei dem Gedanken an Sheila in Tennessee ein Knoten. „An was denn genau, Liebes?“

      Chantelle sah Emily mit ihren großen, blauen Augen an. „Wirst du mich vor ihr beschützen?“

      Emilys Herz zog sich zusammen. „Natürlich.“

      „Versprich es mir“, verlangte Chantelle mit verzweifeltem, flehendem Ton. „Versprich mir, dass sie nie wieder zurückkommt.“

      Emily zog das Mädchen dicht an sich. Das konnte sie nicht versprechen, denn sie wusste nicht, wie der Rechtsstreit um das Sorgerecht ausgehen würde.

      „Ich werde alles tun, was ich kann“, meinte Emily in der Hoffnung, dass ihre Worte ausreichen würden, um das verängstigte Kind zu beruhigen.

      Chantelle lehnte sich zurück und legte ihren Kopf auf das Kissen. Dabei breitete sich ihr blondes Haar aus und sie machte einen entspannten Eindruck. Schon ein paar Minuten später war sie eingeschlafen.

      Chantelles Bitte bezüglich ihrer Mutter hatte Emily wachgerüttelt. Sie und Patricia hatten sich vor nicht allzu langer Zeit unterhalten, als Emily vergebens versucht hatte, ihre Mutter dazu zu bewegen, Thanksgiving bei ihnen in der Pension zu verbringen. Ihre Mutter hatte sich geweigert zu kommen und das Haus in Sunset Harbor zu besuchen. Sie sah es als Roys Eigentum an, einem Ort, von dem sie verbannt worden war. Doch Emily fand trotzdem, dass Patricia ein Teil ihres Lebens war. Das bedeutete, dass Emily nun in den sauren Apfel beißen und ihr von der bevorstehenden Hochzeit erzählen musste.

      Emily stand von Chantelles Bett auf, schlang einen Schal um sich herum und trat dann hinaus auf die Veranda. Dort setzte sie sich auf den Schaukelstuhl, winkelte die Beine unter ihrem Körper an und warf einen letzten Blick zu dem Mond und den Sternen dort oben am Himmel. Etwas in ihrem glänzenden Licht gab ihr den Mut, ihre Kontakte durchzusuchen und die Nummer ihrer Mutter zu wählen.

      Wie immer antwortete Patricia mit einem barschen „Ja?“

      „Mom“, sagte Emily. Dann holte sie tief Luft, um nicht den Mut zu verlieren. „Ich muss dir etwas sagen.“

      Es hatte keinen Sinn, höfliche Konversation vorzutäuschen. Keine von beiden wollte das, weshalb Emily auch gleich zum Punkt kommen konnte.

      „Oh?“, erwiderte Patricia nur tonlos.

      Emily hatte ihrer Mutter im Laufe des vergangenen

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