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hatte. Dann spürte Emily, wie sie selbst immer kleiner wurde, bis sie wieder in ihrem Kinderkörper steckte. Plötzlich wurden ihre Hände von Handschuhen gewärmt. Schnee fiel um sie herum und legte sich auf die Äste der Kiefern. Emily streckte ihre kleine behandschuhte Hand aus und schüttelte an einem der Äste. Sofort schoss eine Schneewolke in die Luft, dann verstreute sich der weiße Puder. Vor ihr lachte Charlotte sorglos und fröhlich, ihr warmer Atem zeichnete sich deutlich in der Luft ab. Sie trug ebenfalls Handschuhe und ihre knallroten Lieblingsstiefel bildeten einen starken Kontrast zu dem Weiß.

      Emily beobachtete, wie Charlotte unter dem größten Baum der ganzen Schule anhielt und voller Staunen nach oben sah.

      „Ich will den hier!“, rief das kleine Mädchen.

      Emily ging schnell zu ihr, wobei sie in ihrer Eile den Schnee aufwirbelte. Als sie Charlotte erreichte, sah sie ebenfalls zu dem riesigen Baum hinauf. Er war atemberaubend, so groß, dass sie kaum die Spitze sehen konnte.

      Das Geräusch von knirschenden Fußschritten im Schnee lenkte Emilys Aufmerksamkeit von dem Baum ab und sie warf einen Blick über ihre Schulter. Dort in langen Schritten kam ihr Vater auf sie zu.

      „Ihr Mädchen müsst ein wenig langsamer sein“, schnaufte er, als er bei ihnen ankam. „Ich hätte euch fast verloren.“

      „Wir haben den Baum gefunden!“, rief Emily begeistert.

      Charlotte stimmte mit ein und beide sprangen auf und nieder und deuteten nach oben.

      „Der ist aber ein bisschen groß“, meinte Roy.

      Heute sah er erschöpft aus. Deprimiert. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe.

      „Er ist nicht zu groß“, widersprach Emily. „Die Decken sind sehr hoch.“

      Charlotte hielt wie immer zu ihrer Schwester. „Er ist nicht zu groß! Können wir ihn bitte mitnehmen, Daddy?“

      Roy Mitchell rieb sich mit einer Hand gereizt über das Gesicht. „Fordere meine Geduld nicht heraus, Charlotte“, schnauzte er. „Such dir etwas Kleineres aus.“

      Emily sah, wie Charlotte zusammenzuckte. Keine von beiden mochte es, ihren Vater wütend zu machten, doch keine von ihnen wusste, wie sie das geschafft hatten. Es schien, als würden ihn in dieser Zeit die kleinsten Dinge wütend machen. Er war immer von irgendetwas abgelenkt und sah ständig über seine Schulter nach Schatten, die nur er sehen konnte.

      Doch Emilys größte Sorge galt Charlotte. Immer nur Charlotte. Das kleine Mädchen sah aus, als würde es jeden Moment in Tränen ausbrechen. Emily umschloss die behandschuhte Hand ihrer Schwester mit ihrer eigenen.

      „Komm mit“, rief sie mit heiterer Stimme. „Dort drüben gibt es kleinere Bäume!“

      Durch den Trost, den ihre Schwester ihr entgegenbrachte, hellte sich Charlottes Laune sofort wieder auf. Zusammen rannten sie im Schnee davon und überließen es ihrem abgelenkten Vater, dessen Gesicht ein Stirnrunzeln zierte, ihnen hinterherzueilen.

      In diesem Moment kehrte Emily in die Gegenwart zurück. Der Schnee der Vergangenheit fiel nicht mehr in der Gegenwart, die Christbäume, die vor Jahrzehnten hier gestanden hatten, waren gefällt und mit diesen neuen, jungen Bäumen ersetzt worden. Sie befand sich wieder im Hier und Jetzt, doch sie brauchte einen Augenblick, um sich mit ihrer Umgebung vertraut zu machen und zu realisieren, dass Chantelle und nicht Charlotte vor ihr stand.

      Während Emilys Blackouts waren sie noch tiefer in das Feld hineingelaufen. Hier waren die Bäume so groß, dass sie alles überschatteten und das Tageslicht aussperrten. Emily schauderte. Nun, da sich die Wintersonne versteckte, war es auf einmal viel kälter.

      Vor ihr sah Chantelle zu dem größten Baum der ganzen Baumschule auf. Er maß mindestens viereinhalb Meter.

      „Das ist er!“, rief sie und grinste dabei von Ohr zu Ohr.

      Emily lächelte. Sie würde nicht wie ihr Vater die Laune des Mädchens verderben. Wenn Chantelle den größten Baum, den es hier gab, wollte, dann würde sie ihn auch bekommen.

      Sie trat neben sie und legte ihren Kopf in den Nacken, um die Baumspitze sehen zu können. Genau wie damals als Kind erschien ihr der Baum majestätisch.

      „Das ist er“, stimmte Emily zu.

      Chantelle klatschte vor Freude in die Hände. Obwohl Daniel Emilys Meinung nach nicht sonderlich begeistert von ihrer Wahl zu sein schien, wandte er nichts dagegen ein. Er beugte sich vor und half Chantelle, den ersten Axtschlag auszuführen. Während Emily Vater und Tochter zusammen lachen sah, breitete sich ein warmes Gefühl in ihr aus.

      Daniel reichte die Axt an Emily weiter, damit sie auch mitmachen konnte, und so wechselten sie sich immer nach jedem Schlag ab und fällten den Baum gemeinsam. Als er schließlich umfiel, jubelten sie alle.

      Schon kam Graces Vater mit dem Wagen an.

      „Wow, da hast du dir aber ein ordentliches Gerät ausgesucht“, scherzte er mit Chantelle, als sie versuchte, ihm dabei zu helfen, den riesigen Baum auf den Wagen zu heben.

      „Das ist der größte, den ich finden konnte!“, erwiderte Chantelle mit einem Grinsen.

      Zusammen kletterte die Familie auf den Wagen und kuschelte sich zusammen. Dann begannen die Räder sich zu drehen und fuhren langsam zum Eingang der Baumschule.

      „Du warst einen Moment lang komplett abwesend“, meinte Daniel während der Fahrt zu Emily. „Hattest du einen weiteren Flashback?“

      Emily nickte. Die Erinnerung an Charlottes am Boden zerstörte Miene und die Schärfe in der Stimme ihres Vaters hatte sie erschüttert. Selbst in der Erinnerung war er ein Mann, den vieles beschäftigte. Sie fragte sich, ob das wohl etwas mit Antonia zu tun hatte, der Frau, mit der er eine Affäre gehabt hatte, oder mit ihrer Mutter, die zuhause in New York saß, oder vielleicht mit etwas ganz Anderem. Obwohl Emily davon überzeugt war, dass sich ihr Vater irgendwo da draußen befand, war ihr Roy immer noch ein Mysterium.

      „Immer mehr Erinnerungen an meinen Vater kehren zurück“, gab Emily zu, „seit ich diese Briefe gefunden habe. Ich würde zu gern wissen, weshalb er damals abgehauen ist. Ich dachte immer, dass plötzlich etwas geschehen sein musste, als ich eine Jugendliche war, doch nun denke ich, dass ihn etwas schon vorher beschäftigte. Um ehrlich zu sein, schon so lange, wie ich mich an ihn erinnern kann. Bei jedem Flashback sehe ich die Sorgen in seinen Augen.“

      Daniel drückte sie fest an sich. Es fühlte sich gut an, ihm wieder nah zu sein. Vorhin in Joe’s Diner hatte er so distanziert gewirkt.

      „Es tut mir leid, wenn ich vorhin so still war“, sagte Daniel, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. „In der Weihnachtszeit werden auch meine Erinnerungen geweckt.“

      „Wirklich?“, fragte Emily nach. „Was für Erinnerungen?“

      Daniel öffnete sich ihr so selten, dann sie jede Chance nutzte, um ihm mehr zu entlocken.

      „Das mag dich vielleicht überraschen, aber ich bin eigentlich Jude“, erklärte er. „Mein Vater jedoch nicht. Er war Christ. Als er noch zuhause lebte, feierten wir Weihnachten und Hanukkah, doch als er fortging, verschwand Weihnachten mit ihm. Meine Mutter feierte nur Hanukkah. Als ich wieder Kontakt mit meinem Vater hatte, feierte er wiederum nur Weihnachten in seinem Haus. Das war seltsam. Eine komische Art aufzuwachsen, wie du dir sicher vorstellen kannst.“

      „Das hört sich schwierig an“, stimmte Emily zu, während sie gleichzeitig versuchte, ihre Überraschung darüber, dass Daniel in Wirklichkeit Jude war, zu verstecken. Sie fragte sich, was sie sonst alles nicht über ihn wusste und wurde plötzlich von einer Angst ergriffen, wie sie ihre Kinder erziehen würden, wenn es denn überhaupt Kinder gab. Sie würde natürlich beide Feste gerne feiern, doch Daniel schien traumatische Erinnerungen an die Feiertage zu haben, weshalb das Thema womöglich nicht so einfach anzugehen sein würde.

      Nachdem sie wieder am

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