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oder kurz vor der Vollendung seien. Der Kaiser konnte kaum noch an sich halten vor Vorfreude und war aufgeregt wie ein Kind.

      Bald nahte der große Tag, da sich der Kaiser in seiner eine neue bahnbrechende Moderichtung einschlagenden Garderobe den Landes-kindern präsentieren wollte. Dies sollte im Rahmen eines groß angelegten Volksfestes, dem eine eindrucksvolle Parade vorausgehen sollte, stattfinden. Der Hofmarschall selbst hatte es sich nicht nehmen lassen, ein bis ins kleinste Detail ausgearbeitetes Programm zu entwerfen: Die Staatskarosse mit vier geschmückten, aufgezäumten Schimmeln sollte vorfahren, der Kaiser mit allen Rang- und Ehrenzeichen dekoriert auf dem mit purpurnem Samt bezogenen Prunksitz Platz nehmen, sodann im Schritttempo, damit auch jeder einen Blick auf ihn und seine schmucken Gewänder werfen konnte, am staunenden Volk vorbeirollen. In dem mittleren Teil des Zuges, zwischen all den Honoratioren und den gesamten Vertretern des Ministerrates, den Soldaten in ihren prachtvollsten Paradeuniformen, allen voran sollte der Generaloberst schreiten, der sich rechtmäßig als der beste Tambourmajor im ganzen Reich bezeichnete, da er die Kunst beherrschte, den mit dreifarbigen Kordeln und Quasten, rot, blau und weiß, geschmückten Tambourstab, nicht nur im doppelten Flickflack, was etliche beherrschen, sondern dreifach in die Luft werfen und mit traumwandlerischen Sicherheit wieder auffangen zu können.

      Zuvor musste die notwendige Anprobe erfolgen, auch wenn die Schneider vorschriftsmäßig Maß genommen hatten, erforderte es die Berufsehre zu überprüfen, ob alles tadellos passen würde. Als Kokolores in atemloser Spannung und kaum noch zu bändigender Neugier das Ankleidezimmer betrat, ließ er blitzschnell seine Augen in die Runde gehen, um möglichst vorab einen Gesamteindruck der Garderobe erhaschen zu können. Zunächst sah er nichts, und machte sich keine weiteren Gedanken außer, dass er dachte: „Gewiefte Kerle, sicher wollen sie die Überraschung möglichst lange hinauszögern!“

      Nun trat der Wusel vor und sagte: „Wollen Euer Hochwohlgeboren bitte ablegen?“, damit konnte nur das schwarzrotgoldene Tuch gemeint sein, mehr war ja nicht vorhanden zum Ablegen.

      „Sehen, edler Herr, dieses erlesene Beinkleid, beachten, Euro Gnaden, die edlen Appreturen (das ist so Schneidersprache), die vollkommene Eleganz, die ziselierten Knöpfchen, die das Hosenbein abschließen?“

      Und so weiter, und so fort, so ging es die ganze Zeit, und der Kaiser stand da mit hochrotem Kopf und offenem Mund, die Augen vor Schreck glasig und weit geöffnet. Um Himmels willen, grundgütiger Gott, steh mir bei, sagte er bei sich, ich sehe absolut nichts. Jetzt steht es fest, ich ahnte es schon immer, ich bin ein Einfaltspinsel, ein unfähiger Tropf. Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und schüttelte ihn gewaltig, als wolle er aus einem bösen Traum erwachen.

      „Ah, Majestät sind außer sich vor Freude und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. So etwas haben Euer Allergnädigster noch nicht zu Gesicht bekommen, nicht wahr?“, drängten die Schneidermeister ob ihres angeblich gelungenen Werkes auf eine Antwort.

      „Ja, ja, ganz außerordentlich, ich habe tatsächlich noch niemals etwas Derartiges, ähm, ähm, nicht gesehen! Gute Arbeit, wahrlich, ihr lieben Leute!“, und zog sich, das schwarzrotgoldene Tuch wieder aufnehmend und um sich schlingend, so würdevoll es eben noch ging aus dem Zimmer zurück. Wusel und Wastel rieben sich indes vergnügt die Hände. Der Tanz konnte beginnen!

      Alles verlief wie geplant und am Schnürchen. Eine riesige Menschenansammlung war auf dem Schlosshof zusammengeströmt. Zur Feier des Tages waren die großen Tore geöffnet worden, um der Menge Einlass zu gewähren. Kamerateams und Berichterstatter aus aller Welt waren selbstverständlich zur Stelle, die das festliche Ereignis, heute auch Event genannt, vor allem nicht, wenn es um gekrönte Häupter geht, um keinen Preis verpassen wollten. Die Fernsehsender jubilierten, die Einschaltquoten schossen in die Höhe und die Telefonrechnungen auch. Per Telefonumfrage waren die Zuschauer in der Lage, direkt bei dem sogenannten „Ted“ anzurufen, den keiner kennt und von dem niemand weiß, wie er aussieht, und ihm mitzuteilen, ob und wie ihnen das ganze Spektakel gefallen hat. So sind heutzutage die Zeiten, sie können gar nicht schlecht genug sein, um darauf zu verzichten, sich auf „Deubel, komm raus“ unterhalten lassen zu wollen, oder wie es Neudeutsch heißt „fun“ zu haben. Dem einfachen, leicht beeinflussbaren Volke, das, wie man aus der Geschichte weiß, aus ihr nichts gelernt hat, muss zugute gehalten werden, dass die Presse im Vorfeld durch fortlaufende tagtägliche Berichterstattung die Spannung geschürt hatte. Also, die Erwartungshaltung war riesig!

      „Wir stehen hier in der Residenz des Kaisers Kokolores von Wirsindwer und erwarten jede Minute, dass er das Schloss verlässt und sich den Zuschauern endlich in seinen prächtigen neuen Gewändern präsentiert. Es gab ja zuvor schon Lobgesänge und Vorschusslorbeeren für die, wie man hört, unvergleichlichen Kreationen, dass es allen anderen etablierten und namhaften Modeschöpfern die Schames- und Zornesröte ins Gesicht getrieben hat. Die beiden Couturiers sind ja nur ganz simple Schneidergesellen, in der Modebranche vollkommen unbeschriebene Blätter, die für den Kaiser Kleidung erfunden haben sollen, mit der nur Ludwig XIV., der sogenannte Sonnenkönig, mithalten könnte, wenn er nicht längst das Zeitliche gesegnet hätte, so wird gesagt!“ So oder so ähnlich tönte es nun aus den Lautsprechern in die guten Stuben.

      Endlich war der große Augenblick gekommen! Dem Kaiser war zwar noch etwas mulmig zumute, aber er tröstete sich damit, dass all die Leute, die sich hier scharenweise eingefunden hatten, sein Hofstaat und die ganz gewöhnlichen Menschen da draußen, klüger als er selber seien und insofern seine neuen Kleider Würdigung und Beifall finden würden.

      Unter Fanfarenklingen und Fahnenschwingen traten Kaiser Kokolores und sein Gefolge mit seltsam anmutenden hochroten Köpfen durch das pompöse Portal des Schlosses hinaus in Freie. Alles reckte die Köpfe und die Hälse, beides zusammen, weil ja eins zum anderen gehört. Ein gewaltiges, unüberhörbares Raunen ging nun durch die Menge, darauf dann eine Stille folgte, in der man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können. Einige in den vorderen Reihen blickten peinlich berührt zu Boden. Etliche kicherten auch, wurden aber mit strengen Blicken von den Sicherheitsleuten zur Ordnung gerufen. Hmmh ja, ich bin dumm, und wie steht es mit dir, Nachbar? Das wagte keiner zu sagen oder zu fragen. Also, blieb es bei dem betretenen Schweigen. Zuvörderst, auf den ersten besten Plätzen standen zwar wie üblich einige bestellte Jubler und Klatscher, die Fähnchen schwenkten und: „Hoch, hoch und hurra!“, riefen, aber das war auch alles.

      Kokolores verharrte noch einige Minuten auf den Stufen des Palastes, um seinen Blick gnädig über die Volksmassen schweifen zu lassen und deren Huldigungen entgegenzunehmen. Als aber kaum ein Laut zu vernehmen war, kroch das unangenehme Gefühl in ihm hoch: Hier stimmt was nicht! Glücklicherweise unterbrach die kaiserliche Blaskapelle die beklemmende Stille, indem sie den Beginn der Parade schwungvoll mit eben der unerlässlichen Marschmusik einleitete, deren leidenschaftlicher Anhänger der Kaiser war. Es war sein Lieblingsstück, der Radetzky-Marsch, der gleich anfangs zu seinem Ergötzen intoniert wurde. Nun seufzte Kaiser Kokolores erleichtert und konnte sich, das sei vorweg geschickt, kurzfristig dem Trugschluss hingeben, dass nun alles gut sei oder werde. Mit Wohlwollen nahm er zur Kenntnis, dass sich auch der Hofnarr alle Mühe gab, die Menge bei Laune zu halten, richtiger gesagt, sie in gute Laune zu versetzen.

      In den Reihen der Medienvertreter war blanke Panik ausgebrochen. Was sollten sie denn nur ihren Zuschauern sagen? Sie konnten ja nicht wissen, ob welche darunter waren, die etwas Bekleidenswertes an dem Kaiser sahen, klüger waren als sie selbst. Wenn sie sich noch solche Mühe gaben, sich noch so feste die Augen rieben und die Brillen putzten, nichts anderes offenbarte sich ihnen, als ein Mensch im Adamskostüm, nackt wie Gott ihn schuf. Krampfhaft versuchten sie zu retten, was nicht zu retten war, und die peinliche Situation mit einer bunten Mischung aus Wortgeklingel, einem Schwall hohler Sprüche, beigemengt und gewürzt mit Klatsch und Tratsch, was den meisten keine Schwierigkeiten bereitete, zu überbrücken. Da hatten es die Rundfunkberichterstatter einfacher, sie konnten zumindest frei von der Leber weg ins Mikrofon fabulieren. Zuhörer sind schwerlich imstande, den Wahrheitsgehalt einer Live-Übertragung zu überprüfen, sie können, wenn sie wollen, alles für bare Münze nehmen, müssen aber nicht, was seltener der Fall ist.

      Nach einer Weile kam ein RTL-Reporter, die man zu den ausgebuffteren ihrer

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