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Das Naturforscherschiff. Sophie Worishoffer
Читать онлайн.Название Das Naturforscherschiff
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Sophie Worishoffer
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Alle lachten über den Doktor, der die letzten Worte in einem etwas kläglichen Tone gesprochen hatte. Dann fragte Holm: »Wie würden wir es wohl anfangen, um auch unseren Landsleuten daheim eine Vorstellung von der Farbenpracht und dem Aussehen solcher Geschöpfe zu geben, die im Tode ihre Schönheit verlieren? Viele farbenprächtige Fische büßen, sobald sie sterben, ihren Glanz und Farbenzauber ein, wie z. B. die blau und rot schillernde Meerbarbe, die schon den alten Römern als Delikatesse bei ihren Schwelgereien galt. Ja die Meerbarbe wurde sogar vor den Augen der Gäste getötet, die sich an dem wechselnden Farbenspiel, welches das Tier beim Sterben zeigt, ergötzten. Wer von euch,« wandte er sich wieder zu den Knaben, »kann mir nun sagen, auf welche Weise es möglich ist, das Vergängliche für die Mit- und Nachwelt aufzubewahren?«
Die Knaben sannen nach. »Man setzt die Quallen und Fische in ein Aquarium,« rief Hans.
»Das wäre ein Ausweg,« entgegnete Holm, »der wohl für einzelne Fälle, aber nicht für alle passen würde. So lebte früher, gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts, auf der Insel Mauritius eine Art von großen, unbeholfenen Vögeln – die Dronte – die nunmehr ganz ausgestorben ist. Wir würden gar keine Kenntnis von der Gestalt dieses merkwürdigen Vogels haben, wenn nicht ein damals lebend nach London geschickter Dronte von einem Maler – porträtiert worden wäre.«
»Ich hab‘s,« rief Franz, »man muß solche Gegenstände, die sich nicht erhalten und transportieren lassen, naturgetreu zeichnen und malen.«
»Ganz recht,« bestätigte Holm, »und deshalb habe ich auch einen Tuschkasten mit den feinsten Farben und alles zum Zeichnen und Malen Erforderliche vorsorglich mitgenommen. Später werden wir auch besonders interessante und wichtige Landschaften, Bäume, Felsen, Wohnungen der Wilden und diese selbst mittels eines photographischen Apparates aufnehmen, der uns nachgesandt werden wird.«
»Und wenn unsere Zeichnungen und Abbildungen gut ausfallen, finden sie Platz in naturwissenschaftlichen Werken,« rief Franz voll Freude, »ich hätte Lust, jetzt gleich eine zweite Qualle zu fangen und sie zu konterfeien in Form und Farbe.« Er ging rasch zu Papa Witt, um ihn von seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen.
Der Alte schüttelte den Kopf und antwortete nicht.
»Sind Sie ungehalten über mich, Papa Witt?« fragte Franz.
Dieser aber blickte den Knaben ernst an und ging zum Kapitän, der den alten Steuermann zu sich winkte.
Die Blicke beider Männer begegneten sich, und eine halblaute Unterhaltung in plattdeutscher Sprache zeigte, daß der gleiche Gedanke den einen wie den anderen beherrschte. »Stüürmann,« sagte der Kapitän, »wie krigt noch watt!«
Der Angeredete nickte. »Weet wull, Kaptein.«
Und damit waren die Verhandlungen beendet. Obgleich weder Passagiere noch Mannschaft irgend etwas Verdächtiges bemerkt hatten, sahen sie doch, daß ein Ereignis im Anzüge sein mußte; sämtliche Segel wurden eingezogen und nur die großen Sturmsegel gesetzt, alle kleineren Gegenstände von Deck entfernt, die Luken verschlossen und das Feuer ausgelöscht. Bleierne Windstille lag auf der ganzen Umgebung, nur zuweilen flog gleichsam vorüberhuschend ein gewaltiger Stoß über das Wasser daher, und im Nordosten zuckten ferne Blitze. Seltsam war das plötzliche immer wiederkehrende Wechseln aller Erscheinungen. In diesem Augenblicke regnete es stark, im nächsten heiterer Himmel; jetzt neigte sich das Schiff, vom Stoß erfaßt, zur Seite, als wolle es stürzen, und dann wieder schien jede Bewegung der Luftmassen erstarrt. Die Maschine wurde mittlerweile tüchtig geheizt und das Steuer so gedreht, daß die »Hammonia« ihren Kurs nach Nordosten nahm.
Und nun brach es herein, schrecklich und schön zugleich, weit großartiger, erhabener, als sich‘s menschliche Einbildungskraft ausmalen könnte. All der Farbenreichtum, der Glanz und die Fülle des südlichen Erdteiles trat auch hier im Toben der Elemente zu Tage. Blitz folgte auf Blitz, sein prachtvollstes Glühen aber erlosch neben dem des elektrischen Feuers, das in ganzen Garben überall explodierte. Glitzernde Meteore fielen vom Himmel in das schäumende, kochende Meer hinein; der Sturm brüllte, der Donner ging über in ununterbrochenes Getöse. Spritzwasser schlug in Wellen auf das Verdeck, und fast völlige Dunkelheit brach herein.
Franz versuchte es, hinauszutreten, seine unerschrockene Seele wollte den Kampf mit den entfesselten Urkräften der Erde nicht allein dem Schiffsvolk überlassen, er wünschte selbst Hand anzulegen und für sein und aller Leben zu streiten; aber das erwies sich als unausführbar. Es war ihm nicht möglich, festen Fuß zu fassen, er konnte weder atmen noch sprechen, die dünne Leinenjacke flog in Fetzen davon. Holms kräftige Arme zogen ihn auch schon wieder zurück in den Vorraum der Kajütte hinab. »Willst du über Bord gefegt werden, Junge? Da können Unerfahrene wie du und ich nichts nützen.«
In diesem Augenblick erschien der Kapitän, um den verlorenen »Südwester« mit einem anderen zu vertauschen und dabei seiner Reisegesellschaft etwas Mut einzustoßen. »Wir sind in einer Viertelstunde, so Gott will, hindurch, meine Herren,« rief er. »Ich habe die beste Hoffnung.«
»Hindurch?« wiederholte Doktor Bolten, »das verstehe ich nicht.«
Holm nickte. »Es ist also ein Wirbelsturm,« antwortete er, »ich dachte mir‘s gleich. Der Kapitän will die äußerste Grenze des Halbkreises erreichen.«
Jetzt aber war für Erläuterungen keine Zeit, keine Ruhe vorhanden. Einer nach dem andern trat an das Kajüttfenster oder unter das Glasdach der größeren in der Mitte liegenden Wohnkajütte. Hierher konnten allerdings die Wogen nicht gelangen, aber desto mehr sah man vom Himmel, an dem es wie mit tausend Brillantfeuern leuchtete. Schon nach wenigen Minuten war aus den seitwärts belegenen Fenstern nichts mehr zu sehen.
Ganze Berge von Wasser hoben und drehten das Schiff, Schaumwolken verhüllten alle Aussicht, das Getöse des Anpralls betäubte förmlich. Die kleine Gruppe stand, sich an dem stark befestigten Speisetisch haltend, bei einander im Salon, dessen verglaste Decke einen freien Aufblick ermöglichte. Grünlich und violett zuckte es herab, sturmgepeitscht, von Flammen überall umgeben, als ob Erde und Himmel in Brand geraten, so loderten die Gluten.
Zuweilen lag das Schiff dermaßen auf einer Seite, daß es den Anschein hatte, als ob Sofas und Bilder an den Wänden über den Köpfen schwebten, – einer sah den anderen an, die Herzschläge setzten aus, die Gedanken traten als ein »Gott erbarme sich!« unwillkürlich auf die Lippen, – und dann ging es wie ein Knarren, ein Ächzen durch das Eisenwerk, langsam kehrte der kräftige Bau zum gewohnten Halt zurück, nochmals hatte des Todes Flügelschlag nur gestreift, aber nicht getroffen.
»Sonderbar,« flüsterte Franz, »ich habe doch bei den Gallinas und wohl auch während unseres Nachtaufenthaltes im unbeschützten Walde der Vernichtung Aug‘ im Auge gegenübergestanden, ganz wie jetzt, aber die Ruhe, welche ich trotz dieser Gefahr empfinde, fehlte damals, – woher doch der auffallende Unterschied?«
Der alte Theologe legte die Hand auf seines Zöglings Schulter, »Das ist die Ehrfurcht, welche ein gewaltiges, erschütterndes Ereignis dem Menschenherzen abnötigt, mein Junge, das ist die Untätigkeit, wozu wir angesichts der Gefahr verurteilt sind, die uns ganz wehrlos in Gottes Hand legt. Du vertraust nicht mehr auf dich, also fühlst du auch keine Unruhe, – das ist das Geheimnis alles wahren Glaubens!«
Es wurde still in der reichgeschmückten Kajütte; niemand sprach mehr, nur die Stimme des Donners klang über das Wasser dahin, und der Sturm brauste wie Orgelklang dazwischen. Oben auf dem Verdeck arbeiteten die wackeren Hamburgischen Matrosen, deren eigene Sachkenntnis sie die Blicke und Bewegungen des Kapitäns verstehen zu lassen schien; wenigstens hätte keine menschliche Kraft ausgereicht, um in solchem Wetter vernehmlich zu sprechen, geschweige denn bestimmte Befehle zu geben. Einer der Schornsteine war verbogen wie ein geknickter Halm, ein Notmast über Bord gegangen, und von der Mannschaft fehlten zwei. Die beiden Türen der Kombüse, einander gegenüberliegend, waren herausgerissen und sämtlicher Inhalt des kleinen Raumes ins Meer gespült, kurz auf jedem Zollbreit Bodens zeigten sich die Spuren einer grauenvollen Verwüstung, eines Kampfes, dem nichts gewachsen war, was überhaupt losgerissen oder zerschlagen werden konnte.
Wieder trafen sich die Blicke des Kapitäns und des alten Steuermannes.