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Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
Читать онлайн.Название Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Jeremias Gotthelf
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Doch selten kam ich so glücklich und leicht durch. Dann mußte mich ein anderer abhören, mir einhelfen, dem ich den gleichen Dienst bei Gelegenheit wieder that. Ebenso repetierte ich anderes, namentlich die verschiedenen Taktarten, die Schläge aller Arten, und verwarf für mich die Hände, ärger als der Pfarrer auf der Kanzel. Auch die Zauberformeln des Rechnens, das Multiplicieren der Zähler mit den Nennern, der Zähler mit einander und wieder der Nenner: das Teufelswerk konnte ich nie recht behalten. Ich glich einer wandelnden Brummelsuppe; man hörte mich schon von weitem surren und meine Kostleute beklagten sich, das gehe auch im Traume fort, so daß des Nachts sie meinten das Spulrad zu hören.
Nebenbei sorgte man noch vorsichtig für die Zukunft, für Kinderlehren und Leichenpredigten, auf die man hinsah mit schauerlicher Wonne, wie die Weiber auf eine Kindbetti. Es besuchte uns oft einer, der gab sich aus für gar einen Gelehrten, und im Reden fürchte er niemand und keinen Pfarrer, und es hätte ihn schon manchmal dünkt, es seien viel schlechtere Sachen gedruckt, als was er aufsetze. Er setze zwar nie für sich auf, sagte er, sondern für gute Freunde, die ihn darum bitten. Wir betrachteten den Mann mit gar großem Respekt, der es fast bis zum Drucken gebracht, und baten auch von ihm Aufgesetztes, um es abzuschreiben. Er brachte uns gar willig und erzählte uns bei jeder Rede gar schön ihre Empfängnis, ihre Geburt und ihre Wirkung. Einmal verlor er ein ganzes Säckli voll; wie er das machte, weiß ich nicht, man wurde nie recht klug daraus. Das hätte jeder von uns so gerne gefunden, aber, ich glaube, keiner den papierenen Schatz zurückgegeben. Glücklicherweise fand ihn keiner von uns, sondern ein anderer, der nichts damit zu machen wußte. Unser Gelehrte hatte das aber sehr ungerne.
Obgleich schon anfangs wir die Sache so ernst betrieben, so war doch das noch gar nichts gegen unseren Eifer, als es gegen das Ende der Schule und gegen das Examen ging; da wußten wir wirklich nicht mehr recht, gingen wir auf den Köpfen oder auf den Füßen. Man glaube aber gar nicht, daß dieser Eifer nur erzeugt wurde durch das Examenfieber. Allerdings klopfte uns das Herz, wenn wir daran dachten, daß wir nach Bern vor die Herren des Kirchenrates müßten, die wir uns vorstellten wie kleine Hergötter oder wenigstens wie Erzengel. Damals wußte man noch nicht, daß Erzväter eigentlich Erziehungsväter bedeuteten, wie Erz.-Departement Erziehungs-Departement; sonst hätten wir sie uns wie Erzväter vorgestellt, wie Aberham, Isaak und Jakob. Nein, sondern es war die Angst, wir möchten um einige Bissen Wissen verkürzt werden oder einige erhaltene Bissen wieder vergessen. Die Felder des Wissens blieben uns wie zuvor hinter dem dicken Umhang und aus dem hervor reichte uns der Lehrer Brocken um Brocken. Wie viel noch dahinter sei, wußten wir nicht. O, wie wir uns über jeden erhaltenen freuten, weil er uns ein ganz neuer und eben ein Brocken war, und wie wir uns meinten, wenn wir ihn zu uns gesteckt hatten! Und um so mehr meinten wir uns, weil wir glaubten, wir hätten bald alles im Leibe, was brauchbares hinter dem Umhang sei. Das war es, was uns den Trieb und die Ausdauer gab, welche die meisten von uns beseelten. Freilich waren auch einige darunter, die träger Seele und faulen Leibes waren, die bald schliefen, bald schrieben, wenn sie hören sollten, und gafften, wenn sie schreiben sollten. Wir schämten uns ordentlich ihrer und besonders der Erzväter oder vielmehr Erzengeln wegen, weil wir fürchteten, wenn sie zufällig hinter einen solchen gerieten anfänglich beim Examen, so möchten sie ein böses Vorurteil gegen alle kriegen. Denn wenn solchen Herren einmal eine Mucke hinter die Ohren geflogen ist, so bringt man sie höchstens mit vielem Wadeln wieder weg.
Wenn jemand mit klugem Kopf und warmem Herzen uns zugesehen hätte, so hätte sein Mund sich halbtot gelacht, während sein Herz geblutet in bitterem Schmerz; und aus seinen Augen wäre es stromsweise geflossen, aus dem einen Auge die Thränen des Lachens, aus dem andern die des Schmerzens, beide Thränenarten aber einander so ähnlich eben wie ein Tropf Wasser dem andern, beide wässericht, salzicht und bald verdunstet.
Was war wohl lächerlicher als das Wichtigthun unseres Lehrers und unser Wichtigthun, unser Gifer und unser Brüsten mit leeren Nüssen und weggeworfenen Schalen? Was lächerlicher, als wenn zwanzig Männer mit der höchsten Anstrengung einen Satz konstruieren stundenlang und nicht die halben Worte darin begreifen, und mit dem höchsten Ernst vor sich hinsagen: Nennfall, Besitzfall ec. Wer? wessen? ec., bis sie in der gehörigen Reihenfolge es sich eingeprägt, so aber, daß sie in der Anwendung nie zurecht kommen können? Und bei allem dem doch das Glück auf allen Gesichtern und ein bedeutendes Selbstgefühl in allen Gebärden! War es nicht fast, wie wenn junge Affen mit gestohlenen Glasperlen oder einer alten Matrosenjacke auf einem grünen Aste wichtig und possierlich thun und sich lieber das Leben nehmen lassen als die Jacke mit ihren Löchern, die sie dazu noch verkehrt angezogen? Das waren aber Männer, mit denen man Spaß trieb wie mit jungen Affen, welche die Jugend des Staates, Christenkinder, unterrichten, erziehen sollten. Es waren Männer, welchen ehedem der Religionsunterricht fast allein anvertraut war und die jetzt noch das Fundament zu legen haben; Männer, von denen die Bildung der Vorgesetzten abhing und das Wecken aller Klassen zum Denken und ihre Befähigung zum Gewerb. Es waren Männer, die einem der ehrwürdigsten und einflußreichsten Stände im Staatsverband angehörten, mit denen man auf diese Weise bewußt und unbewußt das Narrenwerk trieb. War das nun nicht zum Weinen? War es nicht zum Weinen, daß so viel Eifer, so viel Hingebung und sicher auch so manches schöne Talent auf so läppische Art und an so läppischen Dingen vergeudet, verzehrt wurde?
Auf diese Weise wurden Schullehrer gebildet. Ich will nicht sagen alle. Es mag Normalschulen gegeben haben, in denen auf geistreichere Weise hantiert wurde, obgleich in den Examen, welche ich mit Schülern derselben hier oder dort machte, fast kein Unterschied zu merken war. Sicher ist auch mancher Normallehrer gewesen, der wußte, was Palästina sei; aber ob er es auch erklärt, ob er es nicht als bereits bekannt vorausgesetzt hat, das ist eine andere Frage. Mancher dieser Lehrer hat sich sicher aus aufrichtigem Herzen die größte Mühe gegeben; aber hatte er denn auch wirklich den wahren Beruf zu diesem Unternehmen, die Kenntnisse und den pädagogischen Sinn und Takt? Auf alle Fälle verriet er darin nicht die gehörige Einsicht, daß er glaubte, in einigen Monaten einen Schulmeister bilden zu können. Braucht doch die allmächtige Natur neun Monate zur Bildung eines Kindes und ein mittelmäßig guter Schneidermeister drei Jahre zur Bildung eines mittelmäßig guten Schneidergesellen; und ein Kind und ein Schneidergeselle, und wenn es auch ein Altgeselle wäre, sind doch noch lange keine Schulmeister. Aber daraus sieht man, wie hoch der Lehrerstand bei Hoch und Niedrig galt, und wie groß der Schulverstand allenthalben war. So ging es damals mit der Bildung des Lehrerstandes zu. Wahrlich, die menschliche Natur muß noch viel Gutes an sich haben, daß sie durch die Sorglosigkeit und den Unverstand der Menschen nicht in Grund und Boden, hinein verteufelt ist! Das kömmt uns aber wohl. Denn wenn wir jetzt schon freilich bessere Schulmeister-Bildung und bessere Schulmeister haben, so sind andere da, die den Souverän, das Volk, verhunzen aus Leibeskräften mit unzeitiger Nachsicht und unzeitigen Schmeicheleien und bösen liederlichen Beispielen; — gerade wie schlechte Kammerdiener bei vornehmen Prinzen es machen, um ihnen lieb zu werden, viel bei ihnen zu gelten und ihnen die Augen zuzudrücken für schlechte Streiche oder behagliches Nichtsthun.
Vierzehntes Kapitel. Alleluja! Endlich!
Unser Examen lief glücklich ab für mich; nur die wurden zurückgestellt, welche nicht lesen konnten. Ich erhielt einen schönen Brief, ein sogenanntes Schulmeisterpatent.
Wie glücklich und stolz ich es in der Busentasche trug, wie manchmal des Tages es betrachtete! Ich mochte gar nicht warten, bis ich meinem alten Lehrmeister gezeigt, wie geschickt ich nun geworden und wie ich jetzt alles könnte, was nur vorkäme. Er hatte Freude an mir und auch an meinem Patent; doch sagte er, allbets hätte man kein solches Papier nötig gehabt; es wäre nur darauf angekommen, daß der Mann gut sei, und das wüßten die Bauren selber viel besser als so ein Herr, der nur in der Stube hocke und alle Fleugen kenne darin, aber keinen Menschen außer derselben; der wisse, wie lange Ohren die Lappländer hatten, aber nichts von einer Bauren-Natur. Die würden deswegen auch am meisten zum Narren gehalten, besonders wenn sie Brillen an hatten und deswegen die Nase gar hoch trügen. Während sie den Bauren übersehen, durchsehe derselbe sie ganz und gar und schlage ihnen den Haken, so oft er wolle. Als ich ihm nun aber auskramen wollte mein neues Wissen von den Redefällen und den verschiedenen Zeiten, und den wer, wessen, wem, wen, von wem — da wurde er bitterböse und sagte: seligs neus Zeug trage gar nichts ab als daß man die Religion vergesse und hochmütig werde.