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Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
Читать онлайн.Название Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Jeremias Gotthelf
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Nach den üblichen Einschreibungen der sieben Bewerber begann das Examen. Lesen that ich gar laut und schön; die Vokale und Endsilben besonders sprach ich aus ungefähr wie wenn eine ganze Note darüber gewesen wäre. Es gefiel ihnen auch ganz besonders wohl; es lächerete sie die ganze Zeit. Das Katechisieren aus dem Fragenbuch ging recht gut. Nun wurde die Kinderbibel genommen und jeder sollte eine Geschichte erklären. Der Alte hatte mir gesagt, ich solle machen, daß ich der Öberst zu sitzen komme, das sei immer eine gute Vorbedeutung; fast immer erhalte derselbe die Schule und die Herren luegten auch darauf. Ich hatte es erzwängt und mußte es büßen. Ich war also der erste und sollte die vierzigste Geschichte im Alten Testament erklären. Ich begann mit der Frage: »Wer sind Adam und Eva gewesen?« Mein Schulmeister hatte mich gelehrt, die seien bei allen Dingen das Hauptfundament und wenn man da anfange, so komme man am weitesten und am besten fort. Aber der Schulkommissär fiel mir bald in die Rede, was ich, beiläufig gesagt, sehr unanständig finde; denn an einem Examen soll es ja einer eben machen, wie er kann. Er fiel mir also in die Rede und sagte, ich solle bei der Sache bleiben. Wenn wir allemal bei Adam und Eva anfangen wollen (ich hatte beim Katechisieren auch da angefangen), so müßten wir den lieben Gott um einen Josua bitten, der die Sonne stille stehen heiße. Da über den sein sollenden Witz alle lachten und mir so der Faden abgeschnitten war, so saß ich verblüfft da und wußte gar nichts mehr zu sagen. Nun, sagte der Schulkommissär, konstruiere doch, das ist bei der Erklärung immer die Hauptsache, und wenn man einen Satz recht konstruiert hat, so hat man ihn auch begriffen. Da faß ich und sah mit offenem Munde den Schulkommissär an wie ein Schaf; denn ich wußte gar nicht, was konstruieren sei. Das Wort hatte ich noch nie gehört. »Na, so konstruier doch und lueg i‘s Buech, a mi‘r Nase sind keine Buchstaben«, erhielt ich die ungeduldige Mahnung. Da fiel mir ein, konstruieren werde welsch sein, und die Herren, wo recht herrschelig reden wollten, werden dem Buchstabieren konstruieren sagen, und munter fing ich zu buchstabieren an. »Versteift de nit dütsch?« »Wohl, wohlehrwürdiger Herr Schulkumpan!« »Nu de, so konstruier!« Ich buchstabierte. »I ha gfragt, ob dütsch verstandisch?« »Ja, wohlehrwürdiger Herr Schulmilitär, aber nit welsch!« sagte ich mit weinerlicher Stimme. Da tönte rings um mich ein schallend Lachen auf meine Kosten und alle betrachteten mich fortwährend als den Narren des Tages. Nun hatte ich eine verspielte Sache und alles verband sich, mich lächerlich zu machen.
Beim Aufsatz wußte ich gar nicht, was anfangen; denn mein Lebtag hatte mir niemand gesagt, daß man das Schreiben zum Aufsetzen brauche und daß das die Sache eines Schulmeisters sei; daß einer Worte aus dem Kopfe aufsetzen sollte, war mir noch in keiner Schule vorgekommen, geschweige daß es mir zugemutet worden. Ich blickte daher rechts, ich blickte links; aber der Linke blickte auch links und blickte rechts und der Rechte that ebenso, und leer blieben die Tafeln links und rechts. Ein einziger war, der geschickter sein wollte als die anderen; allein keiner hielt ihm viel darauf. Glücklicherweise gingen nun die Herren weg und aßen zu Mittag und wir sollten unterdessen arbeiten. Sie glaubten wahrscheinlich, mit leerem Magen würden wir emsiger in der Arbeit sein und derselbe in umgekehrtem Verhältnis zum Kopfe stehen. Die Thoren! Ein Schulmeister ist denn doch kein Jagdhund, der am hungrigsten am besten jagt, sondern sein Kopf steht bis auf einen gewissen Punkt in akurat geradem Verhältnis zu dem Magen.
Sobald die Herren fort waren, traten die Zuschauer vor und halfen ein, so gut sie konnten, brummten dazwischen aber gar mächtig, daß man einem Schulmeister so etwas zumute — das sei doch allbets nicht so gewesen. Als einige Zeilen fertig waren, kamen die Herren wieder, überlasen flüchtig unsere Arbeit; aber man sah wohl, daß sie eben keinen großen Wert darauf setzten. Das Rechnen wurde mit einem Heustock abgethan und zu dem Singen geschritten. Wir mußten jeder das ut re mi singen, und so laut wir es thuu mochten, trat doch der Schulkommissär mit der Hand hinter dem rechten Ohr zu jedem heran und hielt sein Ohr an dessen Mund und erhielt manchen tüchtigen Brüll in dasselbe. Warum er dieses Manöver vornahm, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hatte er gar kein Musikgehör, oder ein schlechtes, und bildete sich nun ein, es gehe mit diesem Gehör wie mit dem allgemeinen Gehör: je näher man das Ohr zu dem Ursprung des Tones bringe, desto besser könne man den Ton fassen und unterscheiden. Ach, mein guter Schulkommissär, und wenn Ihr ein Ohr vor die Stimmritze und das andere mitten in die Lunge hättet postieren können und hinter jedes Ohr eine Eurer großen mächtigen Hände: über den Wert, die Nichtigkeit und Unrichtigkeit der Töne würdet Ihr nicht klüger geworden sein. Und dennoch machte er bei diesem allem eine sehr wichtige Miene und fast Augen, wie die Hühner, wenn sie das Pfiffi haben. Und mit einer noch wichtigeren Miene fragte er mich nach gehaltenem Umgang, ob ich ihm sagen könne, was für ein Unterschied sei zwischen Choral- und Figuralgesang. Ja, da stund ich wieder am Berge; hatte ich davon doch mein Lebtag nichts gehört. Das war wieder welsch,, mit dem ich nichts machen konnte. Aber ich war nun schon etwas klüger geworden und besann mich auf eine in den Unterweisungen oft gebrauchte Ausflucht: ich wüßt es wohl, aber ich könnte es nicht sagen. Das half und der Herr fragte mich nun so, daß ich nur Ja und Nein zu sagen brauchte, so daß ich recht gut bestund, obgleich ich weder Gyr noch Gax davon verstund. Aber die Schule erhielt ich doch nicht, sondern den guten Rat, und zwar wohlfeil, nämlich umsonst, kein Schulmeisterexamen mehr zu machen, ehe ich wüßte, welcher Unterschied zwischen konstruieren und buchstabieren sei.
Zerknirscht saß ich im Wirtshause an dem Imbiß, den uns die Gemeinde als Entschädnis für die ausgestandenen Drangsale geben ließ; aufbegehrisch saß neben mir mein Lehrmeister. So ein Examen, räsonierte er, hätte er sein Lebtag nicht gehört; es müsse alles auf die neue Mode sein und wenn es die verflucht dümmste Sache wäre. Er frage doch, was das mit dem Konstruiere für eine Dummheit sei und was es abtrage; mit dem könne man doch weder selig werden, noch gebe es einem z‘fresse, und beides seien doch die Hauptsachen! Er hätte aber geglaubt, solche Herren würden doch witziger sein als so; aber so gehe es, wenn man den Menschen fremde Namen anhänge; sie würden gerne z‘Narren darob. Ehedem habe man nichts von Kommissärs gewußt, aber auch nichts von Konstruieren. Da seien die Franzosen ins Land gekommen und mit ihnen die Kommissärs; die hätten Dreizingge aufgehabt und lange Säbel nachgeschleppt und hätten alle Leute kujoniert, aber von konstruieren hätten sie doch nichts gesagt. Er könne gar nicht begreifen, warum die Regierung jetzt, wo die Franzosen fort seien, nachdem sie, und besonders die Kommissärs, uns so viel gestohlen, auch Kommissärs erzwängen wolle, und noch sogar in den Schulen, um die Leute nicht nur zu kujonieren, sondern sogar noch zu konstruieren. Er glaube aber nicht, daß das der Regierung Wille sei, und wenn sie wüßte, was die Kommissärs einführen, sie würde ihnen das Handwerk wohl legen. Es seien doch noch brave Herren in Bern, die nicht wollten, daß man die Leute (das Wort Volk war noch nicht in Sprachgebrauch gekommen) so verführe und auf die neue Mode dressiere. Er hülf eine Vorstellung eingeben; wenn einer sie aufsetze, so wolle er sie unterschreiben. Allein dazu hatte niemand Lust, obgleich alle die, welche nicht zur Stelle vorgeschlagen waren, einstimmten. Ich sagte nichts dazu, sondern war ganz mutlos. Ich war im Glauben an meine Geschicklichkeit gestört worden gröblich und glaubte es unmöglich, so neue, unbekannte Sachen in Kopf zu bringen. Ich erklärte auf dem Heimwege kleinlaut, es würde wohl das beste sein, wenn ich das Schulmeisterwerden aufgebe; ich werde doch keiner so wie die Herren jetzt seien. Aber davon wollte mein erbitterter und illuminierter Begleiter nichts hören. Er wolle mich zum Schulmeister machen, schwur er, und wenn alle Kommissärs dagegen wären; er fürchte sie alle nicht und wenn sie auch alle Dreizingge auf hätten wie der Zytglocke und Säbel am Nest wie der Goliath.
Er hielt auch richtig Wort. Kaum vierzehn Tage waren vergangen, so kam er wieder daher mit seinem langen Stecken, seinem wichtigen Gesicht, seiner Schnupfnase mitten drin, und über derselben, wie zwei Sterne über einer schwarzen Wetterwolke, seine ehrlichen Augen. Er brachte mir die Nachricht, daß er für mich Platz als Schulmeister gefunden habe, freilich ohne Schule. Aber das habe gar nichts zu bedeuten; ich sei noch bas so, und z‘esse heig i besser, als mancher Landvogt, der eine geizige Frau habe, die einem halb Dutzend heiratslustiger Töchtern die Ehesteuer z‘weg machen wolle auf dem Amte.
Mein Platz sei in der Gemeinde Hinterhäg, wo man seit Jahren wegen den Schulen bald branze, bald prozediere, bald