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Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
Читать онлайн.Название Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Jeremias Gotthelf
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Wir waren bei zwanzig in der Lehre, angestellte Schulmeister und solche, die es werden wollten. Mehrere gingen des Abends heim; wir anderen waren hie und dort verkostgeltet. In den ersten Tagen hatte ich einem Kameraden meine Not geklagt und dieser mir den Rat gegeben, ich solle meinem Kostmeister anbieten, für ihn zu weben in der Zwischenzeit und, wenn es nötig sei, noch nach Beendigung der Lehrzeit. Dieser war es sehr wohl zufrieden und somit war ich meinen ökonomischen Sorgen enthoben.
Unsere Pensen waren: Lesen, Schönschreiben, sogenannte Sprachlehre verbunden mit Konstruieren, Themaschreiben, Rechnen, Katechisieren und Singen.
Von Schönlesen wußte mau nichts; bloß wurde aufmerksam gemacht, daß man bei Sprachzeichen den Ton mehr oder weniger müsse fallen lassen. Das Richtiglesen war die Hauptsache; denn mancher konnte es nicht und brachte es bis zum Examen nicht dahin. Die Sprachlehre wurde diktiert, und wer nicht nachkam, schrieb aus dem Buche nach oder aus den Heften anderer, wenn er Geschriebenes lesen konnte. Ich weiß nicht mehr recht, was sie enthielt; denn die Hefte las ich nie mehr nach und ich kann jetzt auch sie nicht mehr nachsehen; denn ich habe sie verloren. So viel ich mich erinnere, kam darin von den Sprachzeichen, wie sie heißen, vor, und die Namen aller Wörter wurden angegeben; wenn ich nicht irre, waren sie eingeteilt in vierundzwanzig Klassen. Dann von den Redefällen und den verschiedenen Zeiten. Weiter weiß ich nichts mehr, und ich glaube nicht, daß sie mehr enthielt.
Das Konstruieren war die Hauptsache; man übte es in der Kinderbibel. Der Lehrer machte aufmerksam, daß von einem Punkt zum andern wenigstens ein Zeitwort sei, d. h. ein Wort, welches angebe, in welcher Zeit etwas geschehen sei. Manchmal seien auch mehrere; aber man sehe es dem immer an, welches das Hauptzeitwort sei. Dieses Wort nun müsse man vor allem andern suchen. Er ließ einen Satz lesen, oder, wie er sagte, bis zu einem Punkt. Dann fragte er nach dem Zeitworte. Oft erriet die ganze Reihe Schüler alle Wortklassen durch, ehe sie das Rechte trafen. Hatte man dieses einmal, so wurde weiter gefragt: wer? wessen? wem? wen? was? von wem? wann? wie? wo? und wie die W alle heißen. Wenn man alle Wörter abgefragt hatte, so war man mit dem Satz fertig. Gewöhnlich wurde noch auf die Hauptwörter aufmerksam gemacht, die man an den großen Anfangsbuchstaben kennen lernte; um die andern Wörterklassen bekümmerte man sich weniger. Der Sinn der Worte, der Inhalt des Gelesenen :c. wurde nie erklärt. So geschah es z. B., daß bei dem Vorexamen der Schulkommissär naseweis fragte, was das Wort Palästina bedeute. Schnell flüsterte unser Lehrer dem Gefragten zu: »Eine Stadt im jüdischen Lande.« Er wußte also wohl, warum er sich nicht tiefer ins Erklären einließ. Beim Themaschreiben ging es wieder recht langsam zu; denn im Auffassen der Worte waren wir ungeübt, und noch viel mehr im Auswendigbuchstabieren derselben, und ebensosehr im Auffinden der nötigen Buchstaben, so daß wir selten Zeit hatten, an die Wörterklassen noch obendrein zu denken. Das Denken an die Satzzeichen ersparte man uns, indem sie angegeben wurden. War man endlich fertig, so gab der Lehrer einem sein Buch; dieser buchstabierte vor und wir sollten korrigieren, wobei selten einer nachkam, und gewöhnlich die Hälfte der Fehler stehen blieb. Auch wechselte man dabei untereinander die Tafeln, in dem schönen Glauben, daß man die Fehler des Nächsten besser sehen werde als die eigenen; aber das half nicht viel, weil der Buchstabierende manches Wort buchstabierte, während der Korrigierende in seiner Unbehülflichkeit einen einzigen Buchstaben machte. Und einen Buchstaben machen und zugleich auf den andern hören, das gehörte mir damals unter das Hexenwerk, das einem ehrlichen Christenmenschen nicht zuzumuten sei.
Bei dem Rechnen aber wurde wirklich Hexenwerk getrieben. Denn wir machten fast alle möglichen Rechnungsarten durch: die vier Species in ganzen und gebrochenen Zahlen, Heustockrechnung, Regula de tri, Gesellschaftsrechnung, Zinsrechnung; sogar die Quadratwurzel zogen wir aus und fast wären wir sogar bis zur Kettenregel gekommen. Das ging wunderschnell zu. Es hieß: »Passet auf, das macht man so und so,« und an der Tafel wurde es vorgemacht. Dann mußten ein oder mehrere Beispiele an der Tafel von Schülern durchgerechnet werden, und wer ein gutes Gedächtnis hatte, der machte Strich für Strich nach, wie er es vor einigen Minuten gesehen hatte. Dann hieß es: »Es geht; schreibt jetzt das oder diese Beispiele in Eure Schrift ab, damit Ihr es nicht wieder vergesset.« Und es geschah also. Wahrscheinlich kannte der Lehrer das Lied: »Mit seinen Heften ausstaffieret, heißt er ein grundgelehrter Mann.« An das Zahlensystem dachte niemand; das setzte man voraus; man nahm an, es sei uns des Nachts über in die Köpfe gefallen wie den Kindern Israel in der Wüste das Manna.
Auf das Katechisieren wurde besonders viel verwandt. Hing es doch mit den Kinderlehren zusammen, der Herzensangst der angehenden Schulmeister, der Seelenlust der ältern. Natürlich lag hier einzig und allein das Fragenbuch zu Grunde, über dessen Abfassung, Form, Veranlassung uns gar nichts gesagt wurde. Wir wußten nicht, wer da fraget und wer antwortet. Von den christlichen Lehrsätzen, auf welchen die Antworten ruhen, sagte man uns gar nichts, sagte uns nichts von der Trennung und dem Unterschied der katholischen und reformierten Kirche, wodurch einzig eine Menge Fragen begreiflich werden. Also eigentlichen Stoff gab man uns nicht zur Hand; eine eigentliche Grundlage legte man nicht. Die Hauptsache war die, daß der Lehrer fragen konnte, was er zu fragen wußte, mit dem Fragen nie stockte. Ob auf die Frage eine vernünftige Antwort natürlich folgen könne, ob auf die letzte Antwort die nächste Frage passe, und ob jede zum Ziele führe, darauf kam es wieder nicht an. Man fragte so, daß man Ja oder Nein bestimmt erwarten konnte; man half sich mit Müslins Erklärungen zum Heidelberger durch, der das Fragen und auf das Fragen das Antworten auch recht bequem macht. So wußte mancher nicht, ob die erhaltene Antwort die rechte sei. Die Erklärung der Worte und Begriffe bestund nur darin, daß man die Hauptwörter mit dem Zeitwort umschrieb, und wo kein Zeitwort aus dem Hauptwort zu machen war, da nahm man einen Gump über das Wort, z. B. Natur, Reich ec. Z. B.: Was isch Trost? Wenn man einen tröstet. Ja, wenn er betrübt ist und man ihn dann tröstet. Was ist Leben? Wenn einer lebt, wenn einer hier auf der Welt ist und lebt. Dann mußten wir auch Anwendungen machen, zu welchen Bücher uns halfen, und machten gar oft solche, die wir selbst nicht begriffen. Begriffen wir doch auch die Fragen nicht.
Ganz besonderes Gewicht wurde darauf gelegt, daß man eine Sache durch Gleichnisse erörtere. Wo mein Lehrer diesen Grundsatz aufgefischt, weiß ich nicht. Aber auf Beispielen hielt er viel; mochten sie übrigens passen wie eine Faust auf das Auge, das war gleichgültig, wenn es nur ein Gleichnis war.
Das war an sich ganz recht, daß man die toten Begriffe übertragen sollte auf die lebendigen Verhältnisse und das Dunkle klar machen durch Anschauungen. Allein das wurde eigentlich gar nicht begriffen und so dem Kind Anschauungen und Verhältnisse vorgeführt, von denen es noch viel weniger begreifen konnte und sollte, als von den Begriffen und Worten selbst, z. B. über das siebente Gebot. Überhaupt ward hauptsächlich darauf gesehen, daß einer an einer Frage seine gehörige Zeit zu verbrauchen wüßte, ohne eben merklich zu stocken. Das ist allerdings eine große Kunst, die in der großen Welt besonders geübt und geschätzt wird, eine halbe Stunde über eine Sache zu schwatzen, ohne etwas davon zu verstehen. Diese Kunst hat schon viel Geld, viel Ehre erworben und viel Sand in die Augen gestreut. Und diese