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mithin die tonkünstlerischen Möglichkeiten auf das Alleräußerste und drückt die Instrumentierung auf eine Stufe, bei der kaum ein Komponist im Lande der Hottentotten sein Auskommen finden würde. Es muß festgestellt werden, daß die Musiker unserer Insel sich von dieser extremen Strenge bereits merklich emanzipiert hatten, weil sie sonst überhaupt nicht imstande gewesen wären, zu ihrem Jubelfeste eine Kantate aufzuführen. Immerhin hielten sich die Insulaner insoweit an das Platonische Programm, als ihr Chorwerk keine Freude, sondern in der Hauptsache nur eine gewaltige Ohrenpein verursachte, wenn ich als Maßstab die Empfindlichkeit unserer eigenen Ohren ansetze.

      In der Zwischenpause flüsterte mir Eva zu, sie könne das überhaupt nicht mehr aushalten und müsse fliehen. Ich versuchte, sie zu beruhigen: der Übelklang dieser Musik darf uns nicht veranlassen, sie restlos zu verwerfen. Wir haben uns ja auch in unseren heimischen Konzerten an allerlei katzenmusikalische Kakophonien gewöhnt und wissen aus der Kunstgeschichte, wie sehr sich die Rezeptivität der Hörer verändert. Vielleicht ist uns das große Publikum dieser Aula, das so andächtig und sichtlich erbaut zuhört, schon um Jahrzehnte oder Jahrhunderte im Urteil voraus.

      Eva widersprach: »Niemals werde ich mich überzeugen, lassen, daß eine wirkliche Musik von den Grundlagen des Taktes, der Tonalität und der reinen Stimmung abgetrennt werden kann. Immer wird ein Unterschied bestehen zwischen Stümpern und Könnern, wie zwischen dem Gekrächz eines Raben und dem Gesang einer Nachtigall. Mich empört nicht die Tatsache, daß diese Leute anders melodisieren und harmonisieren, sondern daß sie falsch musizieren, mit Instrumenten, von denen jedes für sich und alle untereinander so greulich verstimmt sind. Wenn man mir ins rechte Ohr B-dur und gleichzeitig ins linke Ohr B-moll bläst, so muß es zum mindesten wirkliches B-dur und B-moll sein, nicht aber ein Gequiek wie von ungeschmierten Türen, die zufällig in B quietschen.«

      »Liebes Fräulein Eva, auch daran werden wir uns gewöhnen müssen, hier und daheim bei uns. Nehmen Sie diese Musik als eine Vorbereitung zu den Konzerten, die uns zu Hause erwarten.«

      Das Orchester intonierte aufs neue zu einem glücklicherweise nur kurzem Finalsatz, in den mehrfach spontaner Beifall der bewundernden Hörerschaft hineinbrauste. Dieses Finale wurde auswendig vorgetragen, ganz ohne Noten und Dirigenten, und ich erfuhr später, daß damit eine ganz besondere Kunstübung geboten wurde: Der Komponist hatte vorgeschrieben, daß hier jeder der Ausübenden in Orchester und Chor ganz frei improvisieren sollte, jeder ohne welche Rücksicht auf die Übrigen, was und wie es der Moment ihm gerade eingäbe. Sicherlich wird dadurch eine weit größere Freiheit erzielt, als in der sklavischen Bindung an Partitur und Stimmen jemals erreicht werden kann. Da wäre also noch viel zu lernen für unsere europäischen Tonsetzer, die von der alten Schablonenfexerei nicht loskommen, immer erst aufzuschreiben, was nachher gespielt werden soll.

* * *

      Nach Erledigung der Kantate betrat der Magnificus der Akademie, Mitregent des Staates, das Podium zu einer langen, feierlichen Ansprache, die hier auf den zwanzigsten Teil verkürzt eine aphoristische Wiedergabe erhalten möge:

      Festgenossen! Wäre uns der Homer nicht verpönt und verboten, so müßte ich mit den Worten beginnen »Andra moi enepe«. Und die Muse hätte mir zu antworten: der Mann, den du meinst, der Mann, der eurem staatlichen Leben den Inhalt gibt, es ist Plato, der Imperator unter den Denkern, der einzige und vor allem der erste, der gewußt hat, wie man ein Volk herrlichen Zeiten entgegenführt.

      Durch ihn sind wir einer Fülle von Segnungen teilhaftig geworden, wie sie sich – das behaupte ich kühn, weil Ihrer Zustimmung sicher – über keine andere Menschengemeinschaft der Erde ergossen hat. Weil es uns allein vorbehalten war, sein System zu realisieren, das für die anderen bis auf diesen Tag nur ein Gegenstand scheuen Bestaunens geblieben ist.

      Dieses System beruht auf der berühmten, von aller Welt gefeierten, aber nur von uns voll begriffenen »Ideenlehre«. Sie gibt uns die Idee als Begriff außerhalb der Erscheinung und, tiefer erfaßt: im Gegensatz zur Erscheinung. Aus dem Zufallsding, das wir Mensch nennen, abstrahieren wir die Idee der Menschigkeit, aus dem Löwen die Leonitas, aus dem Esel die Asinität, aus den Gesetzen die Gesetzigkeit. Unsere Aufgabe war es, den eben erwähnten Gegensatz zu betonen und zu verschärfen; also die Gesetzigkeit so zu gestalten, daß sie sich vom Gesetz möglichst loslöst, und die Gerechtigkeit so, daß sie dem konkreten Recht widerspricht. Gelingt dies, so nähern wir uns dem Platonischen Staatssystem, welches verordnet, daß nur Philosophen, das sind Menschen, welche jene Ideenlehre begriffen haben, die Herrschaft ausüben dürfen.

      Darin erschöpft sich aber ihre Sendung noch nicht. Sie haben vielmehr dafür zu sorgen, daß die Philosophie im Allgemeinen und ihre Philosophie im Besonderen alle Schichten des Volkes durchdringt. Es gibt ein lateinisches Sprichwort »primum vivere, deinde philosophari« – erst muß man leben, nachher philosophieren. Da wir das Prinzip des Kontrastes befolgen, so erklären wir dieses Wort für einen Unsinn und verordnen: zuerst philosophieren, dann erst leben! Der überaus glückliche Zustand, in dem sich unser Eiland befindet, beweist deutlich genug, daß wir mit dieser Umkehrung das Rechte getroffen haben.

      Schon heute, beim Feste, darf ich es ankündigen, daß wir demnächst über das erreichte sehr erhebliche Maß hinaus neue Lehrkurse einrichten werden. So für Bartscheergehilfen einen Kursus über die philosophische Methode des Parmenides und für Rollkutscher eine propädeutische Einführung in die Plato-Sokratische Ethik.

      Einige obere Verwaltungsstellen sollen neu besetzt werden. Wo viel Licht, da darf es uns nicht Wunder nehmen, daß wir auch etliche Schatten bemerken. Es sind uns einige Klagen zu Ohren gekommen darüber, daß unser Postdienst nicht ganz exakt funktioniert, und daß beispielsweise im vorigen Monat achtzig Prozent aller ausgelieferten Briefe spurlos verschwunden sind. Um auch in dieser Hinsicht die größtmöglichste Vollendung zu gewinnen, wird das Postressort demnächst großzügig erweitert und einem Fachminister für Transzendental-Aesthetik anvertraut werden.

      Betreffs der Volksmoral herrscht bei uns nur eine Stimme – wenn ich das Häuflein der anarchistischen Plato-Gegner ausnehme, die wir zerschmettern, wo sie uns entgegentreten. Die Kriminalität ist, statistisch genommen, fast auf den Nullpunkt gesunken, seitdem unsere Gerichte gelernt haben, den Plato-Sokratischen Grundsatz richtig anzuwenden: »Unrecht leiden ist besser als Unrecht tun.« Hier kam alles auf Konsequenz an, und zu unserer Ehre sei es gesagt, die Tribunale dieser Insel arbeiten konsequent, indem sie das Unrecht leiden. Als äußerst vorteilhaft für die Gesamt-Sittlichkeit hat es sich auch erwiesen, daß wir die Verherrlichung der Knabenliebe aus Platos Symposion und Phädros in unser Staatswesen übernommen haben. Diese zwei Elemente, die Päderastie einerseits und die Verlosung des Jungfernschaftsbeischlafs andererseits, diese zwei echtplatonischen Elemente, sagte ich, haben sich bei uns zur allgemeinen Befriedigung als eine Segensquelle erwiesen, um die uns die ganze Außenwelt beneiden wird, wenn erst einmal die Ausländer ungetrübten Einblick in unsere Zustände erhalten.

      Hierzu ist nun ein erster Anfang gemacht, und ich entledige mich einer angenehmen Pflicht, wenn ich hier als Festredner die ersten Fremdlinge begrüße. Sie weilen heut unter uns als Entdecker des Eilands, das für sie eine »ultima Thule« darstellt, um mit Vergil zu reden, der zwar als Dichter ein nichtsnutziges Subjekt war, aber mit dieser Bezeichnung ein auch für anständige Prosa brauchbares Wort geschaffen hat. Ich hoffe, daß die fremden Gäste, für deren gastfreie Aufnahme unsere Stadtverwaltung gesorgt hat, bedeutende Eindrücke davontragen werden, zum späteren Heil der Länder, denen sie entstammen. Sie werden erzählen, daß sie hier eine Verfassung angetroffen haben, die innerlich gefestigt sich seit Urzeit vollkommen bewährt; im Gegensatz zu den Verfassungen ihrer Länder, die von Pfuscherhänden geformt, fortdauernder Quacksalberei unterliegen. Jetzt zum ersten Mal werden sie erkennen, woher es rührt, daß bei ihnen zu Haus keine Stetigkeit waltet, und alles in endlosen Experimenten drunter und drüber geht. Es rächt sich an ihnen fortgesetzt und bitter, daß kein Philosoph mit tiefdurchdachtem System bei ihren Staatsorganismen Pate gestanden hat. Vielleicht ist es auch für jene Kontinente schon zu spät, um sich zu unserem Ideal zu bekennen, und sie werden in diesem Fall aus der Verelendung nicht mehr herausfinden. Immerhin, wenn sie auch nur einige unserer Platonischen Einrichtungen zu sich überpflanzen, werden sie daraus etliche Öltropfen gewinnen, um ihren verrosteten Staatsmaschinen über die ärgsten Reibungen hinwegzuhelfen.

      Hierauf verkündete der

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