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im Bühnensinne auftritt. Das exigo bei Quintilian und Tacitus bedarf noch einer besonderen Analogie, allein ich hoffe, daß ich in einer der nächsten Lektionen bis zum zweiten Wort der Horazischen Ode vordringen werde, also bis zu »Monumentum«, dessen grammatische Verwandtschaft mit moneo, als dem Factitivum von memini, auf den Stamm mens, mentis und damit auf die Grundwurzel aller Geistigkeit überhaupt hinleitet, insofern – — —« »Genug!« rief Donath; »es soll uns als erwiesen gelten, daß Sie Ihr Programm, die Jungen mit Haß und Abscheu gegen klassische Verse zu sättigen, vollkommen erfüllen, zweifellos gründlicher und gediegener als irgend ein Magister meiner deutschen Heimat. Aber wir dürfen unseren Hauptzweck nicht aus den Augen verlieren, ich schlage deshalb einen Spaziergang vor zu einer ersten Orientierung in Ihrer platonischen Stadt, die uns neben ihrem antipoetischen Grundzug hoffentlich recht viel Schönes und Erbauliches bieten wird.«

      Wir erhoben uns, von Erwartung geschwellt, und begaben uns auf die Wanderung. Vor uns lag das vorausgeahnte polynesische Neuland, in erster Probe als ein Staat, der ausschließlich von Philosophen regiert wird. Also sicher ein starker Kontrast zu allem Erlebten. Ich entsann mich, daß in unseren heimischen Ländern der körperliche Schwerarbeiter höher rangiert als der Denker, und daß bei uns nur derjenige die Anwartschaft auf staatliche Macht gewinnt, der von Philosophie keine Ahnung hat.

      Das erste, was uns auffiel, war die Menge schlechtgepflegter Kinder, die sich in den Straßen tummelten, und ich gab der Verwunderung Ausdruck, daß sich deren Eltern anscheinend so wenig um sie kümmerten. Yelluon erläuterte, der Begriff »Eltern« passe eigentlich nicht recht hierher, denn es herrsche ja in den meisten Schichten des philosophischen Staates Weiber- und Kindergemeinschaft, und infolgedessen eine Komplexität der sexuellen Verhältnisse, bei der von einer Elternschaft im gewöhnlichen Sinne gar nicht mehr die Rede sein könne. Ganz recht! hier lag ja ein Hauptpunkt der platonischen Verordnungen vor, und wenn irgendwo, so hatte sich hier die Philosophie des Musterstaates zu betätigen. Es kommt wesentlich auf die Menge der erzeugten Kinder an, nicht aber darauf, daß das einzelne Kind seine Herkunft von einem bestimmten Papa und einer bestimmten Mama herleitet. Denn auch der Mutterbegriff verflüchtigt sich in einer Gemeinschaft, in der die Mutterpflicht und die Mutterliebe vom philosophischen Standpunkt als unwesentlich, ja als störend erkannt worden sind.

      »Aber Herr Yelluon,« rief ich, »Sie leben doch nicht in Weibergemeinschaft, Sie haben doch eine Gattin! und wenn sie auch einer Unpäßlichkeit wegen bei Tisch nicht erschien, so existiert sie doch zweifellos!«

      »Als weibliches Wesen allerdings, als meine Frau nur in sehr beschränktem Grade. Ich bin mit Upanischa – so heißt sie – nur so nebenbei, ganz oberflächlich verheiratet. Augenblicklich wohnt sie bei mir, was nicht ausschließt, daß sie übermorgen die Bettgenossin eines anderen wird, was nicht weiter verwunderlich, da sie ja schon durch viele Dutzende von Händen ging; sie war auch schon mit dreitägiger Gültigkeit mit dem Rektor und mit mehreren Ministern verheiratet, und ich nehme an, daß unter den uns auf der Straße begegnenden Männern sich zahlreiche befinden, deren Lager sie als Gemahlin bereits erheitert hat, oder demnächst erheitern wird.«

      »Und das sagen Sie so leichthin! Sie als Bürger eines Staates, der auf absolute Moral gegründet sein soll! Der Staat ist doch auf die Ehe basiert und diese auf die Liebe? Wen lieben Sie denn eigentlich? und wen liebt die Dame Upanischa?«

      »So viele Fragen, so viel Denkfehler, um nicht zu sagen Sinnlosigkeiten. Sie übersehen gänzlich das Grundprinzip, die Philosophie, und Sie sind noch nicht imstande, diese Linie zu verfolgen, da Sie aus unlogischen Ländern herkommen. Ihnen schwebte bei Ihrer Expedition vor: Sie wollten eine Entdeckung machen. Nun denn, Sie besitzen Grund zum Jubeln, Sie haben wirklich entdeckt! Sie stehen in diesem Polynes zum erstenmal auf dem festen Grund der Logik. Der Staat und die Ehe, so wie sie Ihnen bekannt sind, setzen allerdings die Liebe voraus, das heißt, Sie etablieren eine auf Dauer berechnete Einrichtung und stützen sie auf einen nach Minuten abzählbaren Zustand. Sie bauen die Staatspyramide derart, daß sie mit der Spitze nach unten steht, mit der Grundseite nach oben, und wundern sich dann, wenn sie umfällt. Wie kann man etwas Festes, Stetiges aus einem bloßen Gefühl entwickeln wollen, das nach aller Erfahrung unstetig ist, flackernd und abrupt? Plato hat diesen Widersinn erkannt, nicht euer Plato, auf den Ihr als einen europäischen Philosophen pocht, sondern unser Plato, der von uns begriffene und realisierte…«

      – Eine Zwischenbemerkung, Herr Yelluon: Sie mögen ja diesen Weltmeister gründlicher erforscht haben, aber auch wir besitzen treffliche Interpretationen, von Schleiermacher, von Zeller, Überweg …

      »Jawohl, und von Wieland, den ich Ihnen besonders empfehle. Wie steht es nun mit der Liebe bei dem richtig verstandenen Plato? Ist sie etwa »platonisch« im europäischen Sinne des Wortes? Da haben Sie schon den Nonsens, in den ihr euch dauernd verstrickt, denn das genaue Gegenteil ist der Fall. Die Liebe in der eigentlichen platonischen Bedeutung des Wortes ist ein Zeugungsgeschäft, muß als eine rein physische, tierische Sache behandelt werden und darf deshalb im Idealstaat keine Stätte finden. Da nun aber die Weiber für das Zeugungsgeschäft leider unentbehrlich sind, so kommt es darauf an, den Schaden, den die Weiblichkeit im Staat anrichtet, nach Möglichkeit auszurotten; so zu verstehen, daß der Mann, der einzig dem Staate verpflichtet wird, nicht obendrein in Lockungen fällt, die ihn dem Staatsinteresse abspenstig machen. In erster Linie dürfen die Krieger, dann weiterhin alle starken Repräsentanten des Staates, nicht durch den dauernden Umgang mit den Zauberinnen geschwächt, nicht durch Ausübung monotoner Ehepflichten verelendet werden. Das von dem Genius Platos gefundene Hauptmittel, den reizenden Schlangen ihr Gift zu benehmen, besteht eben – abgesehen vom Kommunismus in Gütern, der sich in weiterer Folge einstellt – in der Weibergemeinschaft, durch welche die Ehe überflüssig gemacht wird, wenn sie auch in vereinzelten Exemplaren ein bescheidenes Dasein weiterfristen mag; durch das Los, in einer von den Archonten geleiteten Ehelotterie, oder auf Zeit, wenn uns einmal die Laune kitzelt, mit dieser oder jener einige Tage und Nächte zu verbringen … Einen Augenblick Pause, mein Herr, ich will nur der hübschen Person, die dort drüben spaziert, etwas sagen.«

      Meine Blicke folgten. Ich bemerkte eine nicht mehr ganz junge Dame, die durchaus nicht den Eindruck einer Halbweltlerin machte, vielmehr den besseren Kreisen anzugehören schien, und die mit züchtig gesenktem Blick dahinschritt. Sie trug ein Gewand in schön gebrochenen Falten aus feuerfarbenem, byssusartigem Webstoff, das unter ihrem Busen von einem seltsam gestickten mit einer Agraffe aus bläulichen Steinen geschlossenen Gürtel zusammengehalten wurde; dazu Schnüre von feinen Perlen, die sich um Hals und Arme, wie zwischen den Locken in anmutigem Linienspiel bewegten.

      »Eine Freundin Ihres Hauses?« fragte ich, als er nach zwei Minuten zurückkehrte.

      »Nein, keineswegs. Es ist möglich, daß ich vor Jahren einmal flüchtig mit ihr verheiratet war, ich kann mich im Moment nicht genau darauf besinnen. Jedenfalls habe ich sie eingeladen, mit mir im nächsten Monat auf unserer schönen Nachbarinsel Wrohlih eine halbe Flitterwoche zu verleben.«

      »Und sie hat zugesagt?«

      »Bedingungsweise. Für den Fall nämlich, daß sie nicht zur selben Zeit Nummer in einer Lotterie-Serie werden muß und dadurch nach Verfügung Piatos als Ehegewinnst einem Dritten zufällt. Sollte die Dame inzwischen verlost werden, so müßte ich mich noch kurze Zeit gedulden.«

      »Was Ihnen nach Ihrer Auffassung von der Liebe wohl nicht allzu schmerzlich sein wird.«

      »Sie fangen an zu begreifen; und Sie werden allmählich auch einsehen, daß der bei Ihnen gültige Liebesbegriff nichts ist als Trug und Blenderei. Sie unterliegen hierbei einer Täuschung, welche die schöngeistige Literatur und das Theater über Sie verhängt. Sie übernehmen eine Empfindung, die allenfalls für eine Romanze und höchstens für einen Operettenschlager ausreicht, in das Leben, wofür es gar nicht paßt. Sie übernehmen es mit all seinen traurigen Begleiterscheinungen des Sehnens, Schmachtens, der Eifersucht und schleppen sich dauernd mit Kümmernissen, deren Summe Sie sich zur Erfreulichkeit umlügen. Die Eifersucht, das Alleinhabenwollen, bedeutet in logischem Betracht einen Horror für sich. Ich liebe zum Beispiel die Insel Wrohlih mit ihren landschaftlichen Schönheiten, allein ich müßte doch hirnverbrannt sein, wenn ich verlangte, daß diese Insel mich wiederliebt, mich ausschließlich, und wenn ich zu toben anfinge, sobald die Insel ihre Reize auch anderen spendet. Und genau so wie ich

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