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Ausgangspunkt ist zunächst festzustellen, dass jedenfalls eine direkte Anwendung des Tatbestandsirrtums (§ 16 StGB, § 11 Abs. 1 OWiG) ausscheidet, da die Haftungsprivilegierungen mit der hier gewählten Einordnung nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehören. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB und § 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG setzen aber voraus, dass der Beteiligte bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Aber auch eine direkte Anwendung des Verbotsirrtums nach § 17 Satz 1 StGB und § 11 Abs. 2 OWiG scheidet aus, da dieser das Unrechtsbewusstsein betrifft.497 Das Unrecht bleibt von den Haftungsprivilegierungen jedoch unberührt, da diese eine Strafbarkeit allein aus rechtspolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen entfallen lassen. Sie ähneln damit vor allem persönlichen Strafausschließungsgründen. Es stellt sich deshalb zunächst die Frage, ob die zu den persönlichen Strafausschließungsgründen vertretene Irrtumsdogmatik auf die Haftungsprivilegierungen des TMG übertragen werden kann.

       a. Irrtümer bei persönlichen Strafausschließungsgründen

      Zur Beantwortung der Frage, inwieweit sich die Irrtumsdogmatik persönlicher Strafausschließungsgründe übertragen lässt, ist in einem ersten Schritt festzustellen, ob und wie Irrtümer in Bezug auf persönliche Strafausschließungsgründe zugelassen und behandelt werden.

       b. Folgen einer Übertragung dieser Grundsätze auf die §§ 8 bis 10 TMG

      Nach der differenzierenden Ansicht wäre demnach eine Berücksichtigung von Irrtümern im Rahmen der §§ 8 bis 10 TMG möglich, wenn die Haftungsprivilegierungen auf Schuldgesichtspunkten beruhen und nicht allein staatspolitischen Belangen dienen oder auf kriminalpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen beruhen.

      Die Haftungsprivilegierungen des TMG dienen demnach allein rechtspolitischen Zielen. Dies wird durch die Erwägungsgründe zur ECRL, deren Art. 12 bis 14 durch die §§ 8 bis 10 TMG in deutsches Recht umgesetzt sind, bestätigt. Nach Erwägungsgrund 3 zielt die ECRL „darauf ab, ein hohes Niveau der rechtlichen Integration in der Gemeinschaft sicherzustellen, um einen wirklichen Raum ohne Binnengrenzen für die Dienste der Informationsgesellschaft zu verwirklichen.“ Zudem rekurriert Erwägungsgrund 42 für die Haftungsprivilegierungen der Diensteanbieter auf deren Tätigkeit, die „rein technischer, automatischer und passiver Art“ sei. Nach Erwägungsgrund 40 dienen die Art. 12 bis 14 ECRL zudem der Beseitigung von „bestehende[n] und sich entwickelnde[n] Unterschiede[n] in den Rechtsvorschriften und der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Verantwortlichkeit von Diensteanbietern, die als Vermittler handeln,“ und „das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes [behindern], indem sie insbesondere die Entwicklung grenzüberschreitender Dienste erschweren und Wettbewerbsverzerrungen verursachen.“ Der europäische Richtliniengeber verfolgt mit den Haftungsprivilegierungen demnach ebenfalls Wettbewerbs- und Wirtschaftsinteressen.

      Eine (analoge) Anwendbarkeit der strafrechtlichen Irrtumsregelungen in Bezug auf einen Irrtum über das Vorliegen der Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen des TMG wäre deshalb auch bei einer Übertragung der differenzierenden Ansicht zu den Irrtümern bei persönlichen Strafausschließungsgründen nicht gegeben. Eine Entscheidung über die Übertragung dieser Irrtumsdogmatik und innerhalb der dort bestehenden Meinungsunterschiede ist somit entbehrlich.

       c. Beschränkter Irrtum aufgrund subjektiver Elemente der Haftungsprivilegierungen

      Die Berücksichtigung von Irrtümern ist mit Blick auf die subjektiven Elemente im Rahmen der Haftungsprivilegierungen, z.B. der Kenntnis der rechtswidrigen Handlung und der Information bei § 10 Satz 1 TMG, dennoch möglich, da diese Elemente ausdrücklich das Vorstellungsbild des Diensteanbieters betreffen. Erforderlich für das Entfallen der Haftungsprivilegierung des § 10 Satz 1 TMG ist demnach, dass der Diensteanbieter die rechtswidrige Handlung oder die Information dergestalt in sein Bewusstsein aufgenommen hat, dass er positive Kenntnis von ihr hat. Hat er diese Kenntnis nicht, besteht die Haftungsprivilegierung fort. Für das Bestehen der Haftungsprivilegierung nach § 10 Satz 1 TMG kommt es deshalb maßgeblich auf das subjektive Vorstellungsbild des Diensteanbieters an. Über ein solches kann er sich aber gerade irren. Dies gilt vor allem, wenn er – wie nach hier vertretener Auffassung (siehe unten J. I. 4. b.) – neben der Handlung auch deren Rechtswidrigkeit kennen muss. Eine Kenntnis bestimmter Umstände fordert auch § 9 Satz 1 Nr. 5 TMG. § 8 Abs. 1 Satz 3 TMG setzt hingegen die Absicht der Zusammenarbeit mit dem Nutzer für ein Entfallen der Haftungsprivilegierung voraus.

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