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Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter sozialer Netzwerke im Internet. Timo Handel
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isbn 9783800593750
Автор произведения Timo Handel
Серия Kommunikation & Recht
Издательство Bookwire
Da es sich dieser Auffassung zufolge bei den Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen um Tatbestandsmerkmale handelt, müsste sich der Vorsatz (§ 15 StGB, § 10 OWiG) des Diensteanbieters auf das Nichtvorliegen der Haftungsprivilegierung bzw. der entsprechenden objektiven Voraussetzungen beziehen. Aus diesem Grund wären zudem die Irrtümer nach §§ 16, 17 StGB und § 11 OWiG anwendbar. Auch wäre bei Bejahung einer Haftungsprivilegierung des Diensteanbieters auf den ersten Blick eine Teilnahme an der Tat des Diensteanbieters ausgeschlossen. Die Haftungsprivilegierung würde nämlich zur Verneinung des Tatbestands und damit zum Nichtvorliegen einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat führen. Allerdings regeln die Haftungsprivilegierungen in Anknüpfung an die Diensteanbietereigenschaft des Betroffenen, dass eine Verantwortlichkeit unter bestimmten Voraussetzungen nicht gegeben ist. Die Haftungsprivilegierungen knüpfen damit an die Beziehung bzw. das Verhältnis des Diensteanbieters zu dem von diesem angebotenen Telemedium an, das für die Tat benutzt wurde, sodass es sich bei dieser und den daran anknüpfenden persönlichen Umständen, wie z.B. die Kenntnis des Diensteanbieters von der rechtswidrigen Handlung oder der Information (§ 10 Satz 1 TMG), um besondere persönliche Merkmale handelt.410 Da dieses Merkmal dazu führt, dass die Verantwortlichkeit und damit die Strafbarkeit des Diensteanbieters und dessen bußgeldrechtliche Ahndung entfällt, gilt es gem. § 28 Abs. 2 Var. 3 StGB und § 14 Abs. 3 Satz 2 OWiG nur für den Teilnehmer, bei dem es vorliegt. Diese Durchbrechung der limitierten Akzessorietät der Teilnahme (§§ 26, 27 Abs. 1 StGB, § 14 Abs. 2 OWiG) führt dazu, dass eine Teilnahme auch dann noch möglich ist, wenn die Haftungsprivilegierungen zwar dem Tatbestand zugeordnet werden, der Teilnehmer aber deren Voraussetzungen nicht selbst erfüllt.
Zudem käme eine mittelbare Täterschaft in Betracht, wenn der mittelbare Täter die Haftungsprivilegierung des Diensteanbieters gezielt ausnutzt, da mit der Privilegierung ein „Defekt“ des Diensteanbieters als Vordermann gegeben wäre.
II. Die einstufigen Modelle
Im Gegensatz zu den zweistufigen Modellen findet mit den einstufigen Modellen eine Integration der Haftungsprivilegierungen in den herkömmlichen Prüfungsaufbau der jeweiligen Haftungsnorm statt.411
1. Tatbestandsmodifizierung
Nach Sieber/Höfinger mache es letztlich keinen Unterschied, ob die Haftungsprivilegierungen als tatbestandsintegrierter Filter412 oder als gesonderte Tatbestandsmerkmale geprüft werden oder aber in die Tatbestandsmerkmale der Haftungsnorm hineingelesen werden.413 Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass in diesen Fällen die Haftungsprivilegierungen zum Tatbestand zählen und damit für den Vorsatz (§ 15 StGB, § 10 OWiG), die Irrtümer (§§ 16, 17 StGB, § 11 OWiG) und die Teilnahme sowie mittelbare Täterschaft dasselbe gilt, wie bereits in Bezug auf die Qualifizierung als tatbestandsintegrierter Filter ausgeführt (siehe I. 3.).
Bei der zum Teil vertretenen Integration der Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen in die Tatbestandsvoraussetzungen der allgemeinen Haftungsnorm modifizieren bzw. ergänzen die Haftungsprivilegierungen die Tatbestandsmerkmale der allgemeinen Haftungsnormen bzw. beeinflussen diese.414 Es findet eine Auslegung der Tatbestandsmerkmale der allgemeinen Haftungsnorm unter Berücksichtigung der anwendbaren Haftungsprivilegierung statt.415
Hinsichtlich der Frage, in welches Tatbestandsmerkmal die Haftungsprivilegierung integriert werden kann, werden verschiedene Ansätze vertreten: Ein Hineinlesen der Voraussetzungen könnte durch die Prüfung der §§ 8ff. TMG im Rahmen der „Zurechnung einer Gefahrenquelle“ erfolgen, womit eine Begrenzung der Erfolgszurechnung bzw. des Zurechnungszusammenhangs erreicht würde.416 Im strafrechtlichen Prüfungsaufbau könnte dies insbesondere mit einer Prüfung im Rahmen der objektiven Zurechnung geschehen.417 Orientiert am klassischen Deliktsaufbau würde es sich in diesem Fall um einen tatbestandsintegrierten Nachfilter handeln. Sobola/Kohl halten diesem Ansatz zugute, dass mit der „Einordnung als Regelung des Zurechnungszusammenhangs“ eine Einordnung in ein Tatbestandsmerkmal erfolgt, das „allen Haftungsgrundlagen des Zivil-, Straf- und öffentlichen Rechts gemeinsam ist“.418 Zudem habe diese Einordnung nach Auffassung von Haft/Eisele den Vorteil, dass die Merkmale der Privilegierung je nach Rechtsgebiet unterschiedlich, also rechtsgebietsspezifisch ausgelegt werden könnten und damit „den jeweiligen Besonderheiten der einzelnen Rechtsgebiete hinreichend Rechnung getragen werden“ könne.419 Für Unterlassungsdelikte vertritt Satzger die Auffassung, dass das Vorliegen der §§ 8ff. TMG zu einer Verneinung der für eine Strafbarkeit des Unterlassens erforderlichen Garantenstellung führe.420
Bei einer Tatbestandsmodifizierung oder Integrierung in einzelne Tatbestandsmerkmale würde es sich bei den Merkmalen der Haftungsprivilegierungen um Tatbestandsbeschränkungen handeln, da sie die betroffenen Tatbestandsmerkmale in ihrer Reichweite einschränken.
2. Vorsatzlösung
Ebenfalls eine Tatbestandsmodifizierung betrifft die sog. Vorsatzlösung. Nach dieser wird die Verantwortlichkeit i.S.d. TMG „als Einstehenmüssen für eigenes vorsätzliches Verhalten“ verstanden, was sich daraus ergebe, dass der Diensteanbieter nicht verantwortlich ist, wenn er keine Kenntnis von der Information hat.421 Jedenfalls im Hinblick auf § 10 Satz 1 TMG erscheint bei Annahme einer Tatbestandsmodifizierung die Modifizierung des subjektiven Tatbestands überzeugend.422 Das Tatbestandsmerkmal der „Kenntnis“ in § 10 Satz 1 TMG führt dazu, dass ein bedingter Vorsatz im Rahmen des subjektiven Tatbestands nicht ausreichend ist. Vielmehr muss der Hostprovider nach dieser Auffassung mindestens direkten Vorsatz (dolus directus 2. Grades) besitzen.423
Im Falle der Vorsatzlösung müsste sich der Vorsatz (§ 15 StGB, § 10 OWiG) des Diensteanbieters zwar nicht auf die Anforderungen der Haftungsprivilegierung beziehen, die an den Vorsatz zu stellenden Anforderungen würden aber direkt durch die Haftungsprivilegierung modifiziert. Die Irrtümer nach §§ 16, 17 StGB und § 11 OWiG wären jedenfalls nicht direkt anwendbar, da die Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen im Rahmen des Vorsatzes zu prüfen wären und darüber entscheiden, ob eine Vorsatzmodifizierung erfolgt oder nicht. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sich der Vorsatz auf die Voraussetzungen bezieht, sondern diese müssen rein objektiv vorliegen. Die Bejahung einer Privilegierung im Rahmen einer Vorsatzmodifikation würde zudem dazu führen, dass auf den ersten Blick eine Teilnahme an der Tat des Diensteanbieters nicht möglich wäre, da der Vorsatz verneint und damit keine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat vorliegen würde. Aber auch hier beruht die Modifikation des Vorsatzes auf der Diensteanbietereigenschaft und damit auf einem besonderen persönlichen Merkmal. Insoweit findet auch hier die Regelung des § 28 Abs. 2 Var. 3 StGB und § 14 Abs. 3 Satz 2 OWiG Anwendung, sodass eine Teilnahme unter deren Voraussetzungen trotz einer Privilegierung des Diensteanbieters weiterhin möglich ist. Die Annahme eines „Defekts“ für eine mittelbare Täterschaft wäre grundsätzlich möglich, wenn der Diensteanbieter aufgrund der Haftungsprivilegierung nicht den für eine Tatbestandsverwirklichung erforderlichen Vorsatz aufweist und der mittelbare Täter dies gezielt ausnutzt.424
3. Rechtfertigungsgrund
Nach anderer Auffassung sollen die Haftungsprivilegierungen Rechtfertigungsgründe darstellen.425 Danach würde der Diensteanbieter grundsätzlich den strafrechtlichen Tatbestand erfüllen, die Tat wäre jedoch gerechtfertigt.