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Zunge besser etwas zügeln. Zu seinen siebzig Opfern kommt schnell die ein oder andere Person hinzu. Er ist mit dem Blutvergießen wirklich nicht zimperlich!«, verkündete Fiona. Für sie war es gar nicht mehr verstörend, dass der Vater ihres Freundes ein Massenmörder war. Sie fing Claudius gespielt empörten Blick auf und korrigierte kichernd: »Pardon! Höchstens sechzig Opfer! Du bist schließlich kein Monster, Claudius!« Ihr Lachen wurde lauter und schallte durch die Halle.

      Das Interesse der übrigen Anwesenden an diesem Gespräch wuchs. Immer mehr Blicke wanderten zu der Gruppe um Aurora, die so angeregt debattierte. Noch war es jedoch zu laut, dass die Diskussion belauscht werden konnte. Aber auch die Blicke von Sigmar Bernauer fielen auf dieses Grüppchen und ihm gefiel offensichtlich nicht, was er da sah. Er humpelte auf sie zu. Er blieb vor seinem Sohn stehen und flüsterte: »Patrick! Ich habe es also doch richtig gesehen. Was machst du hier?«

      Fiona wusste nicht, ob sie Trauer, Entsetzen oder Abscheu hörte. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus allen dreien.

      »Ich möchte natürlich den Geburtstag meiner lieben Cousine Paige feiern. Was denkst du denn? Glaubst du etwa, ich hätte die liebe kleine Fiona, die so niedlich Händchen mit Claudius Sohn hält, rekrutiert?«, höhnte Patrick. Er fühlte nicht das Geringste für seinen Vater. Bei Sigmar handelte es sich lediglich um seinen Erzeuger.

      Hinter Sigmar tauchten Naomi und Dieter auf. Naomi stand der Schock ins Gesicht geschrieben, als sie ihren Bruder nach all den Jahren wiedersah. Sie klammerte sich an Dieter, der Fiona nur voller Fassungslosigkeit betrachtete und flüsterte: »Ich habe dir doch damals gesagt, dass du besser bist als diese Leute.«

      »Sie müssten Fiona doch gut genug kennen, um zu wissen, dass sie nicht viel Wert auf fremde Meinungen legt«, meinte Valerian und verzog das Gesicht.

      Plötzlich gaben Naomis Beine einfach nach und sie blieb von Tränen geschüttelt am Boden sitzen. Nun schien die Sache wirklich aus dem Ruder zu laufen. Immer mehr Gäste beobachteten das Geschehen. Auch Faith war auf ihre Mutter aufmerksam geworden, denn sie zog Ben hinter sich durch das Getümmel, um zu ihrer Familie zu kommen. Als sie vor ihrer Mutter stand und sie fragte, was los sei, deutete diese auf Patrick und keuchte: »Das ist mein Bruder!«

      »Du hast einen Bruder, Mama?«, hakte Faith entgeistert nach und betrachtete ihren Onkel voller Verwirrung.

      »Und er ist ein Schwarzmagier«, stellte Paige voller Abscheu klar.

      Fiona hörte die Arroganz in ihrer Stimme. Wie konnte Paige sich immer noch für etwas Besseres halten?

      Thomas, der sich von dem Schreck erholt hatte, trat zu Zoe. Er schien ebenfalls wissen zu wollen, was hier vor sich ging. Langsam wurden es Fiona zu viele Leute, die sich zu eng um sie tummelten. Sie war gern bereit, alle Fragen zu beantworten, aber hier ging alles durcheinander. Patrick stahl ihr momentan die Show.

      »War das damals auch schon so schlimm, als du Claudius mitgebracht hast?«, fragte sie Patrick genervt.

      »Nein, von mir haben sie wahrscheinlich nicht mehr erwartet. Ich bin schließlich kein Erbe. Außerdem musste ich Claudius nicht mitbringen. Aurora hat mich rausgeschmissen, als sie ein schwarzmagisches Buch bei mir gefunden hat«, berichtete Patrick gleichgültig.

      »Schwarze Magie?«, fragte Thomas verständnislos.

      Fiona brachte ihn mit einem Fingerwink zum Schweigen. »Daran sieht man wieder, welchen Einfluss Ordnung doch hat. Meine Bücher lagen immer unter meinem Bett, wo unsere hochnäsige Großmutter nie nachschauen würde.« Sie warf ihrer ehemals besten Freundin Zoe einen scharfen Blick zu. »Wäre ich nicht so überaus auf Ordnung bedacht, hätten sie mich bestimmt nach diesem kleinen Unfall erwischt und auch rausgeworfen, aber zum Glück habe ich mein Chaos vollständig aufgeräumt.«

      Zoe entfuhr ein ersticktes Kreischen und sie sah Fiona flehend an.

      Fiona verzog das Gesicht. Wie gern würde sie die kleine heile Welt ihrer Cousine einstürzen lassen, aber sie fürchtete, dass es auch Konsequenzen für sie hervorrufen würde, die nicht einmal Claudius abwenden konnte. Also entschied sie sich dagegen, die Beziehung zwischen Thomas und Zoe zu ruinieren, obwohl die Versuchung groß war zu erzählen, dass Zoe für den Tod von Thomas' Bruder verantwortlich war. »Keine Angst, du hast damals nicht gepetzt, als du die schwarzmagischen Bücher bei mir entdeckt hast. Ich werde jetzt nicht petzen«, beruhigte sie ihre Cousine.

      »Was ist nur aus dir geworden, Fiona?«, fragte Zoe.

      Sie erschien Fiona so lächerlich verzweifelt. Wieso interessierte Zoe sich nun für sie? Die ganzen letzten Wochen hatte nur Thomas gezählt.

      »Eine starke, unabhängige Frau, die zu ihren Interessen und Überzeugungen steht«, antwortete Claudius an Fionas Stelle, den die Emotionalität der Familie Bernauer sehr zu nerven schien.

      Fiona strahlte ihre Cousine triumphierend an und entgegnete: »Richtig, ich bin, was er gesagt hat!« Sie wusste auch nicht wieso, aber Claudius Komplimente waren das geworden, was die Anerkennung ihrer Großmutter einmal gewesen war.

      Aurora hatte die ganze Zeit geschwiegen und sie nur beobachtet. Sie hatte wohl versucht herauszufinden, wer oder vielmehr was ihre Enkelin geworden war. Nun hatte sie genug gesehen, denn sie fand ihre Sprache wieder.

      »Raus aus meinem Haus!«, befahl sie mit ruhiger, emotionsloser Stimme und wies mit den Fingern auf die Tür.

      Noch vor einem Jahr hätte Fiona das in Tränen ausbrechen lassen, doch sie hatte sich verändert. Sie hatte keine Angst mehr vor ihrer Großmutter und es lag ihr auch nichts mehr an ihr. »Kein Problem, Oma! Die Koffer stehen bereits im Flur!«, erwiderte Fiona und kicherte. Jedoch war sie noch nicht ganz bereit zu gehen. Sie wollte noch eine Sache tun. »Aber Aurora, auch wenn ich deine Unterrichtsmethoden und den eintönigen Stoff verabscheue, hast du mir etwas beigebracht. Man sollte immer seine Würde behalten. Ich lasse mich nicht wie einen Hund vor die Tür setzen. Ich verlasse diese Hölle erhobenen Hauptes und jeder soll sehen, wieso ich gehe.« Mit jedem Wort, das sie sprach, wurde ihre Stimme lauter. Sie dröhnte durch die Halle und immer mehr Leute hörten zu. Matthias hatte inzwischen sogar die Musik abgestellt. Er schien zu sehen, dass da irgendetwas ganz gewaltig schieflief.

      Fiona genoss die Aufmerksamkeit. Sie stand in der Mitte des Raumes. Jeder sah sie. Sie erhob die Arme und beschwor riesige Flammen, die sie auf ihren Händen und Armen tanzen ließ. Sofort wurde es im Raum totenstill. Die letzten Gespräche waren verstummt und alle Blicke lagen auf ihr. Man hörte nur das Knistern der Flammen.

      Sie sah den Schock auf den Gesichtern der anderen. Ihre Familie konnte offenbar nicht fassen, dass sie ihre Identität verriet. Und die anderen Gäste zweifelten anscheinend an ihrer Zurechnungsfähigkeit, denn Geschrei wurde laut.

      »Zauberhaft, nicht wahr?«, spottete Fiona unbeeindruckt und fuhr fort: »Ihr kleinen, erbärmlichen Menschlein schaut sicher ganz verwundert auf die Getränke in eurer Hand. Keine Angst. Das lässt sich auf keine Drogen zurückführen. Das alles ist echt. In diesem Haus herrscht Magie. Wir sind Hexen. Wir sind die Nachkommen der Agnes Bernauer, die wegen solchen widerlichen Kreaturen wie euch Menschen auf dem Scheiterhaufen starb! Nun hat sich das Blatt gewendet! Jetzt halte ich das Feuer in der Hand, mit dem ich innerhalb von Sekunden eure traurigen Leben beenden könnte.«

      »Fiona, du sprichst tatsächlich wie eine Schwarzmagierin«, kreischte ihre Mutter schockiert. Tränen liefen über ihre Wangen.

      Fiona brach in Gelächter aus und schrie dann: »Das liegt vielleicht daran, dass ich eine bin. Es tut mir leid, Mommy. Du hast in deiner Erziehung wohl versagt!«

      »Ich hätte niemals gedacht, dass es Hexen gibt«, piepste Ben mit ungewöhnlich hoher, ängstlicher Stimme.

      Die Erkenntnis brauchte noch eine weitere Sekunde, dann flog sein Kopf nach links, wo seine Freundin stand.

      »Bist du auch eine?«

      Faith nickte. »Aber nicht so ein Psycho wie Fiona!«, stellte sie klar.

      Auch Thomas sah zu seiner Freundin, die nur nickte. Im Gegensatz zu Ben machte er keinen Schritt nach hinten, sondern hielt weiter ihre Hand. Wenn er nur wüsste, was sie alles

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