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eigenen außenpolitischen Prioritäten und sicherheitsstrategischen Grundsätze endlich klar und deutlich herausarbeiten, heißt es. Aber ja nicht als rein nationale Prioritäten oder als nur national ausgerichtete Sicherheitsstrategie, hört man von anderer Seite.

      Deutschland als zentrale Macht in der Mitte Europas sei inzwischen nolens volens zur »Vormacht wider Willen« (Bierling 2014) in Europa und teils sogar darüber hinaus geworden. Ein forscher Zwischenruf aus der Schweiz (Gujer 2007) behauptet tout court, Deutschland sei längst eine Großmacht. Stefan Fröhlich (2019) konstatiert sogar »das Ende der Selbstfesselung« Deutschlands. Es müsse beherzt Führungsaufgaben in der Europäische Union übernehmen, fordert Herfried Münkler (2015). Aber möglichst so, dass es niemand merkt. Nötig sei eine Art »wohlwollende Hegemonie« Deutschlands (Mangasarian/ Techau 2017), vor der keiner der Nachbarstaaten Angst zu haben brauche. Aber was genau sind die Merkmale einer »wohlwollenden Hegemonie« und was unterscheidet sie von simpler Vorherrschaft? Was den einen als wohlwollend erscheinen mag, nehmen andere eben doch als Druck und Fremdbestimmung wahr. Es will alles nicht recht zusammenpassen.

      Das berühmt-berüchtigte Deutschland-Hologramm: zu groß und vor allem ökonomisch zu stark, um als harmloser Mitspieler auf der europäischen Politik-Bühne gelten zu können, erscheint das Land hinwiederum nicht groß genug und – vor allem sicherheitspolitisch – viel zu schwach, um für die eigene, gar nicht zu reden von der europäischen Sicherheit, sorgen zu können. Dieses Bild, vor 1990 häufig in der Formel ausgedrückt »ökonomischer Riese, politischer Zwerg«, bildete zwar nie die ganze politische Realität ab, passte jedoch aus verschiedenen Gründen ganz gut zu der eigentümlichen Konstellation des Ost-West-Konflikts. 1990 war es damit jedoch vorbei.

      Warum ist bei vielen Beobachtern der Eindruck entstanden, dass die deutsche Sicherheitspolitik kein Bein auf den Boden kriegt, sondern ihr Selbstverständnis, ihre großen Versprechungen und die von den verbündeten Mitspielern auf der politischen Bühne an Deutschland gerichteten Erwartungen immer wieder desavouiert? Wieso herrscht im außen- und sicherheitspolitischen Diskurs der meinungsbildenden Kreise (das Wort Eliten vermeiden wir besser) über der Rolle und Funktion von Militär und Streitkräften für die Außen- und Sicherheitspolitik so große Unklarheit? Am liebsten würden viele beides gar nicht thematisieren und deutsche Politik zu einer rein zivilen Angelegenheit erklären. Aus Angst vor einer Wiederkehr von Militarismus und aggressiven Eroberungsgelüsten? Aber ist diese Angst nicht schon längst zu einer Pose demonstrierter Gutwilligkeit geworden, die Selbstschwächung in Kauf nimmt, wenn man nur schwierigen, kostspieligen und moralisch ungemütlichen Entscheidungen enthoben ist?

      Die schmerzhaften Struktur- und Grundorientierungsprobleme der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik haben historische Wurzeln und lassen sich nicht einfach abstellen. Der Konflikt zwischen den Anhängern einer transatlantischen Ausrichtung Deutschlands als außenpolitisches Primärziel (»Atlantiker«) und denjenigen, die Deutschland vor allem als europäische Macht definieren (»Gaullisten«), geht bis in die Adenauer-Zeit zurück. Noch älter ist der Konflikt zwischen den »Russlandverstehern« und den Russlandskeptikern. Er wurde eigentlich nur von Bismarck neutralisiert, verschärfte sich aber nach dessen Abgang und spielte in der Weimarer Republik eine nicht unwichtige Rolle. Ein Strukturproblem anderer Art ist die »Last der Vergangenheit«, nämlich die der zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur mit all ihren Verbrechen. Im Bewusstsein dieser Last wurde die deutsche Nachkriegspolitik menschenfreundlicher und besonnener. Das ist positiv. Jedoch zeitigte sie auch eine Reihe von Zwiespältigkeiten, darunter eine über die Jahre bis zur Bigotterie aufgewachsene Moralisierung der Politik.

       Schiefes Fundament

      Die Bundeswehr wurde von Anfang an als Instrument der Politik eingerichtet und unter fest institutionalisierte zivile, demokratische Kontrolle gestellt. Mit diesem klassischen demokratie-kompatiblen und nach wie vor gültigen Konzept von den Streitkräften als Mittel der Politik haben aber ein politisches System und eine von grundsätzlich gewaltfreier Politik schwärmende demokratische Öffentlichkeit ihre Schwierigkeiten. Ein anti-militärischer Grundton der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist unübersehbar, ausgedrückt etwa in dem immer wiederholten, indes kaum reflektierten Slogan »Krieg ist keine Lösung«. Das ist ja nicht völlig falsch. Aber wenn er zur unbedingten Handlungsmaxime eines Staates wird, gefährdet er nicht nur dessen eigene Stabilität. Vor allem in einer Welt, in der viele staatliche und nicht staatliche Akteure Gewalt und bestimmte Formen der Kriegsführung ganz unverblümt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen einsetzen.

      Die Ursachen und Gründe für die gegenwärtige Misere der Bundeswehr liegt in den Anpassungsschwierigkeiten des politischen Systems und der politischen Kultur dieses Landes an die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts tiefgehend veränderte Ordnung der internationalen Politik. Hinzu kommen allerdings auch organisationsinterne Pannen und Fehlentwicklungen. Selbstverständlich geht es hier nicht um einen Totalverriss oder eine polemische Generalabrechnung, was ja heute zum üblich gewordenen Ton der Berichterstattung über die Bundeswehr zu gehören scheint. Es ist nicht (oder nur selten) die völlige Blindheit und Blödheit der Entscheidungsträger und ausführenden Organe in der deutschen Sicherheitspolitik und der Bundeswehr, die für die viel beklagten und in der Tat beklagenswerten Defizite verantwortlich sind. Vielmehr ist es das schiefe konzeptionelle Fundament, das eine kluge, selbstbewusste und angemessen zukunftsorientierte Außen- und Sicherheitspolitik entscheidend behindert.

       Ruhebedürfnis und gelegentliche Panik

      Um diese Einsicht nachvollziehbar zu machen, werde ich mich nicht nur auf die aktuellen Probleme der deutschen Sicherheitspolitik und der Bundeswehr konzentrieren, sondern weiter ausholen. Deshalb ist diese Studie nach dem Kaskadenmodell aufgebaut.

      In ihrem ersten Teil stehen die Veränderungen der politischen Weltlage und die Schwierigkeiten im Vordergrund, ihnen mit angemessenen Konzepten und Strategien für internationale Sicherheit zu begegnen. Der unübersichtlich gewordenen Lage und Entwicklung der Weltpolitik kommt man nämlich mit überalterten Vorstellungen über Frieden und Sicherheit nicht bei. Wenn Staaten und ihre Regierungen über keine wirklich langfristigen Konzepte und Orientierungsrahmen für ihre Außen- und Sicherheitspolitik verfügen, kann das, optimistisch interpretiert, ihre Flexibilität erhöhen. Andererseits reduziert sich dadurch ihre Verlässlichkeit. Beides zu optimieren, ist nicht ganz einfach, vor allem bei internationalen Krisen und Konflikten.

      Deutschland befindet sich mit seinen Schwierigkeiten in der Sicherheitspolitik keineswegs völlig allein auf weiter Flur. Das ist nach einem Blick auf andere Staaten auf der weltpolitischen Bühne wichtig festzuhalten, wenn es auch kein Trost ist. Denn die Schwierigkeiten und Probleme Deutschlands haben ein besonders scharfes Profil, weil sich hier vieles mehr und grundlegender als anderswo zu ändern hätte. Die vergleichsweise recht komfortable wirtschaftliche und politische Situation des Landes hat aber gerade nicht dazu geführt, dass sich der sicherheitspolitische Diskurs durch ein bemerkenswertes Maß an zukunftsbezogener politischer Einbildungs- und Urteilskraft auszeichnet. Stattdessen ist er träge, repetitiv, zuweilen rechthaberisch und Ausdruck einer kollektiven Ruhebedürftigkeit, gelegentlich nur unterbrochen durch kurze Phasen kollektiver Panik. Alles in allem angesichts der gegenwärtigen und vor uns liegenden Aufgaben völlig unangemessen.

      Im zweiten Teil geht es um die Organisationsrahmen deutscher und europäischer Sicherheit, nämlich die NATO, die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union und nationale Sicherheitsvorkehrungen. Zwei komplementäre Fragen drücken hier zunächst aufs politische Gemüt: Inwieweit sind die Maßnahmen und Handlungen der von den USA dominierten NATO mit den europäischen Eigenanstrengungen für die Sicherheit Europas vereinbar? Wie ergänzen und wo widersprechen sich amerikanische und europäische Vorstellungen zur Stabilisierung der internationalen Sicherheit? Der Themenkomplex Europäische Sicherheit erweist sich zudem auch deshalb als unübersichtlich, weil die (Führungs-)Rolle Deutschlands in der Europäischen Union einerseits notwendig, andererseits aber umstritten ist, nicht zuletzt in Deutschland selbst.

      Der

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