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er der einzige männliche Träger in der nächsten Generation.

      Theo weiß nicht, ob er sich neben Hansi oder neben Richard stellen soll. Hansi hat ihn ziemlich abblitzen lassen. Der hängt immer den Älteren raus, der schon weiß, was er werden will. Ingenieur! Das klingt wie Hexenmeister, wenn Hansi es ausspricht. Und einmal hat er sogar gesagt: Flugzeugingenieur. Theo vermutet, dass Hansi sich den Richard zum Vorbild nimmt, der war doch Testflieger gewesen im Krieg. Und ausgebildeter Funker. Theo erinnert sich daran, wie Richard im Kreis der Tanten und Onkels einmal diese Geschichte erzählte aus seiner Grundausbildung: Er hatte den Auftrag, ein Funkgerät so geschickt zu positionieren, dass kein Feindeinblick möglich gewesen wäre. So ging er hin und her, brauchte stundenlang, fand schließlich eine Art Höhle unter einer riesigen Baumwurzel, dort baute er das Gerät auf. Als er nach Stunden immer noch auf einen Funkspruch wartete, den er hätte erwidern können, dämmerte ihm, dass er sich wohl in ein Funkloch begeben hatte und von dort aus überhaupt kein Kontakt möglich war. Da lachten alle, lachten glücklich über diese lustige Geschichte, klopften Richard auf die Schulter, schüttelten

      den Kopf, staunten und er, der kleine Theo, staunte auch, dass Richard nicht darauf bestand, der zu sein, für den sie ihn alle hielten: ein Held.

      „Stimmt das alles Richard?“, fragte er ihn schließlich.

      „Oder ist es nur eine Geschichte?“

      „Es ist eine Geschichte und es stimmt. Im Wesentlichen jedenfalls. Ein bisschen muss man immer an der Wahrheit drehen, wenn man sie in eine gute Geschichte verwandeln will.“

      Theo geht hinüber, stellt sich neben Richard und schnüffelt nach dem Duft seiner Reval.

      „Stimmt das, Richard, dass der Onkel Bertel den Sepp Herberger persönlich kennt?“

      „Das stimmt. Aber darauf kann man sich nichts einbilden, weißt du, Kleiner. Der Herberger, der war ein verdammter Nazi, und heut’ will das keiner mehr wissen. Das ist die Wahrheit.“

      Richard hatte seine eigene kleine Familie, seine Frau Isa und die vierjährige Tochter Beate bei seiner Tante Johanna und dem Omale Sömmer abgegeben, bevor er zu den Männern gestoßen war, um teilzunehmen an diesem Sportereignis.

      Unterwegs war er seiner Tante Sofie begegnet, die sich zu den Frauen gesellen wollte, nachdem sie die Männer mit allem versorgt hatte, was sie brauchen würden: Zigaretten, Bier und Schinkenbrote.

      „Bitte sorge dafür, dass Tante Johanna nichts Dummes sagt. Du kennst doch die wunden Punkte meiner Frau und weißt, wie leicht man sie verletzen kann.“

      „Du kannst dich auf mich verlassen.“

      Die besonderen Kinder:

      Der Älteste und das Nesthäkchen

      Sofie verstand sich gut mit Richards Frau. Seit der Hochzeit der beiden schon waren sie einander zugetan. Hatten einander immer etwas zu erzählen. Aber in Wirklichkeit hatte sich Sofie in Isas Herz geschlichen, weil sie sich mit ihr verbündete gegen ihre eigene Schwester Helene, Isas Schwiegermutter. Prangerte Helenes Hochmut an, bezeichnete das, was man im Allgemeinen Helenes Stolz nannte, als großes Unrecht, das als Bürde zentnerschwer auf dem armen Richard lastete. Ständig diese Erwartungen, dass er etwas Besonderes sei, ein guter Schüler, ein begabter Musiker, ein treuer Nationalsozialist, ein tapferer Soldat, ja, Helene hatte ihn in die Rolle des Ritters Richard Löwenherz drängen wollen, das musste doch einmal ausgesprochen werden! Sofie hielt nichts davon, immer alles unter den Teppich zu kehren, was nicht in Ordnung war.

      Hinter Helenes wahnwitzigem Ehrgeiz stand, das wusste jeder in der Familie, dass sie die Vorstellung hegte, Richard, ihr Sohn, müsste das großartige Leben führen, das eigentlich auf das Richardle gewartet hätte, das liebe, temperamentvolle Richardle mit der schönen Singstimme, den flinken Fingern, den schnellen Beinen und dem hellen Kopf. Immer wieder beschwor Helene ihr totes Brüderchen herauf, so, als ob sie die Einzige gewesen wäre, die seiner nach wie vor voll inbrünstiger Treue gedachte. Sofie hatte diesen Bruder nie kennengelernt, er starb ein Jahr vor ihrer Geburt. Deshalb schmerzte sie diese Lücke im Familiengeflecht nicht. Aber Sofie wusste von Johanna, dass sie sich auch oft an das Brüderchen erinnerte, dass sie es mindestens ebenso geliebt hatte wie Helene, stiller eben, sie war auch in ihrer Trauer gefasster als Helene und versteckte ihren Unmut darüber, dass man sie oft falsch einschätzte, hinter ihrem melancholischen hellblauen Blick und den fest aufeinandergepressten Lippen.

      Sofie hatte ein besonderes Verhältnis zu all ihren Geschwistern. Sie wuchs auf wie die Made im Speck, das sagten die Lenetante und die Sofietante immer wieder und sogar Bertel übernahm eines Tages genüsslich diese Formulierung.

      „Keiner hat dich jemals ausgeschimpft, keiner war jemals böse mit dir, nicht einen einzigen Augenblick lang. So ein verwöhntes Nesthäkchen. Dabei bist du deinen Geschwistern ab und zu ganz schön auf die Nerven gegangen.“

      Das lachte Sofie weg. Ja, sie wusste es, sie konnte jedem von ihnen alles sagen, ohne jemals negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Aber fragen konnte auch sie längst nicht alles.

      Manch einer mochte Bertel gerne fragen, was er denn eigentlich dort im Schwäbischen arbeitete, wo er jetzt schon so lange wohnte. Warum brachte er seine Frau so selten mit, wenn er kam? Und wer war dieser merkwürdig ernste Junge wirklich, der zu Li „Mutter“ sagte und von Bertel als „dem Vater“ sprach? Jeder in der Familie wusste doch, dass Bertel und Li keine Kinder hatten. Keine „eigenen“ Kinder jedenfalls. Woher stammte dieser Kurt also? War er ihnen einfach so zugelaufen wie ein Hund oder eine Katze oder gab es eine Geschichte zu dieser merkwürdigen Elternschaft?

      Hier wusste allein Sofie mehr als die anderen und hatte einmal, das war doch an Inges Hochzeit? flüsternd einen Hinweis gegeben, an Isa, weil ihr das richtig schien.

      Inzwischen war Kurt in Schottland und studierte dort Theologie, wollte also Pfarrer werden. Und Bertel und Li bereiteten ihren endgültigen Umzug nach Mannheim vor.

      In Bertels Leben gab es zwei unbezweifelbare Konstanten: seine geliebte Frau Li und den Fußball. An diesem Tag stand eindeutig der Fußball im Zentrum seines Interesses.

      „Bist du eigentlich für Waldhof oder für den VfR, Onkel Bertel?“, fragte der 15-jährige Theo aufgeregt.

      Bertel war immer für Waldhof gewesen. Dort hatte sein Interesse, seine Leidenschaft für den Fußball begonnen. Dort hatte er gekickt als junger Bursche, dorthin hatte ihn der Sepp gelockt, nachdem sie sich immer wieder am Bonadiehafen getroffen hatten und Freunde geworden waren. Bertel verbrachte die ersten Jahre seines Lebens noch in der Löwitstraße. Paul und Wilhelmine wohnten im kleinen Haus des Rheinschiffers und Lotsen Walker und seiner Frau, das waren Wilhelmines Eltern. Erst im Krieg zog die inzwischen größer gewordene Familie um in die Boeckstraße. Zu diesem Zeitpunkt war Bertel schon in Afrika. Dass ihn der Liebhaber der Koloratursopranistin Emilie Lautenschläger, der Herr von Klingenberg, dorthin mitgenommen hatte, wusste man, sprach aber nicht davon. Dass er dort nicht das hatte leisten können, wofür er vorgesehen war, drang immer mal wieder durch, geflüstert als Andeutung. Aber was? Was hätte er denn dort tun sollen? Soldat sein! Aber es gab keine Bilder von ihm, auf denen er eine Uniform trug. Nach seiner Lehre zum Feinmechaniker in der kleinen Maschinenfabrik der Familie Hartung, hatte er sich spezialisiert, dazu war er von seinen Chefs zum ersten Mal nach Oberndorf ins Schwäbische geschickt worden, da gab es eine Waffenfabrik. Als er zurückkam, folgte unmittelbar das Angebot des Herrn von Klingenberg, ihn nach Deutsch-Südwestafrika mitzunehmen. Schon im Sommer 1915 kehrte er heim nach Deutschland und ließ sich in Berlin nieder. Er arbeitete als Feinmechaniker in einer Fabrik für Kleinteile, Federn, Schrauben, Bolzen, wie er umständlich erklärte, verdiente gutes Geld und kam, so oft er konnte, zu Besuch. In Berlin hatte er damals seine Li kennengelernt. Eine schöne Frau mit dunklem Teint und fast schwarzen dicken Haaren. Sie stammte aus einer deutsch-russischen Familie aus Odessa, als einziges Familienmitglied lebte sie schon seit 1916 in Berlin, zunächst bei einer Freundin ihrer Mutter, übernahm dann deren kleinen Hutladen direkt auf der Friedrichstraße mit mehreren Angestellten und Kundinnen aus allen Gesellschaftsschichten.

      Diese Informationen konnte man immerhin erhalten, wenn Wilhelmine mal einen Eierlikör oder zwei getrunken hatte, wenn ihre

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