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den Heimweg.

      Am Sonntag war die Kirche so gut besucht wie selten. Jeder wollte sehen, wie der Herr Pfarrer auf die Anspielung des Bürgermeisters aus der Gemeindevertretersitzung reagieren würde. Denn natürlich hatten sich die Streitigkeiten in Windeseile auch bis zum Pfarrer herumgesprochen. Und es war bekannt, dass er und der Bürgermeister nicht gerade die besten Freunde waren.

      Als der Pfarrer die Kanzel betrat war es totenstill in der Kirche. Alle warteten auf das große Donnerwetter. Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen las der Pfarrer ein paar Verse aus dem 1. Johannesbrief vor, in denen es darum ging, wie Christen miteinander umgehen sollen. Und er schoss mit den Versen „Meine Kindlein, lasset uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit. So jemand spricht: „ Ich liebe Gott!“ und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Und dieses Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe. Amen, ja, so sei es.“

      Alle hielten den Atem an. War das alles? Als der Pfarrer die Kanzel bereits verlassen wollte, hielt er inne, kam noch einmal zurück und sagte „Übrigens, es heißt nicht `Wer´s glaubt wird selig´ sondern `Wer da glaubt, der wird selig.´Und nach einer kurzen Pause fuhr er fort „Wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden!“ brüllte er und schlug mir der Faust auf die Kanzel. „Meine Herren, ja, ich sage bewusst meine Herren, denn ihr seid es nicht wert, dass ich euch Brüder nenne. Ich glaube, ihr habt im Kommunionunterricht nicht richtig aufgepasst. Erinnert ihr euch nicht daran, was ich euch aus der Bergpredigt eingebläut habe, in der Jesus gesagt hat „Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, die euch beleidigen.“ Und was höre ich von euch? Hauen und stechen. „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Das ist Rückfall ins tiefste Alte Testament. Und das in einem Ort mit dem schönen Namen Harmonie. Ihr jedenfalls habt diesen Namen nicht verdient. Ihr Ottern und Schlangengezücht. Wer hat euch verheißen, dass ihr dem ewigen Zorn Gottes entrinnen werdet?“ brüllte er. Dann verließ er grußlos die Kanzel. Zack, das hatte gesessen.

      Man sah den Gottesdienstbesuchern an, dass die Schlussworte des Pfarrers ihre Wirkung nicht verfehlt hatten. Schuldbewusst verließen sie die Kirche.

      Olgas Beerdigung stand bevor. Die Staatsanwaltschaft hatte die Leiche freigegeben weil man der Meinung war, dass weitere Untersuchungen keine neueren Erkenntnisse über die Tat und den Täter ergeben würden. Da man keine Angehörigen ermitteln konnte, hatte der Pfarrer beschlossen, Olga auf dem örtlichen Friedhof beizusetzen. „Aber nicht im großen Feld für die Allgemeinheit“, hatte ein Kirchenvorsteher sofort gefordert. „So eine kommt nicht in eine Reihe mit den angesehenen Bürgern unseres Ortes. Da hinten in der Ecke, neben dem Weg zum Abfallbehälter, da wäre noch Platz, wenn es denn unbedingt sein muss.“ Die übrigen Mitglieder des Kirchenvorstandes hatten ihm beigepflichtet. „Also, ich hätte etwas dagegen, wenn die neben meiner Mutter oder neben meinem Vater zu liegen käme“, sagte einer. Und ein anderer meinte „Und ich wollte auch nicht neben so einer beerdigt werden.“ Und so bekam Olga ein Plätzchen am Weg, gleich neben den öffentlichen Gießkannen. Der Pfarrer war anderer Meinung, aber er hatte sich nicht durchsetzen können. Er hatte allerdings darauf bestanden, dass die Tote zur Trauerfeier in der Kirche aufgebahrt wurde. „Sie war schließlich ein praktizierendes Mitglied unserer Kirchengemeinde.“

      Am Tag der Beerdigung war in der Kirche kein Platz mehr frei. Der ganze Ort war zusammengeströmt, weniger aus Anteilnahme als vielmehr aus Neugier darüber, was der Pfarrer wohl sagen würde. Aber er sagte nichts Außergewöhnliches. Er las lediglich die Geschichte von der großen Sünderin vor und schloss mit den Worten „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Unser Herr freut sich mehr über einen Sünder, der Buße tut, als über tausend Gerechte. Amen“

      Als der Sarg und der Trauerzug die Kirche verließen, standen Walter und Schuster ein wenig abseits und beobachteten das Geschehen. „Es kommt häufig vor, dass der Täter die Beerdigung seines Opfers besucht“, hatte Walter seinem Kollegen zuvor erklärt. Aber niemand fiel aus der Rolle, kein verräterisches Verhalten, kein unsicherer Seitenblick.

      „Ist jemand Fremdes dabei, Junior?“

      „Die meisten kenne ich schon, aber garantieren kann ich dafür nicht, Chef“

      Familie Fischer hatte ersatzweise die Rolle der `Eltern´ übernommen, da Olgas Angehörige in der Kürze der Zeit nicht hatten festgestellt werden können. Darum standen Herr und Frau Fischer am Grab, dazu Saskia und Max, die hemmungslos weinten, und ein junger Mann, den Walter nicht kannte. „Wer ist der Mann neben der Familie Fischer?“

      „Das ist Joseph, der Lagerarbeiter in der Spedition.“

      Walter hatte den Eindruck, dass er mehr betroffen war als alle anderen. Aber daraus ließ sich ja kaum ein Mordmotiv ableiten.

      Der Pfarrer verlas den Psalm 103 „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras. Er blüht wie eine Blume auf dem Felde. Wenn der Wind darüber weht, ist sie nicht mehr da und ihre Stätte kennet sie nicht mehr. Aber die Gnade des Herrn währet von Ewigkeit zu Ewigkeit.“

      „Eine seltsame Beerdigung“, sagte Walter auf dem Heimweg. „Was hat der Pfarrer eigentlich über Olga gesagt? Nichts, gar nichts. Und dabei weiß er sicher mehr über sie als wir alle zusammen.“

      „Das Beichtgeheimnis, Chef, das Beichtgeheimnis.“

      „Ja, ich weiß. Ich gäbe viel darum, an seine Informationen zu kommen. Es könnte sein, dass wir danach ein fertiges Puzzle hätten.“

      „Sie geben doch nicht etwa auf, Chef?“

      „Nein, Junior, wir müssen uns die Teile nur mühselig zusammensuchen.“

      Beim anschließenden Leichenschmaus in der „Traube“, der übrigens aus der Spendenkasse der Kirchengemeinde bezahlt wurde, gab es große Diskussionen. Wie denn der Herr Pfarrer das gemeint hätte und wem das wohl gegolten hätte und so schlimm seien wir hier in Harmonie doch nicht, oder?

      „Hier ist doch nicht Sodom und Gomorra“, sagte Frau Fischer zu Frau Rosenbauer.

      „Genau“, pflichtete die ihr bei, „obgleich, so gewisse Leute …“

      Walter machte sich so seine eigenen Gedanken. Die biblische Geschichte von der großen Sünderin war ja schon bezeichnend und stimmte überein mit dem, was Schuster über Olgas Privatleben gesagt hatte. Und der Pfarrer wusste es auch. Aber ein Mord wäre natürlich schon eine heftige Reaktion und passte in seiner Art weder zu einem Eifersuchtsdrama noch zu privater Rache. Und es sah auch nicht nach einer Tat im Affekt aus, vorausgesetzt die blauen Flecke an den Hand- und Fußgelenken waren zeitlich identische mit den Würgemalen am Hals.

      Man konnte allerdings davon ausgehen, dass der Täter Ortskenntnisse besaß, was nicht bedeutete, dass er in Harmonie wohnen musste. Es sind einfach noch zu viele offene Fragen dachte Walter noch kurz vor dem Einschlafen.

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