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Das Eulenrätsel. Ghila Pan
Читать онлайн.Название Das Eulenrätsel
Год выпуска 0
isbn 9783738004762
Автор произведения Ghila Pan
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Das Mädchen streckte den Oberkörper. Ihre dunklen Augen blitzten angriffslustig.
„Aber das könnte doch auch eine Botschaft sein...!“ Mit einem lauten Stöhnen ließ sich Lisa wieder in den Sand fallen.
Weiter südlich ging Alwin langsam über den Strand. Sanfter Wellenschaum umspülte seine bloßen Füße. Die Hosen hochgekrempelt und das Hemd aufgeknöpft, genoss er die Einsamkeit dieses Nachmittags, während der Meereswind mit seinen grauen Haaren spielte. Manchmal huschte ein Lächeln über Alwins Gesicht, doch es versteckte sich schnell wieder in einer tiefen Falte zwischen den Augenbrauen. Soeben hatte er sich vorgenommen, nach seiner Pensionierung Schauspielunterricht zu nehmen. Ob er dieses neue Hobby Leonhard zu verdanken hatte? Aber bald wieder nagten seine Gedanken als beständige Sorge um Lisa an seiner Stimmung. Das kannte er schon seit zwanzig Jahren, doch seit seine Frau dieses Buch geschrieben hatte, war etwas an ihr, das ihm völlig neu war. Es machte ihm Angst. Am meisten Angst machte ihm, dass er gar nicht sagen konnte, was sich an Lisa verändert hatte. Irgendetwas war passiert. Ob es mit Leonhard zu tun hatte? War es zuviel für Lisa gewesen? Aber sie war so glücklich gewesen wie selten zuvor im Leben.
Auch Alwin sah die großen Schiffe. Ob er er Lisa jetzt suchen sollte, fragte er sich plötzlich. Sie war doch ganz alleine unterwegs. Er sah die Dünen hinauf, dann schüttelte er den Kopf. Lisa war doch kein Küken mehr!
Nein, Lisa war kein Küken und auch nicht ganz allein. Nachdem Maracella sich verabschiedet hatte, sah sie weit enfernt am Strand zwei Jungs gehen, beide 16 Jahre alt. Interessiert beobachtete sie die beiden mit geschlossenen Augen. Sie wanderten durch ihren Geist, als wäre dieser ein Faltenwurf mit unzähligen Verstecken, in denen all ihre Figuren gegenwärtig und lebendig Platz fänden. Jetzt kamen die beiden daraus hervor. Lisa kannte die Jungs aus ihrem unveröffentlichten Buch. Aber wo waren denn die anderen?
Der eine Junge hieß Lerry Miller und sah fast aus wie der fünfte ‚Beatle’, der andere, Kat Waterrise, hatte einen Krauskopf. Unter seiner Achsel klemmte meistens ein Surfbrett. Als Lisa damals mitten im Schreiben ihres Romans war, war Kat plötzlich aufgetaucht, aus dem Nichts. Sie begann von ihm zu erzählen, ohne zu wissen, was er eigentlich mit ihrer Geschichte zu tun hätte. Aber es passierten öfters eigenartige Sachen, als sie an diesem Buch schrieb. Was genau geschah, wenn ein Stern implodierte, wollte sie einmal wissen. Daraufhin klingelte das Telefon und ein Bekannter erzählte, er hätte begonnen, Astrophysik zu studieren. Oft wunderte sie sich über ihre eigenen Sätze, denn das Spannende an ihrem Buch war, dass sie selbst überhaupt keine Ahnung hatte, wohin die Geschichte führen würde. Doch zu ihrer großen Überraschung verwoben sich die Erzählstränge wie von Zauberhand geführt.
Schon standen die beiden Jungs ganz in ihrer Nähe. Neugierig beobachtete sie Lisa unter ihrem breitkrempigen Sonnenhut.
„... tja, und ich bin riesig froh, die Ferien nicht in England zu verbringen!“ Lerry blickte zu Boden, dann war es wieder Zeit, seine Haare über der Stirn glatt zu streifen. Er unterhielt sich mit Kat, ohne Lisa zu beachten. „Außerdem werde ich mir diesen Sommer von niemandem etwas vorschreiben lassen!“, meinte er bestimmt.
Lisa schmunzelte, setzte sich auf und beschloss, zur Hütte zurück zu gehen.
Kapitel 2 Ein Wald und eine Heide
Es wurde kühler. Nebel legte sich wie milchiger Schleier über die Stämme der Bäume. Sie stapften über Wurzeln ohne ein Wort zu sagen. Plötzlich zerriss ein Schrei ihr Schweigen.
„Ahhh! Da ist eine Schlange!“ Ein Ruck ging durch die Gruppe. Es floh oder versteckte sich, wer konnte, kletterte auf Bäume oder begann eifrig zu fressen – da der Aufschrei einen wunderbar hohen Frequenzpegel hatte, der nach Sahne und Sauerkirschteig schmeckte. Ein paar Mutige gingen weiter.
„Da vorne am Baumstamm...!“, kreischte Eulalia Birdwitch abermals, tat ein paar unvorsichtige Schritte rückwärts und stolperte über eine Wurzel. Sie wäre fast zu Boden gestürzt, wäre da nicht ein Mann im schwarzen Kapuzenmantel hinter ihr gestanden. Da dieser jedoch anstatt Finger eiserne Krallengerätschaften zu je fünf Metallspitzen besaß, wurde Eulalia nur durch seinen breiten Brustkorb vom Fallen abgehalten. Ein drittes Mal kreischte die einzig normale Erwachsene, als sie die Eisenfinger vor ihren Rippen gegeneinander schlagen hörte. Eulalia konnte den nach verbranntem Holz riechenden Atem in ihrem Nacken spüren. Wieder sicher im Gleichgewicht, stieß sie sich angewidert von dem Mann ab und wagte einen Schritt vorwärts. Suckandpop rülpste.
Ein Mädchen erreichte Eulalia und Elester Claw. Sie blieb aber nicht stehen, sondern ging beherzt auf den Baumstamm zu und hob etwas hoch. Grinsend drehte sie sich zu den anderen um. „Eine lasche Schlange! Der Nebel hat Ihnen einen Streich gespielt, Miss Birdwitch!“
„Siiieht aber wiiehrklichsch ausss wieeeh eine Ssschlannnge!!“ Jim Hicksley sah sogar mehrere Schlangen, doch das war ihm ziemlich egal. In letzter Zeit war ihm überhaupt so ziemlich alles egal, was nicht einfach vor seinen Augen verschwand, so wie damals. Er nahm noch einen Schluck aus seinem Fläschchen.
„Olle Tante!“
„Wer war das?“, brauste Eulalia auf. Alle anderen zuckten mit den Schultern, denn niemand hatte etwas gesagt.
„Ach, dieser nebulose Wald, wie lange sollen wir noch hier herumirren?!“ Eulalia sprach lauter, um sich Mut zu machen, und Suckandpop hatte Speichelfluss.
„Ja, in unserem Buch mussten wir wenigstens nicht ewig laufen ...“, meinte nun ein anderes Mädchen, das auch zu den Herumstehenden trat. Eulalia ließ sie nicht weiter zu Wort kommen und quiekte beinahe, „Ach was, dieses blöde Buch! Ich saß auf alle Fälle in meinem Büro in Los Angeles, ich war in Sicherheit, keine Kälte und kein Nebel!“
„Sicherheit... Sicherheit, wenn nicht einmal die hohe Wissenschaft astronomischer Pendelexperimente vor Kerzenleuchtern geschützt ist!“, schimpfte ein ehrenwert aussehender Mann und mischte sich in Höhe von Eulalias Kniekehlen ins Gespräch.
Er hatte die Erlebnisse aus jüngster Vergangenheit noch nicht vollständig verarbeitet – was aber verzeihlich war, da dieser ehrenwert aussehende Mann auf sehr viel Vergangenheit zurückblicken musste.
„Nun, jetzt stehen sie auf dem Boden, Herr Professor!“ meinte Bel Raven, die das Buch bis zu der Stelle gelesen, an der sie selbst darin vorkam. So eine Erfahrung prägt natürlich. Dadurch wusste sie mehr als alles anderen, wenn sie überhaupt etwas wusste.
„Herr Professor, Sie waren doch eine berühmte Persönlichkeit!“, fügte Penny Lo hinzu, um den kleinen Mann zu beruhigen.
„Ich WAR eine berühmte Persönlichkeit, bin aber schon längst tot!“, schimpfte Professor Draciterius unbeirrt.
„Na und. Bin es auch!“ Aus einer besonders dichten Nebelwand erhob sich ein dünnes Stimmchen. „Und das freiwillig! Hatte eine wunderschöne Zeit in meinem Haus in London, Clerkwell, Alaster Road 15!“
„So kommen wir nie weiter!“ Der Suckandpop schluckte zufrieden, während Penny Lo wütend mit dem Fuß gegen den Baumstamm stieß. „Wir müssen versuchen, zur Grenze zu kommen und...“
„Vielleicht einem Monster den Rachen verkleben? Sonst noch was?“, unterbrach ein Junge Penny Lo. Pat Swift war sicher kein Feigling, Held war er aber auch keiner.
„Wenn wir noch länger hier stehen bleiben, brauchen wir uns bald keine Gedanken mehr zu machen!“, brummte Eulalias Retter vor dem Fall.
Ein voller Mond war aufgegangen, manchmal rissen die Nebel kurz auf und es wurde hell im Wald.
„Es wird sehr kalt!“, meinte Prof. Draciterius so pathetisch, als würde er die Entdeckung der modernen Naturwissenschaften ankündigen. Dann schüttelte er seinen ehrenwerten Glatzkopf, den zwei noch ehrenwertere Kotletten schmückten, und war und blieb seiner Zeit um fünf Jahrhunderte zurück. Immerhin konnte er die anderen hin und wieder durch reformatorische Gedankenschärfe beeindrucken, wenn auch nicht gerade jetzt.
Die Gruppe der ihrem Buch Entrissenen machte sich also