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Erinnerungen aus galanter Zeit. Giacomo Casanova
Читать онлайн.Название Erinnerungen aus galanter Zeit
Год выпуска 0
isbn 9783750203419
Автор произведения Giacomo Casanova
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Hast Du gehört«, sagte sie, »mit welcher Unbefangenheit ich mir zwei Stunden eines süßen vis-à-vis mit dir gesichert habe?«
»Ja, meine angebetete Freundin, die Liebe hat unsere Geister zu einem einzigen verschmolzen. Ich bete dich an und ich lebe so viele lange Tage, ohne dich zu sehen, nur um mich des Genusses eines einzigen desto besser zu versichern.«
»Ich hielt es nicht für möglich: du, mein Freund, hast alles gemacht; du bist so klug für dein Alter!«
»Vor einem Monat, meine Freundin, war ich nur ein unwissender Mensch, und du bist die erste Frau, welche mich in die wahren Geheimnisse der Liebe eingeweiht hat. Deine Abreise, Lucrezia, wird mich unglücklich machen, denn Italien kann nicht noch eine Frau besitzen, welche dir gleicht.«
»Wie! Ich bin deine erste Liebe! Ach, Unglücklicher, dann wirst du nie davon geheilt werden. Warum gehöre ich nicht dir an! Auch du bist die erste Liebe meines Herzens und wirst gewiß die letzte sein. Glücklich die, welche du nach mir lieben wirst! Ich werde nicht eifersüchtig auf sie sein, aber es wird mich schmerzen, wenn ich erfahre, daß sie nicht ein Herz hat wie ich.«
Als Lucrezia meine Augen feucht von Tränen sah, ließ sie auch den ihrigen freien Lauf; und nachdem wir uns auf den Rasen gesetzt, saugten unsere Lippen den Nektar der süßesten Küsse. Wie süß sind die Tränen der Liebe, welche unter den Ergüssen gegenseitiger Zärtlichkeit fließen! Ich habe die ganze Süße dieser köstlichen Tränen gekostet. Als ich in einem Augenblick der Ruhe ihre reizende Unordnung betrachtete, sagte ich, wir könnten überrascht werden.
»Fürchte das nicht, uns beschützen unsere Genien«, antwortete sie, und nach einer Weile, während der wir still beieinander ruhten: »Sieh, mein Herz, habe ich es dir nicht gesagt? Ja, unsere Genien behüten uns! Ach, wie er uns betrachtet! Sein Blick sucht uns zu beruhigen. Sieh diesen kleinen Dämon. Nichts geheimnisvolleres lebt in der Natur. Bewundere ihn. Gewiß ist dein Genius oder der meinige.«
Ich hielt sie für wahnsinnig.
»Was sagst du, mein Herz? Ich begreife dich nicht, was soll ich bewundern?«
»Du siehst nicht die schöne Schlange mit gestreifter Haut, welche uns mit erhobenem Haupt anzublicken scheint?« Ich folge ihrem Finger und sehe eine Schlange mit wechselnden Farben wohl eine Elle lang, und wirklich: sie betrachtet uns. Dieser Anblick machte mir kein Vergnügen, aber ich wollte mich nicht weniger unerschrocken als sie zeigen.
»Wie kann«, sagte ich, »die Schlange dich nicht erschrecken?«
»Ihr Anblick entzückt mich, und ich bin überzeugt, daß sie eine Gottheit ist, welche nur die Form oder vielmehr nur den Schein einer Schlange hat.«
»Und wenn sie auf dem Rasen hingleitend und zischend auf dich loskäme?«
»Ich würde dich fester an meinen Busen pressen und sie herausfordern, mir etwas zuleide zu tun. Lucrezia ist in deinen Armen für keine Furcht empfänglich. Siehe, sie entfernt sich. Schnell, schnell! durch ihre Flucht verkündet sie uns die Ankunft eines Ungeweihten und sagt uns, daß wir einen andern Zufluchtsort suchen sollen, um unsre Freuden zu erneuern.«
Kaum sind wir aufgestanden und schreiten langsam vorwärts, als wir aus einer nahen Allee Donna Cäcilia mit dem Advokaten kommen sehen. Wir weichen ihnen nicht aus und beeilen uns auch nicht, als ob es sehr natürlich wäre, daß wir ihnen begegneten, und ich frage Donna Cäcilia, ob ihre Tochter die Schlangen fürchte.«
»Trotz ihres Geistes«, antwortet diese, »fürchtet sie den Donner so sehr, daß sie ohnmächtig wird, und beim Anblick der kleinsten Schlange schreit sie laut aus. Es gibt deren hier, aber sie sind nicht giftig.«
Vor Verwunderung sträubten sich mir die Haare auf dem Kopfe, denn ich war Zeuge eines wahren Wunders der Liebe gewesen. In diesem Augenblicke kamen auch die Kinder, und ohne Umstände trennten wir uns wieder von ihnen.
»Sage mir, erstaunliches Wesen, entzückendes Weib, was würdest du gemacht haben, wenn statt der Schlange dein Mann und deine Mutter erschienen wären?«
»Nichts. Weißt du nicht, daß in solchen feierlichen Augenblicken Liebende nur der Liebe angehören? Solltest du bezweifeln, daß du mich ganz besessen?«
Indem Lucrezia so sprach, dichtete sie nicht eine Ode: keine Dichtung, die Wahrheit lag sowohl in ihrem Blicke, wie im Tone ihrer Stimme!
»Glaubst du«, sagte ich, »daß niemand uns in Verdacht hat?«
»Mein Mann hält uns entweder nicht für verliebt oder legt keinen Wert auf gewisse Kleinigkeiten, welche die Jugend sich gewöhnlich gestattet. Meine Mutter hat Geist und denkt sich vielleicht die Wahrheit; aber sie weiß, daß diese Sachen sie nichts mehr angehen. Meine Schwester muß alles wissen, denn wie hätte sie wohl das zusammengebrochene Bett vergessen können; aber sie ist klug und hat sich überdies darauf gelegt, mich zu beklagen. Sie hat keine Idee von der Natur meiner Empfindungen für dich. Ohne dich, mein Freund, wurde ich wahrscheinlich das Leben durchwandert haben, ohne von diesem Gefühle eine genaue Vorstellung zu erhalten, denn was ich für meinen Mann empfinde ... ich habe für ihn die Gefälligkeit, welche mein Stand mir auferlegt.«
»Er ist dennoch sehr glücklich, und ich beneide sein Glück! Er kann wenn er es wünscht, dein ganzes Wesen in seine Arme drücken; kein lästiger Schleier legt sich zwischen euch, um ihm einen Teil deiner Reize zu entziehen.«
»Wo bist du, teure Schlange? Komm und schütze mich vor ungeweihten Blicken, und ich werde augenblicklich die Wünsche meines Angebeteten erfüllen.«
Während des ganzen Morgens hörten wir nicht auf, uns zu sagen, daß wir uns liebten und uns wiederholte Beweise davon zu geben. Wir hatten ein feines Mittagessen, und während des ganzen Mittags überhäufte ich die liebenswürdige Cäcilia mit Aufmerksamkeiten. Meine niedliche Schildpattdose mit vortrefflichem Tabak gefüllt, wanderte oft um den Tisch herum. In einem Augenblicke, wo sie sich in den Händen Lucrezias befand, welche zu meiner Linken saß, sagte ihr Mann zu ihr, sie könnte meine Tabaksdose gegen ihren Ring eintauschen. Da ich glauben konnte, der Ring sei weniger wert als die Dose, so beeilte ich mich, ihr zu sagen, daß ich sie beim Worte fasse; der Ring war indes mehr wert. Donna Lucrezia wollte nicht Vernunft annehmen, sondern steckte die Dose in die Tasche, und ich mußte den Ring nehmen. Wir tranken den Kaffee, ich bezahlte den Wirt und wir verloren uns sodann in den Labyrinthen der Villa Aldobrandini. Wie viele süße Erinnerungen haben mir diese Orte hinterlassen! Mir schien es, als ob ich meine Lucrezia zum ersten Male sähe. Unsre Blicke waren flammend, unsre Herzen schlugen mit einem Schlage der zärtlichsten Sehnsucht und unser Instinkt leitete uns zu dem einsamsten Asyle, welches die Hand der Liebe geschaffen zu haben schien, um die Mysterien ihres Geheimkultes zu feiern. Hier erhob sich inmitten einer langen Allee und unter einem grünen Laubdache eine geräumige Rasenbank, welche an dichtes Gehölz gelehnt war; vor uns schweiften unsere Augen über eine unermeßliche Ebene und unsere Blicke übersahen die Allee zur Rechten und zur Linken in einer Ausdehnung, welche uns vor jeder Überraschung sicherte. Wir hatten nicht nötig miteinander zu sprechen; unsre Herzen verstanden sich. Ohne zu sprechen und einer vor dem andern stehend, entfernten wir mit geschickten Händen bald alle Hindernisse und gaben der Natur alle Reize zurück, welche die lästigen Hüllen ihr entziehen. Nach zwei Stunden wanderten wir langsamen Schrittes zu unserm Wagen zurück und erheiterten uns auf dem Wege durch die zärtlichsten Mitteilungen. Meine Lucrezia sagte mir, der Bräutigam ihrer Schwester sei reich und besitze ein schönes Haus in Tivoli; wahrscheinlich würde er uns daher einladen, eine Partie dahin zu machen und die Nacht daselbst zuzubringen.
»Ich beschwöre die Liebe«, fügte sie hinzu, »mir ein Mittel an die Hand zu geben, daß wir diese Nacht ebenso ungestört wie den heutigen glücklichen Tag verleben können.«
Hierauf einen traurigen Ton annehmend, sagte sie: »Die geistliche Angelegenheit, welche meinen Mann hierher geführt, ordnet sich leider sehr glücklich und ich fürchte, daß er die Sentenz sehr bald erhalten wird.«
Wir