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es Orchideen und Kakteen, die die Einrichtung dieses Zimmer mit etwas anderem als Möbelstücken schmücken. Ein Bild mit einer schönen Landschaft hängt an einer Wand. Keine kleine Porzellanfigürchen, Kerzen oder Erinnerungstücke an Ferien. Nichts dergleichen. Aber auf einer grösseren Kommode, die eher zu einem Alter umfunktioniert wurde, als für ein Aufbewahrungsmöbelstück von Kissenbezügen oder Tischservice gebraucht wird, entdecke ich verschiedene Fotorahmen, auf denen immer wieder derselbe Knabe, von seinen Babyjahren bis hin in sein ungefähr achtes Lebensjahr, abgelichtet ist. Bei Zweien hält eine bildhübsche junge Frau, die wie ein weibliches Ebenbild von Oliver Falk ist, das Kind wie einen goldenen Schatz in den Armen. Es verschlägt mir beinahe den Atem, über die Ähnlichkeit des jetzigen Olivers und der Frau auf diesen Fotos. Weiss der weltberühmte Fussballer, wie sehr er seiner Mutter gleicht?

      Neben all diesen Bilderrahmen entdecke ich einen geschlossenen Ordner. Ich nehme ihn in meine Hände und öffne ihn. Obwohl ich mir schon im Klaren bin, was mich in dieser Sammelmappe erwartet, staune ich über die vielen ausgeschnittenen Zeitungsartikel, die alle über eine Person berichten. Oliver Falk.

      Nachdem ich ihn flüchtig durchgesehen habe, lege ich ihn wieder zurück an seinen angestammten Platz.

      Wieder sehe ich die vielen eingerahmten Fotos an. Was mich bei all diesen Bildern irritiert, ist dass der Mann von meiner Kundin auf keiner einzigen Fotografie abgebildet ist.

      „Haben Sie schon hier gelebt, als Ihr Sohn noch bei Ihnen wohnte?“ rufe ich zu ihr in den Nebenraum und setzte mich auf die Couch.

      „Nein. Ich bin erst nach Toms Tod in dieses Haus gezogen.“

      Im selben Moment, als sie mit einem Krug voll Wasser zurückkehrt und sich gegenüber von mir in einen Sessel, im gleichen Farbton wie das Sofa, setzt, platzt sie mit der Frage, auf die ich schon seit meiner Ankunft warte, heraus. „Haben Sie mein Kind gefunden?“

      „Ja, das habe ich.“

      „Wie geht es ihm?“

      „Ich würde sagen, er hat sich hervorragend gemacht.“ Das ist eine absolute Untertreibung, wenn man bedenkt, dass er etliche Jahre seiner Jugend in verschiedenen Kinderheimen verbracht hat und vielerorts als schwieriger Junge bezeichnet wurde.

      „Ist er verheiratet? Hat er Kinder?“ Die Fragen stürzen nur so aus ihr heraus.

      „So viel mir bekannt ist, nein.“

      „Wann kann ich ihn sehen?“

      „Ich sollte Ihnen vielleicht noch etwas mitteilen, bevor wir zu diesem Punkt kommen. Er lebt seit seinem dreizehnten Lebensjahr in der Zentralschweiz und hat seit da einen anderen Namen angenommen.“

      Sie starrt mich zwar gefasst an, bringt aber gerade mal eine Silbe hervor. „Wie...?“

      „Oliver Falk.“

      Keine Rührung. Keine Mimik. Nichts. Irgendwelche Regung müsste sie doch zeigen oder? Oliver Falk ist ein weltberühmter Fussballer. Einer der besten in dieser Zeit und seine leibliche Mutter zeigt kein bisschen Verwunderung oder Stolz?

      „Warum benötigen Sie meine Hilfe?“

      „Das habe ich Ihnen schon gesagt.“

      „Sie wissen schon längst, wer ihr Sohn ist und haben mich im Ungewissen gelassen. Was verschweigen Sie mir?“ frage ich sie vielleicht in einem etwas zu schneidenden und unfreundlichen Tonfall. Nur kann ich es nicht ausstehen, wenn man mich an der Nase herumführt.

      Die Farbe weicht fast vollständig aus ihrem Gesicht, als sie versucht meinem Blick standzuhalten und verkrampft ihre Hände ineinander, die auf ihrem Schoss liegen. „Ich hatte Angst,“ beginnt sie zögernd. „dass Sie mir nicht helfen werden, wenn ich Ihnen die ganze Wahrheit erzähle.“

      „Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn ich nicht alles weiss. Sie müssen mir vertrauen, sonst funktioniert das nicht.“

      „Versprechen Sie mir, dass Sie versuchen, ein Treffen zwischen mir und meinem Sohn zu arrangieren?“

      „Das kann ich nicht.“

      Die Dame im Sessel nickt nur schwach mit dem Kopf. Ich kann ihr ansehen, dass sie sichtlich bemüht ist, die richtigen Worte zu finden.

      Ich bin bitter schockiert und fassungslos, über das, was mir Olivers Mutter anvertraut hat. Warum hat sie kein Sterbenswörtchen darüber verraten, als sie mich vor wenigen Wochen aufgesucht hat? Ich habe versucht Oliver zu einem Treffen zu überreden. Jetzt bin ich eher froh darüber, dass er seine Mutter nicht sehen möchte. Wahrscheinlich habe ich schrecklich erdrückende und quälende Gefühle in ihm wachgerüttelt, die er sein ganzes Leben zu vergessen versucht. Ich fühle mich äusserst schlecht.

      Seit ich diese Arbeit mache, ist mir noch nie annähernd so ein Fall in die Quere gekommen. Zum ersten Mal zweifle ich an meinem Tun. Nur mit grosser Mühe gelingt es mir meine Empfindungen unter Kontrolle zu halten.

      Nach einigen Minuten, die wir stillschweigend gegenüber sitzen, finde ich endlich meine Stimme wieder. „Was verschweigen Sie mir sonst noch?“ Ich klinge etwas zu schroff, das ist mir bewusst, aber ich kann nicht anders. „Was ist mit Ihrer Krankheit? Haben Sie wirklich Krebs oder war das nur eine Lüge, um mich zu angeln?“

      „Ich habe Krebs. Die Ärzte geben mir noch ungefähr drei höchstens sechs Monate.“ In ihren Augen schimmern Tränen.

      Wie kann ich nur so kalt sein. Die Frau vor mir leidet an einer unheilbaren Krankheit und ich habe nichts Besseres zu tun, als sie anzugreifen.

      Ihre Stimme zittert leicht, als sie fortfährt „Mein einziger Wunsch ist es, noch einmal meinen Sohn zu sehen. Ich möchte mich bei ihm entschuldigen und ihn um Vergebung bitten, obwohl das was geschehen ist, nicht zu verzeihen ist.“

      Ich möchte nicht hier sein. Ich möchte weg von diesem Ort. Ich kann beide Seiten verstehen, aber ich möchte nicht dazwischen stehen. Ich sollte ihr erklären, dass ihr Sohn sie nicht sehen will und verschwinden. Aber lässt das mein Gewissen zu?

      Stattdessen denke ich darüber nach, wie ich Oliver doch noch dazu bringen könnte, sich mit seiner Mutter zu treffen, bevor es für beide zu spät ist.

      „Ihr Sohn möchte Sie leider nicht sehen, obwohl ich ihm gesagt habe, dass Sie an Krebs erkrankt sind. Jetzt kann ich auch verstehen, warum er so reagiert hat. Vielleicht sollten Sie selbst mit ihm Kontakt aufnehmen.“

      „Nein.“ Sie schüttelt energisch den Kopf. „Ich habe zu grosse Angst, dass er seine Abneigung gegenüber mir direkt ins Gesicht schleudert. Das könnte ich nicht ertragen.“

      „Was gibt Ihnen die Sicherheit, dass er sich anders verhält, wenn ich etwas arrangieren kann?“

      „Das sagt mir mein Gefühl.“

      Ich fühle mich so, als hätte ich eine Woche nicht mehr geschlafen. Das Treffen mit Emma Kyssen ist viel schrecklicher ausgefallen, als das ich mir erträumt habe. Die Wahrheit darüber, was sich in dem damaligen Elternhaus abgespielt hat, ist erschütternd und drückt mich mit seinem ganzen Gewicht zu Boden.

      Ich bin erleichtert, als ich endlich die Tür zu meiner Wohnung aufschliessen und die Schuhe mit ihren mörderischen Absätzen abstreifen kann.

      Die Dusche gibt ihr Bestes, nur leider kann sie meine wild durcheinander geratenen Gedanken nicht fortspülen.

      Gerade als ich mich mit einem Glas Wein vor dem Fernseher niederlassen möchte, klingelt es an der Tür. Ich tu so, als würde ich es nicht hören und nehme die Fernbedienung in die Hand. Wieder klingelt es, das durch ein Klopfen unterstrichen wird.

      „Hei Verena. Ich weiss, dass du da bist. Komm schon. Mach auf!“ höre ich meinen besten Freund rufen.

      Erschöpft erhebe ich mich aus meinem durchgesessenen Sofa. In einem ausgeleierten T-Shirt und mit kurzen, weiten Shorts öffne ich die Tür. „Hei Ron. Was gibt's?“

      „Das müsste ich dich fragen. Seit Tagen versuche ich dich zu erreichen, aber jedes Mal wurde ich mit dem Anrufbeantworter verbunden.“

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