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darzustellen, der bei allem Ernst die Story ironisiert. Haltet die Spannung aus. Haltet es aus, gerade in der Anfangsphase von Langform-Impro nicht zu wissen, was das Publikum gerade empfindet.15

      Während die Angst, für humorlos gehalten zu werden, vor allem junge Männer betrifft, dreht sich das Geschlechterverhältnis bei der Angst, für unattraktiv gehalten zu werden, um.16 Die darunter liegende Angst ist natürlich die Angst vor der Verletzlichkeit. Die Flucht ins Sexy-Sein macht eine Spielerin unangreifbar und unveränderlich. Aber als Impro-Spielerin musst du dich verändern lassen, du musst in der Lage sein, wütend und hässlich zu werden, deine Figur die falschen Entscheidungen treffen lassen. Du musst beweglich bleiben. Aber im Theater geht es nicht um dich! Es geht um die Szene, um die Story. Wenn du auf der Bühne stehst, um Männern oder Frauen zu gefallen, oder überhaupt um jemanden zu beeindrucken, was du für ein toller Mensch bist, dann bist du im Improtheater fehl am Platz. Improtheater lebt davon, dass die Spieler in der Lage sind, ihr Ego auszuschalten, ihr kleines „Ich will doch geliebt werden“ zuhause zu lassen und stattdessen in der großen Gemeinsamkeit aufzugehen.

       2.6.3Die Angst, nicht weiterzuwissen

      Fast scheint die Angst, nicht weiterzuwissen rational. Schließlich stellen sich die Spieler ohne Text auf die Bühne! Einfach so entsteht, ohne dass sie sich abgesprochen hätten, eine Szene. Manchmal fragt man sich selbst als Improspieler: Wie kann das denn eigentlich funktionieren?

      Die Angst, dass einem überhaupt nichts mehr einfällt, führt zu verkrampftem Spielen. Spieler, die fürchten, nicht weiterzuwissen, tendieren oft zum Blockieren oder Auslöschen von Angeboten, in der Szene verharren sie auf der Stelle, indem sie vor sich her plappern. Wenn sie im Off sind, trauen sie sich nicht, die Szene zu betreten.

      Nach meiner Erfahrung ist keine Angst so einfach zu bekämpfen wie diese. Viele Spiele nehmen genau diese Angst aufs Korn. Gleich einem Bierfass stechen wir das Fass der Phantasie und der Assoziation an, und es beginnt zu sprudeln. Sobald die Schüler sehen, dass alles, was sie sagen, konstruktiv verwendet werden kann, wird die Angst, nicht weiterzuwissen, erlöschen.

      Aber wie jede Angst kann sie auch bei Profis wieder auftauchen. Wenn wir etwa komplexere Storys spielen, wenn wir uns bei fremden Genres bedienen, wenn wir andere Stile verwenden als bisher, schleicht sich bei einigen Spielern die alte Angst wieder ein. Es hilft, hier immer wieder zu den einfachsten Übungen zurückzukehren, vor allem zur freien Assoziation, deren Komplexität sich nach und nach steigern kann.

       Übung: Assoziationsstufen

       Stufe 1)

      Einfache bildliche Assoziation: Holz – Schrank – Kleid – Hochzeit …

       Stufe 2)

      Einfache Assoziation, die emotional angereichert wird: Holz – ein düsterer Schrank – ein frisches Kleid – eine chaotische Hochzeit … (Entscheidend sind hier weniger die Adjektive, sondern dass die Assoziationen mit emotionalisiertem Atem und emotionalisierter Stimme genannt werden.)

       Stufe 3)

      Biografisch-narrative Assoziation: Holz – „Auf dem Dachboden meiner Großeltern stand ein alter verschlossener Schrank. Ich hatte mich immer gefragt, was sich darin befinden möge. Und eines Tages fand ich den Schlüssel auf dem Oberteil des Schranks. Ich öffnete ihn und sah darin ein weißes Kleid …“

       2.6.4Die Angst vor Veränderung

      Du spielst in einer erfolgreichen Impro-Gruppe. Eure Shows sind gut besucht, die Qualität eurer Aufführungen wird allenthalben gelobt. Und da schlägt ein Spieler der Gruppe eine Veränderung vor: Ein neues Format, ein neues Genre, einen Stil, der euren jetzigen Shows anscheinend widerspricht. Warum, so fragen sich einige, sollte man ein Pferd wechseln, das ein Rennen nach dem anderen gewinnt?

      Improtheater bleibt nur lebendig, wenn wir neue Pfade beschreiten. Tatsächlich gelingt das manchen Gruppen innerhalb des immergleichen Formats, und zwar dann, wenn dieses offen genug ist, um künstlerische Weiterentwicklung zuzulassen. Aber selbst dann ist es oft lohnenswert, sich mal links und rechts umzuschauen.

      Je größer das Team, umso mehr neigt es zu Inflexibilität, da viele Stimmen gehört werden müssen.17 Gerade deshalb solltet ihr auch strukturell offen bleiben.

      Wenn ich von ausgetretenen Impro-Pfaden spreche, meine ich aber nicht nur Formate, Stile und Genres, sondern sämtliche Aspekte einer Impro-Show: Die dramatische Herangehensweise an Szenen, Szenenübergänge, die Präsentation einer Show – von der Moderation bis zur Kleidung -, die Entscheidung zwischen Kurz- und Langform, die Themenvielfalt, der Story-Aufbau.

      Manche Änderungen werden von der Gruppenmehrheit verworfen, nur weil die neue Form einmal nicht funktioniert hat. Auch hier braucht man Beharrlichkeit und Ausdauer. Die Angst vor Veränderung ist verschwistert mit der Bequemlichkeit. Denn natürlich ist jede Veränderung mit Mühe verbunden. Jedes neue Format muss ausprobiert werden, man muss sich damit geistig auseinandersetzen, man muss unter Umständen lesen, diskutieren, Meinungsunterschiede aushalten. Und schließlich: Der Erfolg ist nie sicher. Improtheater ist eine flüssige Kunst, man kann sie nicht festhalten oder fixieren. Man muss sich mit ihr bewegen.

       2.7Die Kanäle der Angst

      Angst sucht sich auf der Bühne ihre Kanäle. Sie kommt selten als pure Angst daher, manchmal spüren wir sie nicht einmal. Denn meist tritt sie maskiert auf.

       Blockieren

      Angst offenbart sich, wenn wir Angebote unseres Spielpartners regelmäßig blockieren. Jedes Angebot ist die Zumutung einer neuen Ungewissheit und Unsicherheit. Unsicherheit ist angstbeladen, und deshalb verharrt so mancher Impro-Spieler und verbarrikadiert sich hinter Nein und Geht-nicht. Spricht man ängstliche Spieler darauf an, werden sie oft ihre Antworten szenisch rechtfertigen:

      „Aber meine Figur konnte wirklich nicht das Päckchen annehmen.“

       oder

      „Nicht ich, sondern meine Figur hatte Angst.“

       Negativität

      Negativität ist eng verwandt mit dem Blockieren. Allerdings wird hier nicht das Angebot blockiert, sondern der Spieler gibt jedem Aspekt der Szene einen negativen Anstrich. Es wird genörgelt, gemäkelt, gedroht. Wenn wir uns junge unsichere Teenager anschauen, sehen wir dieses Verhalten wie unter der Lupe: Viele Jugendliche neigen zu dieser negativen Coolness, um sich zu schützen, um sich unangreifbar zu machen. Aber Veränderbarkeit und Verletzlichkeit sind unersetzbare Eigenschaften im Improtheater.

       Dominanz und Zurückhaltung

      Die Stresshormone, die in den Spielerkörper ausgeschüttet werden, wenn die Dinge auf der Bühne zu unübersichtlich oder zu unsicher werden, führen dazu, dass die meisten Spieler in solchen Situationen entweder mit übermäßiger Dominanz oder übermäßiger Zurückhaltung spielen. Lass das Chaos auf der Bühne eskalieren, und fast jeder Spieler wird regelmäßig zur einen oder zur anderen Seite neigen.

      Die einen versuchen, die Szenen „in den Griff“ zu bekommen, indem sie ihre Mitspieler herumkommandieren und sich nicht verändern lassen. Die anderen bleiben entweder im Off oder schwimmen einfach nur mit der Szene mit, ohne etwas beizutragen.

       Gagging

      Wir haben es bereits diskutiert: Spieler, die glauben, die Szene sei schlecht, sobald mal eine halbe Minute nicht gelacht wird und die dann schnell auf Teufel komm

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